Zu schnell durchs kosmische Netz?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
1. Februar 2013
Das Problem der fehlenden Zwerggalaxien beschäftigt
Astronomen schon seit Jahren: Glaubt man aktuellen kosmologischen Simulationen,
sollten sich nämlich in unserer galaktischen Nachbarschaft deutlich mehr
Zwerggalaxien befinden, als man bislang beobachtet hat. Jetzt könnte ein
internationales Astronomenteam eine Erklärung für das Problem gefunden haben: Cosmic
Web Stripping.
Cosmic Web
Stripping entzieht einer sehr schnellen
Zwerggalaxie beim Durchqueren des lokalen
kosmischen Netzes ihr Gas. Das Bild ist eine
Visualisierung einer CLUES-Simulation. Der Pfeil
symbolisiert die Geschwindigkeit der
Zwerggalaxie, welche sich genau unter dem Pfeil
befindet.
Bild: Alejandro Benítez Llambay
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Astronomen haben inzwischen eine recht genaue Vorstellung davon, aus welchen
Komponenten sich unser Universum zusammensetzt: Es besteht zu etwa 75 Prozent aus
Dunkler Energie, zu 20 Prozent aus Dunkler Materie und nur zu fünf Prozent aus
normaler, direkt beobachtbarer Materie. Von daher kennt man 95 Prozent der
Masse- und Energiegehalts des Universums nicht.
Doch auch die verbleibenden fünf Prozent bereiten den Wissenschaftlern
teilweise noch Probleme: Umfangreiche Computersimulationen, bei denen die
Entstehung und Entwicklung großräumiger Strukturen im All unter Berücksichtigung
der vermuteten Zusammensetzung modelliert wurden, ergaben, dass die Anzahl von
Zwerggalaxien, also Galaxien mit nur einem Tausendstel der Masse der
Milchstraße, in solch einem Universum sehr hoch sein sollte. Jedoch wurden
bislang deutlich weniger Zwerggalaxien als erwartet beobachtet. Die Astronomen
nennen dies das "Problem der fehlenden Zwerggalaxien" (astronews.com
berichtete wiederholt).
Genau dieser offenen Frage der modernen Kosmologie haben sich auch die Astronomen
angenommen, die am Projekt Constrained Local UniversE Simulations
(CLUES) beteiligt sind. Die Anfangsbedingungen für die CLUES-Simulationen werden
aus den beobachteten Positionen und Eigengeschwindigkeiten der Galaxien
konstruiert, die bis zu einigen Zehntausend Lichtjahren Entfernung von der
Milchstraße entfernt sind.
"Hauptziel von CLUES ist es, die Entwicklung der Lokalen Gruppe, also der
Andromeda-Galaxie und der Milchstraße sowie der weniger massereichen Nachbarn,
in ihrer beobachteten großräumigen Umgebung zu simulieren", erklärt Stefan Gottlöber vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP).
Bei der genauen Untersuchung der Simulationsergebnisse von CLUES haben die
Astronomen nun entdeckt, dass einige weit entfernte Zwerggalaxien der Lokalen
Gruppe sich mit solch hohen Geschwindigkeiten relativ zum kosmischen Netz
(englisch Cosmic Web) bewegen, dass sie einen Großteil ihres Gases bei der
Durchquerung der lokalen Netzstrukturen verlieren. Die Forscher haben diesen
Mechanismus daher Cosmic Web Stripping genannt. Das Kosmische Netz
beschreibt die großräumige Struktur des Universums als ein riesiges Netzwerk aus
Filamenten und flachen, scheibenartigen Strukturen.
"Diese Zwerge sind so schnell, dass ihr Gas sogar bei der Durchquerung extrem
dünner Strukturen weggerissen wird", so Alejandro Benítez LLambay, Doktorand an
der argentinischen Universidad Nacional de Córdoba und Erstautor der
heute in Astrophysical Journal Letters veröffentlichten Studie. Nach
einer solch starken Reduktion des Gasreservoirs wäre die Sternentstehung in
diesen Zwerggalaxien schon vor einigen Milliarden Jahren stark abgesunken und
die Zwerge wären heute praktisch nicht beobachtbar.
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