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Daten von zwei Neutrino-Experimenten gemeinsam analysiert
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
23. Oktober 2025
Ein besseres Verständnis der schwer fassbaren Neutrinos
könnte erklären helfen, warum sich die Materie gegenüber der Antimaterie im
frühen Universum durchsetzen konnte. Zwei konkurrierende, aber sich ergänzende
Neutrino-Experimente in den USA und in Japan haben jetzt erstmals ihre Daten
kombiniert und diese zusammen ausgewertet - mit faszinierenden Ergebnissen.

Der NOvA-Neutrino-Detektor in Minnesota.
Foto: Fermilab / NOvA
Collaboration [Großansicht] |
Physikerinnen und Physiker gehen davon aus, dass zu Beginn des Universums
Materie und Antimaterie in gleichen Mengen vorhanden waren. Wäre dies jedoch der
Fall gewesen, hätten sich Materie und Antimaterie gegenseitig vollständig
aufgehoben, was zu einer totalen Vernichtung geführt hätte. Und doch sind wir
hier. Die Materie hat sich gegenüber der Antimaterie durchgesetzt – aber wir
wissen immer noch nicht, wie und warum. Forschende vermuten, dass die Antwort in
dem mysteriösen Verhalten der reichlich vorhandenen, aber schwer fassbaren
Teilchen namens Neutrinos liegen könnte. Insbesondere könnten uns weitere
Erkenntnisse über ein Phänomen namens Neutrinooszillation, bei dem Neutrinos
während ihrer Bewegung ihren Typ oder ihr "Flavour" ändern, einer Antwort
näherbringen.
Die internationalen Kollaborationen, die zwei Neutrinoexperimente vertreten,
T2K in Japan und NOvA in den Vereinigten Staaten von Amerika, haben kürzlich
ihre Kräfte gebündelt und jetzt ihre ersten gemeinsamen Ergebnisse und deren
Analyse vorgestellt. Sie liefert einige der präzisesten Messungen der
Neutrinooszillation in diesem Bereich. Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz
(JGU) ist in diesen Kooperationen durch die Mitglieder der lokalen T2K-Gruppe
vertreten, die von Prof. Dr. Alfons Weber und Dr. Lukas Koch aus der Gruppe für
Experimentelle Teilchen- und Astroteilchenphysik am Institut für Physik geleitet
wird.
"Ich war an beiden dieser fantastischen Experimente beteiligt. Es ist
großartig zu sehen, wie die beiden Kollaborationen eng zusammenarbeiten, um ein
Ergebnis zu erzielen, das wir allein nicht hätten erreichen können. Wir haben
nun ein fundierteres Verständnis der Natur von Neutrinos und ich bin gespannt,
was wir in Zukunft noch erreichen können", sagt Weber. "Für mich ist der
spannendste Teil dieses gemeinsamen Ergebnisses die Methodik, die wir entwickelt
haben, um es zu ermöglichen", fügt Koch hinzu. "Es ist alles andere als trivial,
die Daten zweier Experimente mit unterschiedlichen Analysemethoden,
Unsicherheitsmodellen und Software-Frameworks zu kombinieren. Diese großartige
Arbeit wird die Grundlage für zukünftige kombinierte Ergebnisse sein, nicht nur
von T2K und NOvA, sondern auch von den Neutrino-Strahl-Experimenten der nächsten
Generation, Hyper-Kamiokande und DUNE."
Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit sind Neutrinos sehr schwer nachzuweisen und zu
untersuchen. Obwohl sie erstmals in den 1950er Jahren beobachtet wurden, sind
diese geisterhaften Teilchen nach wie vor ein Rätsel. Die Lücken in unserem
Wissen über Neutrinos und ihre Eigenschaften zu schließen, könnte grundlegende
Erkenntnisse über das Universum liefern.T2K und NOvA zählen beide zu den
sogenannten long-baseline-Experimenten: Sie schießen jeweils einen intensiven
Neutrinostrahl ab, der sowohl einen Detektor in der Nähe der Neutrinoquelle als
auch einen Detektor in Hunderten von Kilometern Entfernung durchläuft. Beide
Experimente vergleichen die in den einzelnen Detektoren aufgezeichneten Daten,
um mehr über das Verhalten und die Eigenschaften von Neutrinos zu erfahren.
NOvA, das NuMI Off-axis νe Appearance Experiment, sendet einen
Neutrinostrahl über eine Entfernung von 810 Kilometern von seiner Quelle im
Fermi National Accelerator Laboratory des US-Energieministeriums in der
Nähe von Chicago, Illinois, zu einem 14.000 Tonnen schweren Flüssigszintillator-Detektor
in Ash River, Minnesota. Der Neutrinostrahl des T2K-Experiments legt 295
Kilometer von Tokai nach Kamioka zurück – daher der Name T2K. In Tokai befindet
sich der Japan Proton Accelerator Research Complex (J-PARC) und in
Kamioka der Super-Kamiokande-Neutrinodetektor, ein riesiger Tank mit ultrareinem
Wasser, der sich einen Kilometer unter der Erde befindet.
Da die Experimente ähnliche wissenschaftliche Ziele verfolgen, aber
unterschiedliche Basislinien und Neutrinoenergien haben, können Physikerinnen
und Physiker durch die Kombination ihrer Daten mehr Erkenntnisse gewinnen.
"Durch eine gemeinsame Analyse erhält man präzisere Messwerte, als jedes
Experiment für sich allein liefern könnte", sagt Dr. Liudmila Kolupaeva,
Mitarbeiterin bei NOvA. "In der Regel unterscheiden sich Experimente in der
Hochenergiephysik in ihrer Ausgestaltung, auch wenn sie dasselbe
wissenschaftliche Ziel verfolgen. Gemeinsame Analysen ermöglichen es uns, die
komplementären Merkmale dieser Ausgestaltungen zu nutzen."
Als long-baseline-Experimente eignen sich NOvA und T2K ideal für die
Untersuchung von Neutrinooszillationen, einem Phänomen, das Aufschluss über
offene Fragen wie die Verletzung der Ladungsparität und die
Neutrinomassenordnung geben kann. Zwei Experimente mit unterschiedlichen
Basislinien und Energien haben bessere Chancen, die beiden Effekte zu entwirren,
als ein Experiment allein.
Diese ersten gemeinsamen Ergebnisse lösen zwar noch keine Rätsel um Neutrinos
endgültig, erweitern jedoch das Wissen der Physikerinnen und Physiker über diese
Teilchen. Außerdem bestätigen sie die beeindruckende Zusammenarbeit zwischen
zwei konkurrierenden, sich jedoch ergänzenden Experimenten. Die NOvA-Kollaboration
besteht aus mehr als 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie
Ingenieurinnen und Ingenieuren aus 49 Institutionen in acht Ländern. Die
T2K-Kollaboration hat mehr als 560 Mitglieder aus 75 Institutionen in 15
Ländern. Die beiden Kollaborationen begannen 2019 mit der aktiven Arbeit an
dieser gemeinsamen Analyse. Sie kombiniert sechs Jahre Daten von NOvA, das 2014
mit der Datenerfassung begann, und ein Jahrzehnt Daten von T2K, das 2010 an den
Start ging.
Beide Experimente sammeln weiterhin Daten, und es werden bereits
Anstrengungen unternommen, um die gemeinsame Analyse mit den neuen Daten zu
aktualisieren. "Die gemeinsame Analysearbeit ist beiden Kollaborationen
zugutegekommen", sagt Prof. Dr. Patricia Vahle, Co-Sprecherin von NOvA. "Wir
haben ein viel besseres gegenseitiges Verständnis für die Stärken und
Herausforderungen der verschiedenen Versuchsaufbauten und Analysetechniken."
"Wie diese Analyse zeigt, gibt es keine wirklich 'konkurrierenden'
Experimente, da sie alle das gemeinsame Ziel verfolgen, ein Phänomen
wissenschaftlich zu untersuchen", sagt Dr. Tomáš Nosek, Mitglied von T2K. "Die
Zusammenarbeit ist natürlich wichtig für den Transfer von Wissen, Know-how und
Erfahrung sowie für den Austausch von Ressourcen, Ideen und Werkzeugen. Die
T2K-NOvA-Kollaboration ist nicht nur die Summe der T2K- und NOvA-Kollaborationen.
Sie ist viel, viel mehr."
Die Ergebnisse wurden jetzt in einem Fachartikel veröffentlicht, der
in der Zeitschrift Nature erschienen ist.
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