Zombie-Sterne auf der Flucht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
11. März 2019
Astronomen haben drei Hyper-Velocity-Sterne entdeckt, die
offenbar eine Supernova überlebt haben. Die Zombie-Sterne könnten neue
Erkenntnisse über die Entstehung und Verteilung schwerer Elemente im Universum
liefern. Mit ihren Untersuchungen haben die Forscher nicht nur eine neue Klasse
dieser Sterne, sondern auch einen neuen physikalischen Schleudermechanismus für
diese Sterne identifiziert.
Hyper-Velocity-Sterne haben eine so hohe
Geschwindigkeit, dass sie unsere Milchstraße
verlassen (Illustration). Bild:
ESA / Hubble, NASA und Sebastian Geier [Großansicht] |
2005 wurden sie erstmals aufgespürt: Sterne, die sich so schnell durch die
Milchstraße bewegen, dass sie unsere Galaxie irgendwann verlassen werden. Trotz
intensiver Suche wurden bis heute nicht mehr als zwei Dutzend solcher
Hyper-Velocity-Sterne (HVS) entdeckt. Nicht eindeutig geklärt ist bislang die
Frage, woher die Schnellläufer den enormen Impuls bekommen, um das
Gravitationsfeld unserer Galaxie überwinden zu können.
"Die bevorzugte Erklärung ist das Auseinanderreißen eines Doppelsternsystems
durch das monströse Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße", sagt Prof. Dr.
Ulrich Heber vom Astronomischen Institut der FAU und einer der Entdecker der
ersten HVS. "Untersuchungen der vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass
das nicht der einzige Schleudermechanismus sein kann", ergänzt sein FAU-Kollege
Dr. Andreas Irrgang.
Das Gaia-Weltraumteleskop der europäischen Weltraumagentur ESA hat
nun eine Tür aufgestoßen, den Ursprung der HVS besser zu verstehen. Die im April
2018 veröffentlichten astrometrischen Daten erlaubten es erstmals, die Bahnen
der HVS in der Milchstraße dreidimensional zu vermessen und ihre Herkunft zu
orten. Bei der systematischen Suche nach neuen Schnellläufern kombinierten
FAU-Forscher um Dr. Roberto Raddi die Gaia-Daten mit anderen
astronomischen Katalogen und machten dabei eine erstaunliche Entdeckung: Sie
fanden drei HVS, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem exotischen HVS LP
40-365 zeigten, der anderen Astronomen vor zwei Jahren zufällig ins Netz
gegangen war. Beobachtungen mit Großteleskopen, darunter dem Hubble-Weltraumteleskop,
an denen sich Astronomen von zehn weiteren Universitäten aus Deutschland,
Großbritannien, Italien und den USA beteiligten, brachten Gewissheit: Die drei
Kandidaten ähneln LP 40-365 wie ein Ei dem anderen – eine neue Klasse von HVS
war gefunden worden.
Das Besondere an diesen Sternen ist vor allem ihre chemische Zusammensetzung:
Sie bestehen überwiegend aus Neon und Sauerstoff und weisen keinerlei Spuren von
Wasserstoff und Helium auf, wie das bei normalen Sternen der Fall ist. Wie ist
das möglich? "Explosive thermonukleare Fusionsprozesse, etwa in einer
Wasserstoffbombe, können leichte chemische Elemente in schwere Elemente bis hin
zu Eisen verwandeln", erklärt Roberto Raddi. "In der Astronomie konnte dies
tatsächlich bei Supernovae nachgewiesen werden, die durch die Explosion eines
sogenannten Weißen Zwergs, eines erdgroßen entarteten Sterns, ausgelöst werden.
Dieser explodiert, wenn er von einem Begleitstern genügend Masse aufgesaugt
hat."
Haben die FAU-Astronomen Zombie-Zwerge aufgespürt, Überlebende einer
Supernova? Bisher legten numerische Simulationen nahe, dass eine solche
Explosion den Weißen Zwerg komplett zerreißen würde. Der Begleiter bliebe allein
zurück und würde als HVS aus der Milchstraße hinausgeschleudert. Neue
Explosionsmodelle zeigen nun, dass der Weiße Zwerg nicht in jedem Fall
vollständig zerstört wird: Etwa 20 Prozent seiner Masse könnte als Rest
überleben – bestehend aus den Kernfusionsprodukten Neon, Sauerstoff, Magnesium,
Aluminium und Elementen der Eisengruppe, beispielsweise Mangan.
Und genau dieser chemische Cocktail fand sich bei den HVS vom Typ LP 40-365.
Noch ungeklärt ist, warum die Relikte eines dramatischen Sternenexitus keinen
Kohlenstoff enthalten, denn das müssten sie den Simulationen zufolge eigentlich.
"Das ist eine der offenen Fragen, die es noch zu beantworten gilt", sagt Roberto
Raddi.
Wie aber werden die überlebenden Weißen Zwerge ausgeschleudert – und was
passiert mit ihren Begleitern? Die FAU-Forscher haben eine plausible Erklärung:
Damit es zu einem Massenaustausch und daher zur Explosion kommen konnte, musste
der Begleiter dem Weißen Zwerg sehr nahe gekommen sein, wobei beide Sterne den
gemeinsamen Massenschwerpunkt mit extremer Geschwindigkeit umkreist haben. Bei
seiner Explosion erfährt der Weiße Zwerg einen Kick, der das Doppelsternsystem
zerreißt, so dass beide Partner mit hoher Geschwindigkeit in verschiedene
Richtungen auseinanderfliegen.
"Eigentlich werden also gleichzeitig zwei HVS erzeugt", sagt Ulrich Heber.
"Leider wird es sehr schwierig sein, zu einem Zombie-Zwerg auch den ehemaligen
Begleitstern aufzuspüren, denn der Auswurf liegt unseren Schätzungen zufolge 40
Millionen Jahre zurück." Mit seinen Untersuchungen ist es dem FAU-Team gelungen,
sowohl eine neue Klasse von HVS zu entdecken, als auch einen neuen
physikalischen Schleudermechanismus für HVS zu identifizieren.
Die Resultate sind zur Publikation in der renommierten Fachzeitschrift
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society eingereicht worden.
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