Detaillierter Blick auf den Ceres-Krater Urvara
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
23. Februar 2022
Der drittgrößte Krater auf dem Zwergplaneten Ceres war viele
Millionen Jahre nach seiner Entstehung noch mindestens einmal geologisch aktiv.
Das ergab eine jetzt vorgestellte detaillierte Auswertung von Datenmaterial, das
in der letzten Phase der Dawn-Mission gewonnen wurde. Außerdem fanden sich auch
hier Ablagerungen organischer Verbindungen.

Etwa 170 Kilometer misst der Urvara-Krater
im Durchmesser. Die mehrfach terrassierten
Kraterwände umschließen eine Vielzahl
unterschiedlichster geologischer Strukturen.
Markantestes Merkmal ist die etwa 25 Kilometer
lange Bergkette, die sich unweit der Kratermitte
erstreckt.
Bild: MPS, basierend auf Daten der
Dawn-Mission: NASA / JPL-Caltech / UCLA / MPS /
DLR / IDA [Großansicht] |
Zahlreiche große Krater zeigen sich auf der Oberfläche des Zwergplaneten Ceres,
der mit einem Durchmesser von etwa 960 Kilometern der größte Körper im
Asteroidengürtel ist. Der wohl auffälligste dieser Krater heißt Occator und
liegt auf der Nordhalbkugel. Die hellen Flecken in seinem Innern, die sich schon
in der Anflugphase deutlich zeigten, entpuppten sich als salzhaltige
Überbleibsel einer unterirdischen Sole, die bis in jüngster geologischer Zeit
durch kryovulkanische Prozesse an die Oberfläche drangen. In einem anderen
großen Krater, genannt Ernutet, finden sich Hinweise auf freiliegende organische
Verbindungen und somit auf eine sehr komplexe Chemie.
Mit einer jetzt vorgestellten Studie legen Forscherinnen und Forschern des
Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen, der
Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des National Institute
of Science Education and Research (NISER) in Indien nun die bisher
detailreichste Untersuchung des Urvara-Kraters vor. Auf der Südhalbkugel
gelegen, ist er mit einem Durchmesser von 170 Kilometern der drittgrößte
Ceres-Krater. Der Einschlag, durch den er vor etwa 250 Millionen Jahren
entstand, dürfte Material aus bis zu 50 Kilometern Tiefe zu Tage gefördert
haben.
"Die großen Impaktstrukturen auf Ceres verschaffen uns Zugang zu den
tieferliegenden Schichten des Zwergplaneten“, erklärt Dr. Andreas Nathues vom
MPS, wissenschaftlicher Leiter des Kamera-Teams der NASA-Sonde Dawn,
die den Zwergplaneten ab 2015 aus einer Umlaufbahn detailliert untersucht hatte.
"Wie sich zeigt, ist die heutige Topographie und mineralogische Zusammensetzung
einiger großer Ceres-Krater das Ergebnis komplexer und langanhaltender
geologischer Prozesse, die die Oberfläche des Zwergplaneten verändert haben."
Um diese Prozesse möglichst genau nachvollziehen zu können, sind hochaufgelöste
Aufnahmen und spektroskopische Daten notwendig. Die präzisesten Messdaten des
Urvara-Kraters entstanden in der "Verlängerung" der Dawn-Mission: Nach Ablauf
der zunächst auf zwei Jahre ausgelegten Primärmission, reichten die
verbleibenden Treibstoffreste, um auf wagemutigeren, stark elliptischen Bahnen
die Oberfläche des Zwergplaneten stellenweise in einem Abstand von nur 35
Kilometern zu überfliegen. Mithilfe der beiden Dawn Framing Cameras,
dem wissenschaftlichen Kamerasystem der Mission, entstanden dabei Aufnahmen, in
denen sich Strukturen von einigen Metern Größe erkennen lassen. Das Kamerasystem
wurde unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut und während der Mission
betrieben.
Die hochaufgelösten Aufnahmen des Urvara-Kraters offenbaren eine geologisch
ausgesprochen vielfältige Landschaft. Mehrfach terrassierte Steilhänge
umschließen das Einschlagsbecken; als markantestes Merkmal ragt etwas abseits
der Kratermitte eine etwa 25 Kilometer lange und drei Kilometer hohe Bergkette
empor. An ihrer südlichen Flanke finden sich schroffe Klippen, ausgedehnte
Geröllfelder – und vereinzelt helles Material, das an die berühmten Flecken des
Occator-Kraters erinnert. Des Weiteren zeigen die Bilder eine tiefe Senke,
Gebiete mit auffallend glatter Oberfläche und solche, die von zahlreichen
kleineren, runden Vertiefungen übersät sind.
"Unsere Auswertungen ergeben, dass verschiedene Bereiche des Kraters sehr
unterschiedlich alt sind", so Dr. Nico Schmedemann vom Institut für Planetologie
der WWU. "Der Altersunterschied beträgt bis zu 100 Millionen Jahre. Das deutet
darauf hin, dass dort Prozesse am Werk waren, die noch lange nach der
eigentlichen Entstehung des Kraters gewirkt haben." Für Untersuchungen dieser
Art zählen Forscherinnen und Forscher die kleinen Krater, die jede Oberfläche
atmosphäreloser Körper überziehen. Da ältere Oberflächen mehr Zeit hatten,
solche Einschläge kleinerer Brocken aus dem Weltall "anzusammeln", weisen sie
mehr Krater auf als jüngere.
Bei der genauen Altersbestimmung spielen zudem Modelle von der Stärke des
Bombardements zu verschiedenen Zeiten eine Rolle. Die ursprünglichsten Gebiete
im Urvara-Krater sind demnach etwa 250 Millionen Jahre alt. Dieser Zeitpunkt
markiert die Entstehung des Kraters selbst. Zu den jüngeren Oberflächen
innerhalb des Kraters zählen ausgedehnte glatte, dunkle Gebiete sowie
Senktrichter, die wahrscheinlich durch Gasaustritt im Untergrund entstanden
sind.
Weitere Hinweise auf die bewegte Vergangenheit des Kraters enthalten die Bilder,
die mithilfe der Farbfilter des Kamerasystems aufgenommen wurden. Sie erlauben
Rückschlüsse darauf, welche Wellenlängenbereiche des sichtbaren Lichtes
bestimmte Oberflächen ins All reflektieren – und damit auf ihre mineralogische
Zusammensetzung. Wie sich zeigt, handelt es sich bei dem hellen Material um
Salze. Daten des Dawn-Spektrometers VIR, das von der italienischen
Weltraumagentur ASI zur Mission beigesteuert wurde, deuten zudem darauf hin,
dass sich an einem Hang westlich der zentralen Bergkette organische Verbindungen
zusammen mit Salzen abgelagert haben. Eine solche Kombination aus markanten
Salzablagerungen und organischen Verbindungen wurde zuvor noch nicht beobachtet.
Auch die Ablagerungen organischer Verbindungen sind offenbar vergleichsweise
jung.
"Die Frage nach dem Ursprung und der Entstehung organischer Stoffe auf Ceres ist
nach wie vor offen. Ihre Antwort hat Auswirkungen auf unser Verständnis der
gesamten geologischen Geschichte von Ceres und mögliche Verbindungen zu Fragen
der Astrobiologie und Habitabilität", erklärt NISER-Wissenschaftler Dr.
Guneshwar Thangjam. "Die organischen Verbindungen, die wir möglicherweise im
Urvara-Krater auf der Südhalbkugel gefunden haben, unterschieden sich deutlich
von den Gebieten im Ernutet-Krater auf der Nordhalbkugel, die reich an
organischen Verbindungen sind. Das Team arbeitet an diesen Fragen, indem es
sowohl FC- als auch VIR-Spektraldaten auswertet."
"Insgesamt zeigt sich uns im Urvara-Krater ein ausgesprochen komplexes Bild, das
wir noch nicht vollständig verstehen und das Raum für zwei Interpretationen
lässt", fasst Nathues die Ergebnisse zusammen. So könnte etwa der Einschlag, der
den Urvara-Krater formte, Salze aus dem Innern des Zwergplaneten an die
Oberfläche befördert haben. Einiges spricht jedoch dafür, dass stattdessen eine
salzhaltige Sole im Spiel war, die aus dem Innern nach oben stieg und weitere
Prozesse in Gang setzte. Ob die Sole die Oberfläche erreichte oder sich
lediglich dicht darunter anreicherte, ist unklar.
Unabhängig von der genauen Interpretation bekräftigen die aktuellen Ergebnisse
das Bild des Zwergplaneten, das die Dawn-Mission in den vergangenen Jahren von
Ceres gezeichnet hat: ein geologisch aktiver Körper, unter dessen Kruste sich in
verschiedenen Tiefen salzhaltige Schichten erstrecken. Diese könnten in
Verbindung stehen mit einem früheren, in der Tiefe gelegenen Ozean, der auch
organische Verbindungen enthielt. Trotz Ceres‘ gewaltigen Sonnenabstandes und
der damit verbundenen Kälte könnte diese Sole dank der gelösten Salze noch heute
in großen flüssigen Reservoirs in etwa 40 Kilometern Tiefe überdauern.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Communications erschienen ist.
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