Wie die massereichsten Sterne wachsen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
2. November 2015
Wie erreichen Sterne Massen von mehr als dem Hundertfachen
der Sonnenmasse? Schon länger haben Astronomen vermutet, dass Gas- und
Staubscheiben rund um die jungen Sterne dabei eine wichtige Rolle spielen
könnten. Jetzt hat ein Team von Astronomen tatsächlich eine stabile Scheibe rund
um einen der massereichsten gerade entstehenden Sterne unserer
Galaxie nachweisen können.

Künstlerische Darstellung der jetzt
nachgewiesenen Gas- und Staubscheibe um den
massereichen jungen Stern AFGL 4176.
Bild: K. G. Johnston und ESO [Großansicht] |
Die Massen von Sternen liegen zwischen rund zehn Prozent der Masse unserer
Sonne und dem mehr als Hundertfachen der Sonnenmasse. Entstehen all diese
verschiedenen Sterne auf dieselbe Weise, unabhängig von der beachtlichen
Variation ihrer Größe? Auf diese in den letzten Jahrzehnten durchaus umstrittene
Forschungsfrage werfen nun aktuelle Beobachtungen ein neues Licht.
Die Astronomen unter der Leitung von Katharine Johnston von der Universität
Leeds - darunter auch Thomas Robitaille, Henrik Beuther, Hendrik Linz und Roy
van Boekel, die am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg arbeiten -
fanden erstmals klare Hinweise auf eine stabile Gas- und Staubscheibe, die einen
jungen sehr massereichen Stern umgibt.
Das Beobachtungsobjekt trägt die Katalognummer AFGL 4176 und ist ein sehr
massereicher Stern im südlichen Sternbild Zentaur und rund 14.000 Lichtjahre von
der Erde entfernt. Die inneren Regionen solcher gerade entstehenden massereichen
Sterne sind hinter einer Hülle aus Gas und Staub verborgen. Mithilfe des
ALMA-Observatoriums, das Beobachtungen im Millimeter- und Submillimeterbereich
erlaubt, konnten die Astronomen aber in das Innere der Hülle blicken und dort
eine scheibenartige, rotierende Struktur nachweisen.
Um diese Beobachtung zu bestätigen, bereiteten die Astronomen eine Art
Gegenüberstellung vor: mehr als 10.000 simulierte Modellscheiben mit
verschiedenen Eigenschaften. Simulierte Bilder und Spektren dieser "kosmischen
Verdächtigen" wurden dann mit den Beobachtungsdaten verglichen. Die beste
Übereinstimmung ergab sich für eine stabile Scheibe, für die sowohl der
Gravitationseinfluss des Zentralsterns als auch jener der Scheibenmaterie selbst
eine wichtige Rolle spielt.
Der Scheibenradius ist rund 2.000-mal so groß wie der mittlere Abstand der
Erde von der Sonne, bei einer Gesamtmasse der Scheibe von zwölf Sonnenmassen.
Der Stern hat eine Masse von rund 25 Sonnenmassen. Solche Scheiben könnten eine
Schlüsselrolle für das Wachstum massereicher Sterne spielen und insbesondere
erklären, wie sich trotz des beträchtlichen Strahlungsdruck des jungen Sterns
noch hinreichend viel zusätzliche Materie ansammeln kann, wie es für die
Entstehung der massereichsten bekannten Sterne notwendig wäre.
Aber bislang hatten stabile Scheiben um die massereichsten Stern-Embryonen,
Sterne vom sogenannten Typ O, nicht sicher nachgewiesen werden können - ob
solche Scheiben als Erklärungsmöglichkeiten überhaupt infrage kamen, war daher
unklar. Die Beobachtungen von Johnston und ihren Kollegen zeigen deutlich, dass
zumindest eine der massereichsten Sterne überhaupt in gleicher Weise entstehen
können wie ihre masseärmeren Verwandten - mit Mechanismen, die trotz der
Unterschiede in Skalen und Zeitverlauf dieselben sind wie bei masseärmeren
Sternen und mit Materie, die von einer Scheibe auf den wachsenden jungen Stern
geleitet wird.
Die hohe Qualität der ALMA-Beobachtungen weckt zudem Erwartungen, dass sich
auch weitere wichtige offene Fragen zur Entstehung massereicher Sterne mit
dieser Art von Beobachtung klären lassen sollten. Allgemein sind direkte
Vergleiche zwischen Beobachtungsdaten und den Vorhersagen von Simulationen der
Sternentstehung von Interesse. Speziell für eine Besonderheit sehr massereicher
Sterne hoffen die Astronomen, mithilfe derartiger Beobachtungen eine direkte
Erklärung zu finden: Solche Sterne sind fast immer Teil von Doppel- oder
Mehrfachsternsystemen. Hochaufgelöste Abbildungen der innersten Bereiche in den
Frühphasen der Sternentstehung könnten direkt zeigen, wie sich die Vorläufer der
verschiedenen Komponenten eines solchen massereichen Mehrfachsystems bilden.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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