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Erster Nachweis von Lithium auf Merkur
Redaktion
/ Pressemitteilung des Instituts für Weltraumforschung der ÖAW astronews.com
11. Juli 2025
In der extrem dünnen Atmosphäre des sonnennächsten
Planeten Merkur konnten erstmals Hinweise auf das chemische Element Lithium
nachgewiesen werden. Das Lithium gelangte offenbar gemeinsam mit anderen
sogenannten flüchtigen Elementen durch kontinuierlichen
Mikro-Meteoriteneinschlag auf den Planeten. Bei Einschlägen größerer
Himmelskörper wird es dann wieder freigesetzt.

Falschfarbenbild von Merkur. Die
verschiedenen Farben sollen mineralogische Unterschiede des
Gesteins auf der Oberfläche des Planeten sichtbar machen. Die
Daten stammen von der Sonde MESSENGER.
Bild: NASA / Johns Hopkins University
Applied Physics Laboratory / Carnegie Institution of
Washington [Großansicht] |
Bislang haben nur zwei Raumsonden den Merkur besucht: die NASA-Missionen
Mariner 10 (1974/75) und MESSENGER (2011-2015). Obwohl Merkur unserem
Planeten recht nahe ist, zählt er aufgrund seiner extremen Lage im
Gravitationsfeld der Sonne zu den anspruchsvollsten Zielen der planetaren
Raumfahrt: Um eine Raumsonde in die Umlaufbahn des Merkur zu bringen, muss sie
große Mengen an Energie aufwenden, um der starken Anziehungskraft der Sonne
entgegenzuwirken. Das macht Missionen zum innersten Planeten des Sonnensystems
außergewöhnlich aufwendig, komplex und teuer.
"Merkur besitzt – ähnlich wie unser Mond – keine klassische Atmosphäre,
sondern lediglich eine sogenannte Exosphäre", erklärt Daniel Schmid, Mitglied
der Weltraumplasmaphysik-Gruppe am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF)
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Diese bildet die
äußerste, extrem dünne Hülle eines Planeten und geht nahezu übergangslos in das
Vakuum des Weltraums über. "Aufgrund der geringen Dichte stoßen die Teilchen
kaum miteinander zusammen und bei ausreichend hoher Geschwindigkeit können sie
die Anziehungskraft des Planeten überwinden", ergänzt Helmut Lammer, Leiter der
IWF-Forschungsgruppe Planetenphysik im Sonnensystem. Beide Missionen haben
entscheidend dazu beigetragen, unser Verständnis des Merkurs grundlegend zu
erweitern. Daten von MESSENGER wurden auch für die aktuelle Studie herangezogen.
Dem IWF-Team gelang es nun, erstmals atomares Lithium in der Exosphäre des
Merkurs ausschließlich über Magnetfeldmessungen nachzuweisen. Grundlage war eine
neue Methode zur Untersuchung von Exosphären mittels sogenannter Pick-up-Ionenzyklotronwellen
(Ion Cyclotron Waves - ICWs) – spezieller elektromagnetischer Wellen, die durch
die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und neutralen Teilchen in der
Exosphäre entstehen und sich anhand von Magnetfeldmessungen eindeutig
identifizieren lassen. "Über die charakteristischen Schwingungsfrequenzen dieser
Wellen können spezifische chemische Elemente – darunter Wasserstoff, Helium und
erstmals auch Lithium – bestimmt werden. Aus der Stärke dieser Wellen lässt sich
die Dichte der entsprechenden Ionen und ihrer Ursprungsteilchen ableiten und
damit das Höhenprofil der Exosphäre rekonstruieren", erklärt Schmid.
Diese neue Herangehensweise eröffnet vielversprechende Perspektiven für das
Verständnis der großräumigen Struktur und chemischen Zusammensetzung planetarer
Exosphären – allein durch Magnetfeldmessungen. Besonders wertvoll ist dieser
Ansatz in Missionsszenarien, in denen Teilchendetektoren entweder nicht
vorhanden oder nur begrenzt einsatzfähig sind.
Insgesamt identifizierten die Forscher zwölf Ereignisse, deren Teilchendichte
mit zunehmender Entfernung zwischen rund 2400 und 15.000 Kilometer über der
Planetenoberfläche abnimmt. Eine detaillierte Analyse der Ergebnisse zeigte,
dass mit großer Wahrscheinlichkeit Meteoriten mit einem Durchmesser von 20 bis
40 Zentimeter beim Aufprall auf der Merkur-Oberfläche verdampften und dabei das
Lithium und andere flüchtige Elemente in die Exosphäre freisetzten. "Anders als
auf der Erde, wo Meteoroide in der Atmosphäre verglühen, erreichen sie auf
Merkur die Oberfläche ungebremst und reichern die Exosphäre kontinuierlich an",
ergänzt Lammer.
Die Nähe des Merkurs zur Sonne erlaubt einzigartige Einblicke in die Bildung
von Gesteinsplaneten unter extremen Umweltbedingungen. Frühere Modelle erklärten
Merkurs hohe Dichte durch massive Einschläge oder durch die Verdampfung von
Mantelmaterial unter der Hitze der jungen Sonne. Dementsprechend wurde lange
angenommen, dass Merkur arm an flüchtigen Elementen sei. Doch Beobachtungen von
MESSENGER und erdgestützte Messungen – insbesondere von Natrium und Kalium –
widersprechen dieser Annahme. Die Krusten- und Mantelschicht des Planeten
enthält offenbar deutlich mehr flüchtige Elemente als erwartet – vergleichbar
mit jenen auf dem Mars.
Die aktuelle Entdeckung von Lithium stützt diese Befunde. "Unsere Analyse
legt nahe, dass die Ablagerung von meteoritischem Material die Hauptquelle des
gemessenen Lithiums ist", so Lammer. "Diese externen Einträge könnten die durch
MESSENGER gemessene Zusammensetzung der oberflächennahen Gesteinsschichten
erheblich beeinflusst – oder sogar verfälscht – haben." Damit ergeben sich neue
Fragestellungen zur frühen Entwicklung von Gesteinsplaneten in unmittelbarer
Sternnähe – auch mit Blick auf extrasolare Planetensysteme.
"Unsere Forschung zeigt, dass Merkur wie eine Art Meteoritendetektor im
inneren Sonnensystem wirkt und selbst kleinste Teilchen aus dem All bleibende
Spuren hinterlassen – Spuren, die uns helfen, die Vergangenheit eines Planeten
zu entschlüsseln. Das ist nicht nur wissenschaftlich spannend, sondern auch
essenziell, um unseren Platz im Universum besser zu verstehen", betont Schmid.
Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature
Communications veröffentlicht.
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