Der Stern,
der vor 100 Jahren starb
Redaktion
astronews.com
29. Juni 2004
Ein
internationales Astronomenteam hat unter Leitung von Wissenschaftlern der
Universität Tübingen einen Stern aufgespürt, dessen nuklearer Fusionsreaktor
erst vor rund 100 Jahren erloschen ist. Die Oberfläche dieses Weißen
Zwergs besteht aus Kohlenstoff und Sauerstoff und ist rund 200.000 Grad heiß.
Künstlerische Darstellung des jungen, sehr heißen weißen Zwergs
H1504+65, betrachtet aus einer Entfernung ähnlich derjenigen der
Erde zur Sonne. Bild:
Universität Tübingen |
Ein internationales Team von Astronomen, die die Überreste von Sternen wie
unserer eigenen Sonne untersuchen, hat unter Leitung von Tübinger Astronomen ein
bemerkenswertes Objekt gefunden, bei dem der Kernreaktor, der es ehemals mit
Energie versorgt hat, sich erst vor kurzer Zeit abschaltete. Dieser Stern, der
heißeste bekannte weiße Zwerg, H1504+65, hat während seines Todeskampfes
offensichtlich seine gesamten äußeren Schichten verloren und hinterlässt nur
noch seinen nackten, innersten Kern, der früher sein Kraftwerk darstellte.
Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und den USA haben zwei
Weltraumteleskope der NASA, das Chandra Röntgenteleskop und das
FUSE-Teleskop (Far Ultraviolet Spectroscopic Explorer), auf H1504+65
gerichtet, um seine Zusammensetzung zu bestimmen und seine Temperatur zu messen.
Die Daten enthüllten, dass die Sternoberfläche extrem heiß ist, 200.000 Grad,
und praktisch keinerlei Wasserstoff und Helium aufweist; so etwas ist bisher
noch nie beobachtet worden. Stattdessen besteht die Oberfläche hauptsächlich aus
Kohlenstoff und Sauerstoff, der "Asche der Fusion von Helium in einem
Kernreaktor. Eine wichtige Frage ist: Warum hat dieser einzigartige Stern seinen
Wasserstoff und sein Helium, die normalerweise das Sterninnere vor unserem Blick
verbergen, verloren?
Prof. Klaus Werner von der Universität Tübingen erklärt dazu: "Wir haben
erkannt, dass dieser Stern, auf astronomischer Zeitskala, erst vor kurzem seine
Kernfusion eingestellt hat - vor etwa einhundert Jahren. Wir sehen ganz
eindeutig den freigelegten, heute verloschenen Reaktor, der den früher sehr
hellen Riesenstern mit Energie versorgte." Und Prof. Martin Barstow von
der University of Leicester ergänzt: "Die Erforschung der Natur der nuklearen Asche
toter Sterne gibt uns wichtige Hinweise auf das Leben von Sternen wie der Sonne
und wie sie schließlich sterben. Der nukleare Abfall, der dabei produziert wird,
besteht aus wesentlichen Elementen des Lebens, Kohlenstoff und Sauerstoff, die
von den Sternen schließlich in den interstellaren Raum zurückgegeben werden, um
neue Sterne, Planeten und vielleicht lebende Wesen zu bilden."
"Astronomen haben schon lange vorhergesagt, dass viele Sterne am Ende ihres
Lebens Kohlenstoff-Sauerstoff-Kerne im Inneren ausbilden, aber ich habe nie
erwartet, dass wir so etwas wirklich einmal sehen könnten. Dies ist eine
großartige Möglichkeit, unser Verständnis über den Lebenszyklus von Sternen zu
verbessern," so Dr. Jeffrey Kruk von der amerikanischen Johns Hopkins
University.
Die Chandra-Daten lassen auch Spuren von Neon erkennen, einem erwarteten
Nebenprodukt der Heliumfusion. Eine große Überraschung jedoch war die
Anwesenheit von Magnesium in ähnlich hoher Häufigkeit. Dieses Ergebnis könnte
der Schlüssel für die einzigartige Zusammensetzung von H1504+65 sein und
theoretische Vorhersagen beweisen, dass einige Sterne, wenn sie massereich genug
sind, ihr Leben verlängern können, indem sie eine weitere Energiequelle
anzapfen: die Fusion von Kohlenstoff zu Magnesium. Da Magnesium allerdings auch
bei der Heliumfusion erzeugt werden kann, ist der Beweis dieser Theorie noch
nicht wasserdicht.
Das noch fehlende Teil in diesem Puzzle wäre die Entdeckung von Natrium, das
den Einsatz eines weiteren Observatoriums erfordert: dem Hubble-Weltraumteleskop.
Das Forscherteam hat bereits Beobachtungszeit an Hubble für das kommende Jahr
zugesagt bekommen, und wird dann hoffentlich die endgültige Antwort über den
Ursprung dieses einzigartigen Sterns geben können.
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