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MILCHSTRASSE
Schwarzes
Loch noch vor 350 Jahren aktiv
Redaktion
astronews.com
27. Januar 2005
Bislang hatten Astronomen immer geglaubt, dass das Schwarze Loch im Zentrum
unserer Milchstraße nicht sonderlich aktiv ist und keine größeren Mengen an
Materie verschluckt. Weit gefehlt: Mit Hilfe des ESA-Gammastrahlen-Observatorium Integral
entdeckten Forscher jetzt eindeutige Hinweise auf eine deutlich aktivere Phase
vor rund 350 Jahren. Und auch in Zukunft könnte das Schwarze Loch wieder aktiv
werden.
Die Falschfarben-Abbildung zeigt die Region um das Zentrum
unserer Milchstraße, wie sie von Integral im Gammalicht gesehen
wird. Die Positionen des supermassereichen Schwarzen Loches Sgr
A* und der Molekülwolke Sgr B2 sind markiert. Die Entfernung
zwischen Sgr A* und Sgr B2 beträgt etwa 350 Lichtjahre. Die
anderen hellen Objekte auf der rechten Bildseite sind bereits
bekannte Quellen von Gammastrahlung. Bild: ESA, M.
Revnivtsev (IKI/MPI Astrophysik) |
Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass sich im Zentrum unserer
Milchstrasse ein supermassereiches Schwarzes Loch befindet, das zur Zeit
allerdings in einer Art "Ruhezustand" ist. Doch neueste Beobachtungen mit
Integral, dem Gammastrahlen-Observatorium der ESA, haben jetzt gezeigt, dass
dieses Schwarze Loch noch vor etwa 350 Jahren wesentlich aktiver gewesen sein
muss und im Vergleich zu heute Millionen mal mehr Energie abgegeben hat. Die
Messungen wurden von einem internationalen Forscherteam durchgeführt, an dem
auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik beteiligt waren.
Die Forscher rechnen damit, dass das Schwarze Loch auch in Zukunft wieder aktiv
werden könnte. Die Wissenschaftler berichten von ihren Erkenntnissen in der
Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics.
Die meisten Galaxien beherbergen in ihrem Zentrum ein supermassereiches
Schwarzes Loch, welches Millionen, ja sogar Milliarden Mal massereicher als
unsere Sonne sein kann. Auch unsere eigene Galaxie, die Milchstrasse, enthält
eine solche supermassereiche Gravitationsfalle. Astronomen nennen sie Sgr A*
(gesprochen: "Sagittarius A star") - wegen ihrer Position im südlichen
Sternenbild Schütze (lat. Sagittarius).
Trotz seiner enormen Masse von mehr als einer Million Sonnen erscheint Sgr A*
heute als eine eher ruhige und harmlose Materiefalle. Doch nun haben neue
Untersuchungen mit dem ESA-Gammastrahlen-Observatorium Integral gezeigt,
dass Sgr A* in der Vergangenheit wesentlich aktiver gewesen sein muss. Die Daten
belegen eindeutig, dass es mit seiner Umgebung in heftige Wechselwirkungen
getreten ist und damals Millionen Mal mehr Energie freigesetzt hat als heute.
Zu diesem Ergebnis ist ein internationales Team von Wissenschaftlern unter
der Leitung von Dr. Mikhail Revnivtsev, Space Research Institute, Moskau,
Russland, und Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching, gekommen. Wie
Revnivtsev es formuliert: "Vor etwa 350 Jahren ging die Region um Sgr A*
buchstäblich in einer Flut von Gammablitzen unter." Diese Gammastrahlung ist
unmittelbare Folge der früheren Aktivität von Sgr A* in einer Phase, in welcher
Gas und Staub, eingefangen von der Gravitation des Schwarzen Lochs, verdichtet
und so lange aufgeheizt wurden, bis sie sehr intensiv Röntgen- und
Gammastrahlung abgaben, um dann schließlich hinter dem Ereignishorizont - dem
"point of no return", von welchem nicht einmal mehr Licht zu entrinnen vermag -
zu verschwinden.
Das Forscherteam war nur dank einer gigantischen kosmischen Wolke aus
molekularem Wasserstoff, die man als Sgr B2 bezeichnet, in der Lage, diesen Teil
der Geschichte von Sgr A* zu enthüllen. Jene Wolke befindet sich etwa 350
Lichtjahre von Sgr A* entfernt und spielt somit die Rolle eines lebenden
Zeitzeugen der hektischen Vergangenheit dieses Schwarzen Lochs. Auf Grund seiner
Distanz zu dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße wird Sgr B2 erst heute
von den vor 350 Jahren von Sgr A* emittierten Gammastrahlen erreicht, Strahlung
also aus einer Zeit hoher Aktivität der Materiefalle. Diese hochenergetische
Strahlung wird von dem Gas in Sgr B2 absorbiert und anschließend mit einer
eindeutigen Signatur erneut emittiert.
"Wir sehen heute gewissermaßen das Echo des Ausbruchs in einem natürlichen
Spiegel nahe dem galaktischen Zentrum - die riesige Wolke Sgr B2 reflektiert
also jene Gammastrahlen, die von Sgr A* vor 350 Jahren emittiert wurden", sagt
Revnivtsev. Der Blitz war offenbar so stark, dass die davon beleuchtete Wolke
selbst im Röntgenbereich fluoresziert hat, so dass diese Strahlung schon vor
Integral von anderen Röntgenteleskopen gesehen wurde. Allerdings gab es
bisher auch andere Vorschläge, die Herkunft der Röntgenstrahlung zu erklären,
beispielsweise als Wechselwirkung der Wolke mit kosmischer Strahlung. Doch die
neuen Messungen mit Integral zeigen eindeutig, dass es hochenergetische
Strahlung vom Schwarzen Loch selbst sein muss, die von der Wolke reflektiert und
reprozessiert wurde. Damit ist es den Wissenschaftlern erstmals gelungen, eine
stürmische Periode in der Geschichte von Sgr A* zu rekonstruieren.
Das Stadium hoher Aktivität Schwarzer Löcher steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Art und Weise ihres Wachstums: Denn supermassereiche
Schwarze Löcher kommen nicht mit diesem Geburtsgewicht zur Welt, sondern wachsen
schrittweise auf Grund ihrer gewaltigen Schwerkraft, indem sie mit der Zeit mehr
und mehr Materie aus ihrer Umgebung verschlingen. Beim Verschlucken dieser
Materie entstehen dann gewaltige Blitze im Röntgen- und Gammalicht. Dabei gilt:
Je gieriger das Schwarze Loch, desto stärker ist seine freigesetzte Strahlung.
Die Entdeckung mit Integral löst endlich das Geheimnis, welche
Eigenschaften die Emission solcher "stillen" supermassereichen Schwarzen Löcher
wie Sgr A* besitzt. Schon länger hatten Wissenschaftler vermutet, dass es viele
solcher "stillen" Schwarzen Löcher im Universum geben muss. Doch bisher war man
nicht in der Lage zu sagen, wie viel Energie und in welcher Weise sie diese
abstrahlen. "Noch vor einigen Jahren hätten wir nicht zu träumen gewagt, dieses
Rätsel so bald zu lösen", sagt Revnivtsev. "Dank Integral ist es uns nun
gelungen!" Die Messergebnisse von Revnivtsev und seinem Team belegen, dass das
letzte Stadium hoher Aktivität von Sgr A* vor etwa 350 Jahren mindestens zehn
Jahre gedauert haben muss.
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