Ältere Kollision zweier Galaxienhaufen entdeckt
von Stefan Deiters astronews.com
16. April 2012
Astronomen haben erneut die Überreste einer Kollision von zwei Galaxienhaufen
entdeckt, bei der sich durch den Zusammenprall Dunkle Materie und normale Materie getrennt
haben. Bei dem jetzt aufgespürten System liegt der Zusammenstoß allerdings länger zurück als bei anderen bereits bekannten
Haufenkollisionen.
Die Kollision, durch die der
Musketenkugelhaufen entstand, wäre vor rund 700
Millionen Jahren zu beobachten gewesen.
Bild: NASA / CXC / UCDavis / W.Dawson et
al (Röntgen) / NASA / STScI / UCDavis / W.Dawson
et al. (optisch) [Großansicht] |
Galaxienhaufen sind die größten bekannten Strukturen im Universum, die durch
ihre gegenseitige Anziehungskraft zusammengehalten werden. Es handelt sich dabei
um Ansammlungen von oft Tausenden von Galaxien. Doch auch diese Haufen
können kollidieren. Die Beobachtung der Folgen eines solchen kosmischen
Verkehrsunfalls kann den Astronomen einiges über die oft noch mysteriösen
Bestandteile unseres Universums verraten.
Dies zeigte sich bei der inzwischen wohl berühmtesten Kollision zweier
Galaxienhaufen, dem sogenannten Bullet Cluster oder "Geschosshaufen" (astronews.com
berichtete). Durch Auswertung von verschiedenen Beobachtungen haben Astronomen
hier nämlich festgestellt, dass sich durch den Zusammenstoß die normale Materie
von der Dunklen Materie des Haufens getrennt hat. Während die normale Materie
durch den Zusammenprall abgebremst wurde, schien sich die Dunkle Materie
der beiden Haufen ungehindert zu durchdringen. Ein ähnliches Verhalten hatte man später bei
anderen Kollisionen von Galaxienhaufen beobachtet, obwohl es - mit dem Haufen Abell
520 - auch ein Beispiel für eine Kollision gibt, bei dem sich ein etwas
anderes Bild zeigte (astronews.com berichtete).
Mit Hilfe der Weltraumteleskope Chandra und Hubble sowie Teleskopen der
Keck-, Subaru- und Kitt Peak Observatorien haben Astronomen nun ein weiteres
Beispiel für eine Kollision zweier Galaxienhaufen aufgespürt. Auch in dem von
den Forschern "Musketenkugelhaufen" getauften System wurde durch die Kollision
das heiße, Röntgenstrahlen aussendende Gas des Haufens deutlich von der Dunklen
Materie und den Galaxien getrennt.
Auf dem Ende der vergangenen Woche von der NASA veröffentlichten Bild sind
die Röntgenbeobachtungen von Chandra rötlich dargestellt, die Galaxien auf der
Hubble-Aufnahme erscheinen meist weiß und gelb, die Masseverteilung des Systems,
das überwiegend von Dunkler Materie dominiert sein dürfte, ist in Blau
dargestellt. Wo sich rote und blaue Bereiche überlappen, erscheint die Region
violett.
Die Masseverteilung wurde aus optischen Beobachtungen mit mehreren Teleskopen
berechnet. Dazu suchte man zunächst nach Bildern entfernterer
Hintergrundgalaxien, die durch die Massenansammlung des Haufens verzerrt worden
waren und bestimmte daraus dann, die in dieser Region notwendige
Masseverteilung. Der Effekt, dass starke Masseansammlungen das Licht
entfernterer Objekte beeinflusst, ist als Gravitationslinseneffekt bekannt
und war bereits von Albert Einstein vorhergesagt worden.
Das Besondere an der jetzt entdeckten Galaxienhaufenkollision ist das
Stadium, in dem sich die Folgen des Zusammenpralls beobachten lassen. Bei den
bislang bekannten Beispielen lag die eigentliche Kollision jeweils zwischen 170
und 250 Millionen Jahre zurück, im Falle des Musketenkugelhaufens dürften es
rund 700 Millionen Jahre sein. Auch angesichts der Unsicherheiten bei der
Bestimmung dieser Angaben sollte damit seit der Kollision deutlich mehr Zeit
vergangen sein als bei den anderen bekannten Objekten dieser Art.
Zudem scheint die Geschwindigkeit, mit der die beiden Galaxienhaufen im Falle
des Musketenkugelhaufens aufeinandergeprallt sind, deutlich unter der der
meisten anderen beobachteten Galaxienhaufenkollisionen gelegen zu haben. Von den
Beobachtungen erwarten sich die Astronomen auch neue Aufschlüsse darüber, welche
Rolle solche Zusammenstöße auf die Entwicklung der einzelnen Galaxien haben.
Bislang ist beispielsweise nicht geklärt, ob die Verschmelzung von
Galaxienhaufen die Entstehung von neuen Sternen in den
Haufengalaxien anregt, sie eher unterdrückt oder ob es gar keine sichtbaren
Auswirkungen auf die Galaxien gibt.
Interessant ist an diesem neuen Beispiel einer Galaxienhaufenkollision auch
wieder
die Frage, ob Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass Dunkle Materie mit sich
selbst wechselwirken kann. Dies würde einen wichtigen Hinweis darauf liefern, um
was es sich bei Dunkler Materie überhaupt handelt. Im Musketenkugelhaufen
gibt es allerdings bislang kein Indiz für solche Wechselwirkungen.
Der Musketenkugelhaufen ist so weit von der Erde entfernt, dass sein Licht
5,2 Milliarden Jahre benötigt hat, um die Erde zu erreichen. Der Haufen liegt im
Sternbild Krebs. Die Beobachtungen des Teams wurden im vergangenen Monat in einem
Fachartikel in der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters
beschrieben.
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