Das Geheimnis der fehlenden Zwerggalaxien
von Stefan Deiters astronews.com
21. September 2007
Astronomen könnten mit Hilfe des Keck-Teleskops auf
Hawaii das Problem der fehlenden Zwerggalaxien gelöst haben. Die Astronomen
studierten dazu eine Gruppe von winzigen, lichtschwachen Galaxien, die zu 99
Prozent aus Dunkelmaterie bestehen. Die Beobachtungen lassen vermuten, dass es
in der Umgebung der Milchstraße noch mehrere Hundert komplett dunkle
Mini-Galaxien gibt.
Übersicht über die Zwerggalaxien der
Milchstraße. Bild:
M. Geha [Großansicht] |
"Es sieht ganz danach aus, als dass die kleinen und extrem
leuchtschwachen Galaxien sehr viel häufiger sind, als wir ursprünglich
angenommen haben", erläutert Marla Geha vom Herzberg Institute of
Astrophysics in Canada. "Wenn Sie mich im vergangenen Jahr gefragt hätten,
ob es Galaxien gibt, die so klein und dunkel sind, hätte ich 'Nein' geantwortet.
Ich bin wirklich erstaunt, dass so viele, dieser von Dunkelmaterie dominierten
Galaxien entdeckt wurden."
Das Problem der fehlenden Zwerggalaxien hängt mit einer Vorherhersage eines
Modells zusammen, das die Astronomen als "Kaltes Dunkelmaterie Modell"
bezeichnen. Es beschreibt wie sich im Universum Strukturen gebildet und
entwickelt haben. Eine Kernaussage ist, dass große Galaxien wie die Milchstraße
von einem Schwarm von Hunderten kleinerer sogenannter Zwerggalaxien umgeben sein
sollten. Bis vor kurzem hatte man davon allerdings erst gerade einmal elf
entdeckt.
Um diese Unstimmigkeit zu erklären, verwiesen Astronomen auf die Möglichkeit,
dass viele dieser Zwerggalaxien keinerlei Sterne enthalten und fast
ausschließlich aus Dunkelmaterie bestehen könnten. Dunkelmaterie ist ein Stoff,
den Astronomen bislang nur durch seine Auswirkungen kennen: So hat man
beispielsweise beobachtet, dass das Rotationsverhalten von Galaxien nur erklärt
werden kann, wenn man annimmt, dass sie über deutlich mehr Masse verfügen als
man als Sterne sehen kann. Die fehlende Materie nennen die Wissenschaftler
"Dunkelmaterie", wissen aber bis heute nicht, um was es sich dabei handelt.
Die Theorie, dass die fehlenden Zwerggalaxien nahezu komplett aus
Dunkelmaterie bestehen, ist zwar sehr elegant, hatte aber einen Haken: Da
Dunkelmaterie eben dunkel ist, kann man diese Galaxien auch nicht ohne weiteres
entdecken und somit die Theorie verifizieren. Jetzt haben aber die Astronomen Josh Simon
vom California Institute of Technology und Geha acht unlängst im Sloan
Digital Sky Survey entdeckte Zwerggalaxien mit dem DEIMOS-Spektrographen am
Keck
II-Teleskop beobachtet. So gelang es den Forschern die Massen der Galaxien recht
genau zu bestimmen - zu ihrer Überraschung waren diese mehr als 10.000 Mal
kleiner als die unserer Milchstraße.
"Die Entstehung so kleiner Galaxien ist theoretisch noch nicht wirklich
verstanden", erläutert Simon die Bedeutung der Entdeckung. "Es ist schwer zu
erklären, wie Sterne innerhalb dieser winzigen Galaxien entstehen können und
daher ist auch sehr schwer vorherzusagen, wie viele dieser Zwerge wir in der
Nähe der Milchstraße finden sollten. Unsere Arbeit macht aber die Lücke zwischen
der durch das Kalte Dunkelmaterie-Modell vorhergesagten und der tatsächlich
beobachteten Anzahl deutlich kleiner, da wir nun mehr Zwerggalaxien der
Milchstraße kennen. Zudem lernen wir etwas über ihre Eigenschaften. Wir wissen
nun, dass Zwerggalaxien sogar kleiner sein können, als wir es anfangs für
möglich gehalten hätten."
Durch wiederholte Messungen haben die beiden Astronomen die Geschwindigkeit
der 814 Sterne bestimmt, die sie in den acht Zwerggalaxien gefunden hatten. Sie
konnten zeigen, dass sich diese deutlich langsamer bewegen als Sterne in jeder
anderen Galaxien - mit nur vier bis sieben Kilometern pro Sekunde. Unsere Sonne
bewegt sich um das Zentrum der Milchstraße mit einer Geschwindigkeit von etwa
220 Kilometern pro Sekunde. Geha und Simon bestimmten für jede der acht
Zwerggalaxien die Geschwindigkeit von zwischen 18 und 214 Sternen - das sind
mehr als drei Mal mehr Sterne als in vorherigen Arbeiten vermessen wurden.
"Das ist schon eine sehr beeindruckende Arbeit", urteilt auch der Direktor
des W. M. Keck Observatory Taft Armandroff, der sich auch mit Zwerggalaxien
beschäftigt. "Sie macht eindrucksvoll deutlich, wie man auch von der Erde aus
die Bahnen so entfernter Sterne bestimmen kann. Ich denke, dass wir mit Hilfe
von DEIMOS bald auch etwas über die chemische Zusammensetzung der Sterne
erfahren werden und damit besser verstehen können, wie Sternentstehung in
solchen winzigen Galaxien funktioniert."
Die neuen Beobachtungen erlauben es den Astronomen auch, das "Kalte
Dunkelmaterie-Modell" so anzupassen, dass es mit den Beobachtungen
übereinstimmt: Danach müssen die ersten Sterne, die im Universum entstanden
sind, eine so große Menge an ultravioletter Strahlung abgegeben haben, dass sie
in kürzester Zeit sämtliches Wasserstoffgas aus den sich gerade bildenden
Zwerggalaxien hinaus geblasen haben. So konnten in ihnen keine Sterne entstehen
und sie blieben leuchtschwach oder gar vollkommen unsichtbar. Berücksichtigt man
diesen Effekt, stimmt die Zahl der erwarteten und beobachteten Galaxien überein.
"Eine der Folgen unseres Modells ist, dass es in der Umgebung der Milchstraße
einige Hundert komplett dunkle Galaxien geben sollte", so Geha. "Wenn das Kalte
Dunkelmaterie-Modell stimmt, müssen sie da draußen irgendwo sein und die nächste
Herausforderung für die Astronomen ist es, sie zu finden."
Der Sloan Digital
Sky Survey umfasst nur etwa 25 Prozent des Himmels. Würde man den übrigen
Bereich absuchen, sollten sich noch bis zu 50 weitere dieser von Dunkelmaterie
dominierten Zwerggalaxien finden lassen.
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