ESA will Asteroidenablenkung testen
Redaktion / ESA
astronews.com
29. September 2005
Irgendwann wird es passieren: Astronomen werden einen Asteroiden auf
Kollisionskurs mit der Erde aufspüren. Bei der ESA will man vorbereitet sein: Im
Rahmen der Mission Don Quijote sollen die Sonden Hidalgo und Sancho zu
einem Asteroiden fliegen und herausfinden, ob sich dieser von seiner Bahn
ablenken lässt.

Die Sonde Sancho soll Hidalgos Kollision mit einem Asteroiden
aus sicherer Entfernung beobachten. Bild: ESA /
Deimos Space |
Die Mission Don Quijote ist eine gegenwärtig vom Team für
fortschrittliche Konzepte der ESA (ACT) untersuchte Mission zur Ablenkung von
Asteroiden. Anfang dieses Jahres legte der Beratungsausschuss für NEO-Missionen
(NEOMAP) einen Bericht über die Auswahl der Ziele für Europas künftige Missionen
zur Vorbeugung gegen Asteroideneinschläge vor, der die maßgeblichen Kriterien
für die Auswahl darlegte und zwei Himmelskörper bestimmte, auf die diese
weitgehend zutreffen. Die vorläufige Bezeichnung der beiden Asteroiden lautet
2002 AT4 und 1989 ML.
Das gegenwärtige Szenario für die Mission sieht zwei Raumsonden auf getrennten
interplanetaren Bahnen vor. Eine Sonde (Hidalgo) wird auf einen Asteroiden
aufprallen, die andere (Sancho) wird bereits vorher beim Zielasteroiden
ankommen, ihn einige Monate lang umkreisen und ihn dabei vor und nach dem
Aufprall unter die Lupe nehmen, um Änderungen an seiner Umlaufbahn
festzustellen.
Der Beginn der Industriestudien steht kurz bevor: Europäische
Experten sollen verschiedene Lösungen für das Konzept einer kostengünstigen
NEO-Vorläufermission vorschlagen. Damit wird ein erster Schritt in Richtung
Abwehr von Asteroideneinschlägen gemacht – eine der wenigen Naturkatastrophen,
die mit Hilfe unserer Technologie verhindert werden könnten.
Wie dringend Forschung auf diesem Gebiet ist, zeigte sich Ende letzten
Jahres: Während Weihnachten alle Augen auf den Tsunami in Asien gerichtet waren,
bereitete einer Gruppe von Wissenschaftlern etwas völlig anderes Sorge – ein
drohender Asteroideneinschlag (astronews.com berichtete): Am 19. Dezember 2004
wurde MN4, ein Asteroid von etwa 400 Meter Durchmesser, der nach seiner
Entdeckung sechs Monate zuvor von der Bildfläche verschwunden war, wieder
gesichtet.
Nach der Bestimmung seiner Bahn wurde augenblicklich klar: Die
Gefahr, dass er bei seinem nahen Vorbeiflug im Jahr 2029 die Erde rammen würde,
war außergewöhnlich hoch. Diese Wahrscheinlichkeit verringerte sich bei weiterer
Beobachtung nicht, und der Asteroid wurde dafür bekannt, dass er alle Rekorde
auf den Einschlagrisiko-Skalen von Turin und Palermo – einem Maßstab für das
Risiko von Asteroideneinschlägen in der Art der Richterskala für die Messung der
Stärke von Erdbeben – schlug.
Erst als frühere Beobachtungen gefunden und seine Bahn genauer berechnet
wurde, kam die Entwarnung. Der Himmelskörper würde nicht mit der Erde
zusammenstoßen – zumindest nicht im Jahr 2029. Spätere Einschläge wurden trotz
geringer Wahrscheinlichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Solange die Bahnen
dieses Asteroiden und anderer erdnaher Objekte nicht besser verfolgt und, wenn
nötig, Maßnahmen zu deren Abwehr ergriffen werden können, sind Prognosen äußerst
schwierig.
In internationalen Fachkreisen ist man sich weitgehend einig, dass nun eine
Lösung greifbar ist. Missionen wie die ESA-Mission Don Quijote könnten
ein Mittel zur Einschätzung der Bedrohlichkeit erdnaher Objekte und zur
Ergreifung konkreter Maßnahmen zu deren Ablenkung von ihrem Kollisionskurs mit
der Erde liefern. Für jeden guten Auftritt muss jedoch geprobt werden. Um auf
eine Gefahr dieser Art vorbereitet zu sein, sollten unsere Geräte zunächst an
einem harmlosen Asteroiden getestet werden. Don Quijote wäre die erste
Mission, die einen solchen Versuch unternimmt. Die große Frage war: Welcher
Asteroid und wie soll er beschaffen sein?
Unter den so genannten NEOs finden sich eine verwirrende Fülle vieler
verschiedener Objekte, weswegen die Auswahl der im Hinblick auf eine
Gefahreneindämmung wichtigsten physikalischen Parameter keine leichte Aufgabe
ist. Die NEOMAP-Wissenschaftler haben sich jedoch dieser Herausforderung
gestellt und im Februar 2005 der ESA Auswahlkriterien für Asteroiden, an denen
Bahnablenkungsmanöver ausprobiert werden könnten, empfohlen.
Hier würde wahrscheinlich manch einer fragen, ob ein solches Manöver, wie es
im Rahmen der Mission Don Quijote geplant ist, nicht auch ein Risiko für
die Erde darstellt. Welche Folgen hätte ein Fehlschlag? Würden dadurch nicht im
Gegenteil Probleme geschaffen statt gelöst? Die Antwort der Wissenschaftler
weltweit lautet: Nein. Selbst ein gewaltiger Einschlag eines schweren
Raumfahrzeugs auf einem kleinen Asteroiden würde diesen nur unwesentlich von
seiner Bahn abbringen. Die Bahnveränderung ist voraussichtlich so geringfügig,
dass man bei der Mission „Don Quijote“ zwei Sonden benötigt: ein Projektil und
eine Sonde zur Messung des Aufschlags, wobei letztere die von der Erde aus gar
nicht messbaren Veränderungen der Bahnparameter des Objekts aufzeichnen soll.
Die potentiellen Ziele können jedoch auch unter Umgehung aller Risiken
ausgewählt werden, indem überprüft wird, inwiefern sich die Entfernung zwischen
der Umlaufbahn des Asteroiden und der der Erde im Laufe der Zeit verändert.
Solange der Zielasteroid nicht zu den so genannten "Erdkreuzern" gehört, wie
etwa die NEOs in der Amor-Klasse (deren sonnennächster Punkt deutlich über eine
Astronomischen Einheit entfernt liegt), würde ein Bahnablenkungsmanöver für die
Erde keine Gefahr darstellen.
Andere die Bahnparameter des anvisierten Asteroiden betreffende Aspekte
spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, vor allem die Änderung der
Bahngeschwindigkeit, die die Sonde erreichen muss, um ihr Ziel einzuholen.
Dieser Wert sollte möglichst gering sein, um den Treibstoffverbrauch der Sonde
zu minimieren und kostengünstigere Trägerraketen nutzen zu können, jedoch auch
hoch genug, um die Sonde für eine Reihe unterschiedlicher Ziele einsatzbereit zu
halten.
Aufgrund der Anforderungen an die Navigation und die Messungen der
Bahnablenkung gestaltet sich die Auswahl des Zielasteroiden äußerst schwierig.
Wichtige Faktoren wie Form, Dichte und Größe sind oft kaum bekannt. Damit aber
eine Sonde einen Asteroiden umrunden kann, muss zur Navigationssteuerung
zunächst sein Schwerefeld bekannt sein. Zur Ausrichtung des Projektils hingegen
braucht man Angaben über den Massenschwerpunkt des Objekts.
Asteroiden gibt es in allen erdenklichen Varianten, in Bezug auf ihre
Zusammensetzung herrschen jedoch zwei Hauptgruppen vor. Unsere noch sehr
dürftigen Kenntnisse über die Häufigkeit der verschiedenen Asteroidentypen unter
den erdnahen Objekten lassen immerhin darauf schließen, dass der nächste für uns
gefährliche Asteroid voraussichtlich eher ein "C-Typ" als ein "S-Typ" sein wird.
Die Oberfläche der C-Typen ist dunkler und ihr Spektrum zeichnet sich durch
Kohlenstofflinien aus, während die S-Typen heller sind und ihre Spektren denen
von Silikaten ähneln. Die Oberflächeneigenschaften des Zielasteroiden,
insbesondere der Anteil des von ihm reflektierten Lichts, sind für die
Navigation während der Schlussphase des Projektilanflugs von Bedeutung. Je
heller das Objekt, desto leichter kann es anvisiert werden. Für einen ersten
Versuch sollte jedoch kein allzu leichtes Ziel ausgewählt werden.
Die Wahl der ESA fiel auf die Asteroiden 2002 AT4 und (10302) 1989 ML. Sie
stellen den besten Kompromiss zwischen sämtlichen – teilweise gegensätzlichen –
Auswahlkriterien dar. Die Entscheidung, welches der beiden Missionsziele
letztendlich von den Sonden Sancho und Hidalgo angeflogen wird,
dürfte 2007 gefällt werden.
Die Phase der internen Missionsstudien für Don Quijote ist
mittlerweile abgeschlossen, und es liegt nun an der Industrie, geeignete
Entwurfskonzepte vorzulegen. Die ESA hat die europäischen Raumfahrtunternehmen
aufgerufen, ihre Entwürfe einzureichen, von denen die vielversprechendsten gegen
Ende des Jahres ausgewählt werden. Anfang 2006 dürften dann zwei Teams ihre
Arbeit zur Bewertung dieser Technologiedemonstrationsmission aufnehmen. Wenn
deren Ergebnisse ein Jahr später feststehen, wird die ESA den endgültigen, zur
Durchführung freigegebenen Entwurf auswählen und "Don Quijote" kann sich auf
seinen Ritt zum Asteroiden machen.
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