Start in eine neue Ära der Röntgenastronomie
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
21. Juni 2019
Die kleine Flotte von Röntgenteleskopen soll an diesem
Wochenende um einen neuen Röntgenspäher erweitert werden: Das deutsche Teleskop
eRosita wird an Bord einer Proton-M-Trägerrakete vom russischen Weltraumbahnhof
Baikonur aus ins All starten. Auf einer Plattform an Bord befindet sich neben
eRosita auch ein russisches Teleskop namens Art-XC.
Gebündelte Sehkraft: Das Röntgenteleskop
eRosita besteht aus sieben identischen
Spiegelmodulen mit je 54 Spiegelschalen. Nach der
Integration der Spiegel und Kameras im Reinraum
des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische
Physik wurden die Röntgenaugen durch eine
Schutzklappe verschlossen.
Bild: Peter Friedrich/MPE [Großansicht] |
Mit eRosita beginnt eine neue Ära der Röntgenastronomie. Denn kein Teleskop
zuvor hat den gesamten Himmel derart detailliert ins Visier genommen, wie das
eRosita tun soll. "Die bisher unerreichte spektrale und räumliche Auflösung wird
es uns erlauben, die Verteilung von riesigen Galaxienhaufen zu untersuchen und
mehr über die rätselhafte Dunkle Energie zu erfahren", sagt Peter Predehl vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik als wissenschaftlicher Leiter
der Mission.
Tatsächlich beschäftigt die Frage nach der Natur der mysteriösen Dunklen
Energie, die das Universum beschleunigt auseinandertreibt, die Astronomen seit
vielen Jahren. In der Dunklen Energie stecken knapp 70 Prozent der Gesamtmasse
des Universums. Sie entzieht sich einer direkten Beobachtung, beeinflusst aber
gemeinsam mit der Dunklen Materie – sie macht ungefähr 30 Prozent des Alls aus –
die Entstehung und Entwicklung von Galaxienhaufen; diese stellen die größten
gravitativ gebundenen Objekte im Universum dar.
Röntgenbeobachtungen von Galaxienhaufen erlauben Einblicke in die Art und
Weise, wie das Universum expandiert. Zudem liefern sie Hinweise auf den Anteil
der sichtbaren Materie und auf Fluktuationen, die vermutlich unmittelbar nach
dem Urknall auftraten. Diese winzigen Schwankungen im damals herrschenden
Quantenvakuum scheinen hinter dem Ursprung von Galaxienhaufen und der gesamten
Architektur des Kosmos zu stecken.
eRosita soll in einer detaillierten Himmelsdurchmusterung den großräumigen
Aufbau des Weltalls kartografieren und rund 100.000 Galaxienhaufen beobachten.
Dabei richten die Forscher ihr Augenmerk auf das heiße intergalaktische Medium
in diesen Haufen, aber auch auf Gas und Staub dazwischen. Diese Materiefäden
verleihen dem Kosmos im Großen die Struktur eines Netzes, wobei sich die
Galaxienhaufen gleichsam an den Knoten dieses Netzes anordnen.
Die Wissenschaftler erwarten, dass das Röntgenteleskop zudem Millionen von
aktiven galaktischen Kernen erfasst, in denen massereiche Schwarze Löcher
sitzen. Auch innerhalb unserer Milchstraße soll eRosita viele Röntgenquellen
entdecken, darunter Doppelsterne und die Überreste von Sternexplosionen,
sogenannte Supernovae. Außerdem stehen seltene Objekte wie isolierte
Neutronensterne – die ausgebrannten und superdichten Relikte von gestorbenen,
massereichen Sonnen – auf dem Beobachtungsplan.
Röntgenlicht lässt sich nicht mit normalen Parabolspiegeln, wie sie sich in
optischen Fernrohren befinden, auffangen und bündeln. Denn Röntgenphotonen
besitzen eine große Energie. Um sie von einer Spiegelfläche zu reflektieren,
müssen sie in einem sehr flachen Winkel einfallen. Derartige Wolter-Teleskope
ähneln langen Röhren, in denen die Spiegel ineinander gefügt sind, um die Zahl
der registrierten Photonen zu erhöhen. So besteht eRosita aus sieben identischen
Spiegelmodulen mit je 54 verschachtelten Schalen. Diese sind extrem glatt und
mit Gold beschichtet, um die nötige Reflektivität für streifenden Einfall zu
erreichen. Im Fokus jedes Spiegelmoduls sitzen spezielle Röntgenkameras.
Auf Basis der schon bei früheren Missionen verwendeten, lichtempfindlichen
elektronischen Bauelemente (Röntgen-CCDs) haben die Forscher am
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik ein neuartiges Detektorsystem
entwickelt. Darin kommen CCDs aus höchst reinem Silizium zum Einsatz. Diese
werden auf eine Temperatur von minus 90 Grad Celsius gekühlt und erreichen
dadurch eine hohe Empfindlichkeit.
Bereits im Jahr 2016 wurde das letzte Spiegelmodul im Reinraum des Garchinger
Instituts in das Teleskop integriert. Danach bestand eRosita alle Tests auf dem
institutseigenen Prüfstand mit Bravour. Seit 2017 befindet sich der
Röntgenspäher in Russland, wo es zusammen mit dem russischen Sekundärinstrument
Art-XC in die Mission Spektrum-RG (für Röntgen-Gamma) integriert und schließlich
ins kasachische Baikonur gebracht wurde. Der Start mit einer
Proton-M-Trägerrakete war zunächst für heute Nachmittag geplant, dann aber auf
morgen verschoben.
Im Gegensatz zu seinem deutschen Vorläufer Rosat, wird eRosita nicht auf
einer Bahn die Erde umkreisen, sondern in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung
platziert. Dort, am Librations- oder Lagrangepunkt 2, wird das Teleskop jedoch
nicht ortsfest stationiert, sondern diesen Punkt auf einer ausgedehnten Bahn
umlaufen. Einer der Vorteile besteht darin, dass das Teleskop die Orientierung
in Bezug auf Sonne und Erde beibehält und daher die Abschirmung vor
Sonnenstrahlung wesentlich einfacher ist als auf einer Erdumlaufbahn. Die
Mission von eRosita soll ungefähr sieben Jahre dauern.
Update (21. Juni 2019, 17 Uhr): Der ursprünglich für heute
vorgesehene und dann auf morgen verschobene Start des Satelliten Spektrum-RG mit
dem deutschen Röntgenteleskop eRosita an Bord verzögert sich weiter: Wegen
Problemen mit einer Batterie an Bord des Satelliten wird der Start nicht vor dem
12. Juli erfolgen.
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