Forschungszentrum für Raumfahrttechnologie in der Lausitz?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und
Umformtechnik IWU astronews.com
19. August 2022
In der Lausitz könnte bald das Weltraumzeitalter beginnen:
Ein Konsortium aus derzeit 66 Partnern gehört zu den letzten sechs Bewerbern um
zwei neue Großforschungszentren. Ist der Förderantrag erfolgreich, soll in der
Kohleregion das European Research Institute for
Space Resources entstehen und zu einem Motor für den Strukturwandel werden.

So wie in dieser künstlerischen Darstellung
könnte der künftige ERIS-Campus aussehen. Die
Standortentscheidung ist noch nicht gefallen.
Bild: ERIS-Konsortium [Großansicht] |
Die geplante Großforschungseinrichtung European Research Institute for
Space Resources (ERIS) soll Kompetenzträger aus den Bereichen der
Weltraumforschung sowie der Rohstoff-, Produktions-, Infrastruktur-, und
Versorgungstechnik zusammenbringen, um dann gemeinsam Weltraumtechnologien zu
entwickeln, die auch ein nachhaltiges Leben auf unserem Planeten ermöglichen.
Der ERIS-Campus könnte in der
Technologieregion Lausitz entstehen, wo wichtige Strukturen und Kompetenzen
bereits vorhanden sind. Das Fraunhofer IWU ist Mit-Antragsteller für den
Förderantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung. Sollte das
ERIS-Konsortium mit derzeit 66 Partnern aus Forschung, Wirtschaft und Politik
als eines der sechs verbliebenen Bewerber um zwei Großforschungszentren den
Zuschlag erhalten, würde im Januar 2023 für die Lausitz das Weltraumzeitalter
beginnen.
Das Projektvolumen beträgt jeweils insgesamt 1,25 Milliarden Euro.
Technologieentwicklungen, die erforderlich sind, um die geplanten
astronautischen Missionen zu anderen Himmelskörpern zu ermöglichen und Stationen
auf Mond und Mars einzurichten und zu betreiben, haben ein enormes Transfer- und
Innovationspotenzial für viele Anwendungen und Industriezweige auf der Erde.
Denn Technologien, die menschliches Leben auf Mond und Mars ermöglichen, können
auch auf der Erde dazu dienen, Ressourcenverbräuche auf das Notwendigste zu
beschränken, Stoffkreisläufe lokal zu schließen und Energie zu sparen. Extreme
Umweltbedingungen auf Mond und Mars und die Beschränkung auf vor Ort zu
gewinnende Rohstoffe haben zur Folge, dass sämtliche Hilfsstoffe regeneriert und
dem Kreislauf zurückgeführt werden müssen, was viele Parallelen zu den
gesellschaftlichen Herausforderungen der Nachhaltigkeitswende aufweist.
Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt von ERIS wäre die Nutzbarmachung und
Nutzung lokal verfügbarer Ressourcen sowie die dafür notwendigen
Schlüsseltechnologien Robotik und autonome Systeme. Damit wird die Prozesskette von der Rohstoffgewinnung über
die Produktion bis hin zu der für das Überleben von Menschen notwendigen
Infrastruktur und Versorgung abgedeckt. Wegen der lebensfeindlichen Bedingungen
auf dem Mond müssen viele der komplexen Aufgaben zuverlässig von Robotern
erledigt werden.
Die Produktion ist ein zentraler Enabler für die erforderlichen
Technologien sowie Infrastruktur und Versorgung. Das Fraunhofer-Institut für
Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU als Leitinstitut für
ressourceneffiziente Produktion ist damit ein idealer Partner für ERIS. Das
Fraunhofer IWU verfügt über umfangreiche Kompetenzen in Anlagen-, Fahrzeug- und
Maschinenbau, Prozessdigitalisierung, Anlagenautomatisierung und Robotik. Die
Taskforce Space Technology am Fraunhofer IWU bringt ihre Expertise zur auf
Anhieb fehlerfreien Produktion (First-Time-Right) ein, die bereits erfolgreich
bei Komponenten des neuen Athena-Teleskops der europäischen
Raumfahrtorganisation ESA zur
Anwendung kommt.
Transfererkenntnisse aus dem Digitalisierungsprojekt COOPERANTS
(Collaborative Processes and Services for Aeronautics and Space), das
effizientere Formen für zukünftige Arbeitsmethoden und Produktionsprozesse über
den gesamten Lebenszyklus von Raum- oder Luftfahrzeugen erforscht, wären
ebenfalls von großer Bedeutung für ERIS. Denn effiziente Digitalisierung
ermöglicht gleichzeitig eine erhebliche Entlastung in Stationen auf dem Mars
oder dem Mond für Arbeiten, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen
gefährden würden. Hochautomatisierte, gar autonome Fertigungsprozesse binden
außerdem kaum oder keine wertvolle Arbeitszeit. Der Großteil der benötigten
Ressourcen muss vor Ort gewonnen werden, da Transporte schlicht zu teuer wären.
Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft sind daher auch eine wirtschaftliche
Voraussetzung für dauerhafte menschliche Präsenz auf anderen Planeten (die
multiplanetare Zivilisation).
Die Lausitz mit ihrem industriellen Profil einer
Kohleregion bringt als Standort bereits hervorragende Voraussetzungen für eine
Weltraumforschungseinrichtung mit. Die geforderten Kompetenzen in
Rohstoffgewinnung und Verarbeitung, Energieerzeugung und -wandlung sowie
-verteilung erfüllt sie als Kohleregion in hohem Maße. Insbesondere die
Gewinnung und Aufbereitung von Rohstoffen aus dem Boden erfordern auch auf
anderen Planeten zunächst Tagebaukompetenzen.
Andererseits kann die Lausitz als
Region im wirtschaftlichen Strukturwandel profitieren. ERIS soll
Innovationsmotor für ressourceneffiziente, klima- und umweltgerechte sowie
digitale, künstlich-intelligente und automatisierte Technologien werden und der
Region helfen, neue Geschäftsfelder zu erschließen und mit neuartigen
Technologien und Produkten eine Zukunft ermöglichen, die an die stolze
Vergangenheit dieser Region anknüpft. Produktion ist ein Schlüssel zu regionaler
Wertschöpfung, zur Integration bestehender Ökosysteme sowie Motor industrieller
Transformation – und für das Fraunhofer IWU einer der wesentlichen Gründe, sich
für das Projekt in der Lausitz zu engagieren.
Das architektonische Konzept
zeichnet einen nach innen und außen offenen ERIS-Campus, der auf seinem Gelände
viele wissenschaftliche Disziplinen beherbergt - und sich als integraler
Bestandteil der Region versteht. Der Anspruch ist, Hand in Hand mit allen
politischen Ebenen, Forschungseinrichtungen und örtlichen Firmen an der
Transformation der Lausitz zu arbeiten. Bereits in der Hochlaufphase von ERIS
werden viele größere und kleinere Player der Region ihre Expertise aus
Energiesystemen, Stoffwandlung oder Maschinenbau einbringen können - und haben
bereits entsprechendes Interesse bekundet. Beispielsweise ist der Lausitzer
Energiekonzern LEAG als Weltmarktführer der Material- und Transportlogistik als
einer der ersten Partner an Bord.
ERIS vermeidet bewusst, schon jetzt vollendete
Tatsachen zu schaffen. Vielmehr bietet sich der Lausitz die Chance, an wichtigen
Entscheidungen teilzuhaben. Dies beginnt beim Standort, für den es keine
Vorfestlegung gibt. Auch für die erweiterte Region bieten sich viele
Möglichkeiten der Mitarbeit. So wird das Kompetenzzentrum Luft- und
Raumfahrttechnik Sachsen/Thüringen (LRT), das rund 40 Zulieferer in Sachsen und
Thüringen vereint, die Forschungsinfrastruktur am Campus mitgestalten und
nutzen. Der geplante ERIS-Campus bietet rund 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern ein
attraktives Arbeitsumfeld in einer weltweit einzigartigen Forschungs- und
Versuchsinfrastruktur.
Diese Infrastruktur würde, so die Hoffnung der Antragsteller, ERIS für Kooperationspartner aus
Wissenschaft und Wirtschaft hochattraktiv machen. Ein erheblicher Teil der
Projektmittel ist für eine Forschungsinfrastruktur vorgesehen, die die
Bedingungen auf Mond und Mars möglichst realistisch abbilden. Forschende werden
künftig für viele Vorhaben gar nicht zu den beiden Himmelskörpern fliegen
müssen, was den Transfer beschleunigt. Neben dem Forschungszentrum selbst bietet
der Campus auf einer Fläche von insgesamt ca. 100 Hektar umfangreiche
Möglichkeiten für die Ansiedlung innovativer Unternehmen sowie zukunftsweisender
Wohn- und Unterkunftsmöglichkeiten.
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