Plasmakristall im All
Redaktion / MPG
astronews.com
16. August 2006
Seit eineinhalb Monaten besteht die ISS-Besatzung nun aus
drei Astronauten, so dass die Forschung an Bord wieder eine größere Rolle
spielen kann. Zuständig dafür ist unter anderem der deutsche ESA-Astronaut
Thomas Reiter, der in den nächsten Tagen ein Experiment des
Max-Planck-Institutes für extraterrestrische Physik durchführen wird.
Die Internationale Raumstation ISS (künstlerische Darstellung).
Bild:
ESA / D.Ducros
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An Bord der internationalen Raumstation ISS wird der deutsche Astronaut Thomas
Reiter zwischen dem 17. und 19. August Experimente für das Max-Planck-Institut
für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching vornehmen. Mit dem Labor
PK3-Plus untersucht Reiter stellvertretend für die Max-Planck-Wissenschaftler
die Eigenschaften komplexer Plasmen. In diesem bislang wenig erforschten
Materiezustand verleihen Mikropartikel einem Plasma, dem vierten und
ungeordneten Aggregatzustand der Materie, eine Struktur.
Ein Beispiel dafür sind Plasmakristalle, in denen sich einzelne Mikropartikel zu
einem periodischen Gitter anordnen und daher besonders gut beobachten lassen.
Darüber hinaus haben die Wissenschaftler ein Experiment vorbereitet, bei dem sie
den kritischen Punkt eines komplexen Plasmas erreichen und untersuchen wollen.
Die Garchinger Forscher kooperieren in diesem Projekt mit dem russischen
Institute for High Energy Densities (IHED).
Auf der Erde sind alle Stoffe in drei Aggregatzuständen gebunden: fest, flüssig
und gasförmig. Im Universum ist das anders. Die Sterne, das Polarlicht und die
Gasnebel - mehr als 99 Prozent aller sichtbaren Materie im Weltraum befindet
sich in einem weiteren, vierten Aggregatzustand: dem Plasma. Dieses Gas ist so
heiß, dass es sogar die robustesten Bindungen auseinander reißt, die die Natur
geschaffen hat: die Atome. Denn bei extrem hohen Temperaturen und Dichten
prallen die einzelnen Atome mit so großen Geschwindigkeiten aufeinander, dass
sie zerbrechen. Die Folge: ein Durcheinander aus positiv geladenen Atomrümpfen,
den Ionen, und negativen Elektronen.
Mikropartikel verleihen diesem Teilchen-Chaos eine Struktur, indem sie die
freien Elektronen und Ionen aufsammeln. Da Elektronen jedoch viel beweglicher
sind als die schwereren Ionen, treffen sie wesentlich häufiger auf die
Oberfläche der Mikropartikel. Die Teilchen laden sich elektrisch auf und
beginnen miteinander zu wechselwirken. Und damit erreichen sie einen neuen
Materiezustand: das komplexe Plasma.
Wissenschaftler können den Zustand des komplexen Plasma dann gezielt ändern: in
gasförmig, flüssig oder kristallin. In Plasmakristallen ordnen sich die
Mikropartikel in regelmäßigen Abständen von einem Zehntel Millimeter zueinander
an. Dies ermöglicht es den Forschern, die Partikel nun einzeln zu beobachten.
Zum Beispiel dann, wenn sie ihren Aggregatzustand ändern - ein Vorgang, der bis
heute noch nicht vollständig verstanden ist.
An Bord der ISS wird der deutsche Astronaut Thomas Reiter in drei Versuchen
komplexe Plasmen untersuchen. Das letzte dieser Experimente soll die
physikalischen Vorgänge am kritischen Punkt erforschen. Oberhalb dieses Punktes,
abhängig von kritischer Temperatur und Druck eines Stoffes, gleichen sich die
Aggregatzustände flüssig und gasförmig an - ein Unterschied zwischen diesen
beiden Materienzuständen existiert nicht mehr. Die Mikropartikel bewegen sich
dann so dynamisch wie ein Gas, ihre Dichte ändert sich aber nicht und bleibt die
einer Flüssigkeit. "Wir sind uns aber gar nicht sicher, ob wir den kritischen
Punkt überhaupt erreichen", sagt Dr. Hubertus Thomas vom Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik, der unter der Leitung von Prof. Gregor Morfill vom
MPE und Professor Vladimir Fortov vom IHED an dem Projekt arbeitet. "Die
Experimente sind ein erster Schritt, um die benötigten hohen Temperaturen und
Dichten zu erzielen, die wir brauchen, um in Zukunft zum kritischen Punkt zu
gelangen."
Bereits im vergangenen Dezember haben die Forscher das Versuchslabor PK-3 Plus,
einen 60 mal 80 Zentimeter großen Messzylinder, mit einem russischen Progress-Transporter
zur ISS geschickt. "Die Schwerelosigkeit ist die wichtigste Bedingung, um
intensiv an Plasmakristallen zu forschen", sagt Thomas. Denn die Schwerkraft
presst die Mikropartikel nach unten, sie sedimentieren. Auf der Erde müssen die
Wissenschaftler deshalb ein starkes elektrisches Feld aufbauen, um die Teilchen
in der Schwebe zu halten. Da Plasma jedoch elektrisch neutral ist, gelingt das
nur in einem schmalen Feld nahe der Elektrode. In der Schwerelosigkeit brauchen
die Wissenschaftler diese Felder nicht. In ihrem Forschungslabor auf der ISS
bauen sie weitaus größere Plasmakristalle - und können die Wechselwirkungen
zwischen den Mikroteilchen damit besser erforschen.
Die ersten beiden Experimente haben die Garchinger Forscher programmiert. Sobald
Reiter das Plasma in einer abgeschlossenen Kammer über eine
Hochfrequenzentladung gezündet hat, verlaufen die Versuche vollautomatisch. Nach
dem Prinzip des Salzstreuers werden nun die Mikropartikel in das Plasma
geschüttet: Durch ein Sieb werden Plastikkügelchen in einheitlich genormte
Partikel dispergiert und in das Plasma gestreut. Teile der Messergebnisse
erhalten die Wissenschaftler sofort - den Rest speichert der Computer auf
portable Festplatten, die in ca. drei Monaten zurück zur Erde gebracht werden.
Dabei profitieren die Garchinger Wissenschaftler von ihrer engen Zusammenarbeit
mit dem Institute for High Energy Densities der Russischen Akademie der
Wissenschaften. "Ohne diese Kooperation wären Experimente auf der ISS gar nicht
möglich", sagt Thomas über die Einflussmöglichkeiten seiner russischen Partner.
Zuvor hatten sie bereits gemeinsam über viereinhalb Jahre das Versuchslabor
PK-Nefedow betrieben - damals das erste wissenschaftliche Experiment auf der
neuen ISS. Beide Versuchslabore wurden mit Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung (BMBF) am Max-Planck-Institut für extraterrestrische
Physik entwickelt und gemeinsam mit der Kayser-Threde GmbH gebaut.
In mehreren Schulungen haben die Wissenschaftler Thomas Reiter mit der Technik
vertraut gemacht. "Herr Reiter freut sich sehr auf diese Experimente, weil sie
einmal nichts mit seinem eigenen Körper und den Auswirkungen der
Schwerelosigkeit zu tun haben", sagt Thomas. Im Luftfahrtkontrollzentrum bei
Moskau verfolgen die Forscher den Verlauf der Experimente während der ersten 15
Minuten über eine Live-Übertragung. Anschließend hat Reiter zu jedem Zeitpunkt
die Möglichkeit, Kontakt mit den Max-Planck-Wissenschaftlern aufzunehmen. "Es
kann vorkommen, dass Herr Reiter unsere Hilfe braucht", sagt Thomas. "Dann
stehen wir natürlich bereit."
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