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Die europäische Kommission hat jetzt drei Millionen Euro für eine Entwicklungsstudie für ein neues pan-europäisches Gravitationswellen-Observatorium bereitgestellt. Mit dem Einstein-Teleskop, mit dessen Bau Ende des kommenden Jahrzehnts begonnen werden könnte, dürfte ein Blick in Regionen des Universums möglich werden, der bisherigen Instrumenten verschlossen ist.
Die Europäische Kommission hat jetzt drei Millionen Euro für eine Entwicklungsstudie zum Einstein-Teleskop, einem pan-europäischem Gravitationswellen-Observatorium, bereitgestellt. Für die beteiligten Forschergruppen ist diese Unterstützung eine wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beobachtung des Universums mit Gravitationswellen. "Mit dieser Entscheidung erkennt die Europäische Kommission die Erfolge der Gravitationswellenobservatorien GEO600 und Virgo an und ebnet den Weg zum ersten pan-europäischen Gravitationswellendetektor", so Jacques Colas, Direktor des Europäischen Gravitationswellenobservatoriums (EGO) und Projektkoordinator der Entwicklungsstudie für das Einstein-Teleskop. Das Einstein-Teleskop gehört zu den Projekten, die vom ASPERA-Netzwerk für die zukünftige Entwicklung der Astroteilchenphysik in Europa empfohlen werden. Gravitationswellen sind winzige Verzerrungen der Raumzeit, die schon von Albert Einstein vorhergesagt wurden. Sie direkt zu messen, ist eine der wichtigsten und grundlegendsten Herausforderungen der modernen Physik. Die direkte Beobachtung von Gravitationswellen wird völlig neue Einblicke in unser Universum ermöglichen, bis hin zu seiner Entstehung. Keine andere Technologie eröffnet diese Möglichkeiten. Das Projekt Einstein-Teleskop ist ein gemeinsames Projekt von acht europäischen Forschungsinstituten. Die Federführung hat EGO, ein italienisch-französisches Konsortium mit Sitz in der Nähe von Pisa (Italien) übernommen. Neben EGO sind das Instituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) aus Italien, das französische Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), das deutsche Albert-Einstein-Institut (AEI) an der Leibniz Universität Hannover, die Universitäten von Birmingham, Cardiff und Glasgow aus Großbritannien sowie die Niederländische Vrije Universiteit Amsterdam beteiligt. Die jetzt von der Europäischen Kommission bereitgestellten Mittel werden im Laufe der nächsten drei Jahre für eine Entwicklungsstudie für das Einstein-Teleskop verwendet, die einen wichtigen Schritt zum Bau einer dritten Generation von Gravitationswellenobservatorien darstellt.
Ziel der Studie ist es, die Anforderungen an den Standort für das Teleskop, die benötigte Infrastruktur und nicht zuletzt das Gesamtbudget zu definieren. Michele Punturo, Wissenschaftskoordinator der Studie sagt dazu: "Während die ersten beiden Detektorgenerationen das Feld für die Gravitationswellenastronomie bereits eröffnen werden, erwarten wir von der dritten Generation ein Observatorium, das hundert Mal empfindlicher ist als die gegenwärtigen Detektoren. Auf diese Weise vergrößert sich das beobachtbare Volumen des Universums um den Faktor eine Million." Zudem wird man das gesamte auf der Erde messbare Frequenzspektrum von 1 Hz bis 10 kHz erfassen können. "Dadurch wird das Einstein-Teleskop eine neue Tür in der Gravitationswellenforschung aufstoßen", so Punturo weiter. Dieses anspruchsvolle Ziel wird durch die Kombination aller gegenwärtig bekannten Technologien in einem einzigen Observatorium erreicht. Harald Lück vom Albert-Einstein-Institut an der Leibniz Universität Hannover, stellvertretender wissenschaftlicher Koordinator der Studie und Leiter der derzeitigen technologischen Upgrades des deutsch-britischen Detektors GEO600 ergänzt: "Das Einstein-Teleskop ist ein gemeinsamer Plan aller europäischen Gravitationswellenforscher. Er ist mit den Projekten unserer amerikanischen Partner gut synchronisiert, von den gegenwärtigen Detektoren über die Observatorien der zweiten Generation - die in den nächsten Jahren Daten erheben werden - bis hin zum Einstein-Teleskop." "Die Beobachtung von Gravitationswellen wird, zusätzlich zur Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie, andere weitreichende Konsequenzen haben: Zum ersten Mal werden wir einen Blick in die 'Kinderstube' unseres Universums werfen können", so Harald Lück weiter. Bisher kann der Himmel nur im elektromagnetischen Spektrum (etwa Radiowellen, Röntgenstrahlung und sichtbares Licht) sowie durch die Analyse kosmischer Strahlen und Neutrinos beobachtet werden. Über die Anfangszeit unseres Universums vom Urknall bis 380.000 Jahre danach geben diese Methoden keinen Aufschluss, da das Universum erst dann durchlässig für elektromagnetische Strahlung wurde. Die verschiedenen Theorien über das frühe Universum konnten bisher also nicht experimentell verifiziert werden. Mit der direkten Beobachtung von Gravitationswellen wird es nun aller Voraussicht nach erstmals möglich sein, bis in die erste Trillionstel Sekunde nach dem Urknall zurück zu "lauschen". Damit werden völlig neue Informationen über das Universum zugänglich sein - die Gravitationswellenastronomie wird der Wissenschaft also vollkommen neue Bereiche eröffnen. Die Gravitationswellenforschung ist eine globale Herausforderung, denn viele Quellen von Gravitationswellen können nur dann genau untersucht werden, wenn mehrere Interferometer an verschiedenen Orten gleichzeitig Daten aufnehmen. Daher arbeiten die amerikanischen und europäischen Wissenschaftlergruppen seit langem eng zusammen: im Bereich der Technologieentwicklung, bei der Entwicklung von Methoden der Numerischen Relativitätstheorie - also beispielsweise der Simulation von Gravitationswellensignalen - sowie bei der Entwicklung neuer Methoden und Werkzeuge für die Datenanalyse. Das Gemeinschaftsprojekt Einstein-Teleskop wird diese weltweite Kollaboration noch weiter stärken. Gegenwärtig arbeiten in Europa mehrere Gravitationswellendetektoren der ersten Generation: Das deutsch-britische Observatorium GEO600 wird in der Nähe von Hannover betrieben, das französisch-italienisch-niederländische Virgo-Projekt ist in Cascina bei Pisa angesiedelt. Die Daten dieser Interferometer werden mit denen der drei amerikanischen LIGO-Interferometer zusammengeführt. Im gesamten Datenpool wird derzeit nach Gravitationswellensignalen aus astrophysikalischen Systemen gesucht. Die Suchmethoden, mit denen die Datensätze nach Gravitationswellensignalen durchforstet werden und die in der Analyse verwendeten Algorithmen sind das Ergebnis vieler Jahre Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Europa und den USA. Heute werden auf der internationalen Suche nach den ersten direkten Gravitationswellensignalen viele der Datenanalyseteams von europäischen Wissenschaftlern geleitet. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts werden alle interferometrischen Gravitationswellendetektoren zu Instrumenten der zweiten Generation aufgerüstet. Die Empfindlichkeit von Virgo und LIGO in den tieferen Frequenzen (bis etwa ein Kilohertz) wird durch den Einsatz von Technologien, die unter anderem in Europa entwickelt wurden, etwa verzehnfacht. GEO600 wird insbesondere in der Breitband-Beobachtung von hohen Frequenzen Pionierarbeit leisten, auch hier durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien. Sollten die derzeit arbeitenden Instrumente nicht die ersten direkten Nachweise von Gravitationswellen erbringen, wird dies mit großer Sicherheit von der zweiten Detektorgeneration erwartet. Das Einstein-Teleskop passt gut in dieses Szenario. Nach dem Abschluss der Entwicklungsstudie und der folgenden technischen Vorbereitungsphase könnte voraussichtlich 2017 oder 2018 mit dem Bau begonnen werden, nachdem die Instrumente der zweiten Generation ihre Arbeit aufgenommen haben. An der für die dritte Detektorengeneration erforderlichen Technologie wird in zahlreichen Ländern innerhalb und außerhalb Europas geforscht, auch in den USA und Japan. Alle Detektoren der dritten Generation, die irgendwann einmal gebaut werden, werden eng zusammenarbeiten müssen, genau wie die Detektoren der früheren Generationen.
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