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Der Einfluss von Hitze und Kälte auf den sonnennächsten
Planeten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
13. Februar 2025
Die großen Temperaturunterschiede auf Merkur beeinflussen
die Kruste und den Gesteinsmantel des Planeten offenbar bis in große Tiefen.
Neue Untersuchungen deuten zudem auf eine ungewöhnlich hohe Porosität der
Gesteine hin. Außerdem gibt es Hinweise auf eine starke Änderung der Rotation
und der Umlaufbahn des Planeten oder ein vulkanisches Großereignis in der
Vergangenheit.

Mosaik des etwa 1500 Kilometer
durchmessenden Caloris-Beckens auf Merkur auf Basis von Daten
der Sonde MESSENGER. Bild:
NASA / JHU-APL / Carnegie Institution of Washington [Großansicht] |
Der Planet Merkur umkreist die Sonne in knapp 60 Millionen Kilometern über
deren 5500 Grad heißer Oberfläche. Das führt zu einer starken Erhitzung der von
der Sonne beschienenen Seite des Merkur und gleichzeitig zu extrem niedrigen
Temperaturen auf der Nachtseite. Der Unterschied ist auch deshalb so groß, weil
der Planet keine wärmespeichernde Atmosphäre hat. Die Hitze wird nach
Sonnenuntergang direkt ins All abgestrahlt. Die Sonnennähe des Merkur gepaart
mit seiner Oberflächenbeschaffenheit, Zusammensetzung vom Innersten bis zur
Kruste und sehr unterschiedlichen Schwerefeldbereichen ist außergewöhnlich im
Vergleich zu den anderen Planeten im Sonnensystem. Unter Umständen hat die Summe
an Extremen dazu geführt, dass der Planet in der Vergangenheit seine Rotation
und Umlaufbahn um die Sonne geändert hat. Das wäre aber nur eine der möglichen
Erklärungen.
In die jetzt vorgestellten Studien flossen zum einen Messdaten der
NASA-Mission MESSENGER ein, die zwischen 2011 und 2015 den Merkur aus einer
Umlaufbahn beobachtete. Auch beinhalten sie Modellierungen auf der Grundlage
bekannter Parameter, mit denen der Aufbau des Merkur und Prozesse in der
Planetenentwicklung in Raum und Zeit simuliert wurden. Der Merkur ist ein
Gesteinsplanet wie Venus, Mars oder die Erde. Wie die Erde besitzt er wegen
seines flüssigen Metallkerns ein Magnetfeld, aber hat keine Atmosphäre. Wie der
Mond hat der Merkur zu wenig Masse, um die flüchtigen Moleküle einer Gashülle an
sich binden zu können. Allein dieser Umstand hat beträchtlichen Einfluss auf
Eigenschaften und Prozesse, die mit der Wärmeeinstrahlung der Sonne verknüpft
sind. Auch sein Aufbau unterscheidet sich beträchtlich von den anderen
erdähnlichen Himmelskörpern: Sein Metallkern ist überproportional groß und nimmt
80 Prozent des Radius der Planetenkugel ein – der darüberliegende Gesteinsmantel
ist nur 400 Kilometer dick. Warum dies so ist, gilt als eines der großen Rätsel
der Planetenforschung.
Dr. Adrien Broquet vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof
fand mit seinem Team heraus, dass die von Kratern übersäte Kruste des Merkur
eine Porosität von 9 bis 18 Prozent aufweist. Daraus lässt sich eine
durchschnittliche Dichte der Gesteinskruste von etwas mehr als 2,5 Tonnen pro
Kubikmeter ableiten, was – berücksichtigt man die Porosität – vergleichbar ist
mit den Gesteinen der hellen Teile der Mondkruste, den sogenannten Anorthositen.
Das sind feldspat- und kalziumreiche Alumosilikate. Die deutlichen Hohlräume
entstehen entweder beim Abkühlen und der Kristallisation glutflüssiger Gesteine
oder durch Zerrüttung der Kruste bei großen Einschlägen von Asteroiden. Kaum
zufällig wurden deshalb die höchsten Werte der Porosität um das 1500 Kilometer
große Caloris-Becken gemessen.
Für das Modell, auf dem die Ergebnisse beruhen, wurde die Dicke der Kruste
aus hochaufgelösten Schwerkraft- und Topographiedaten abgeleitet, die mit dem
NASA-Orbiter MESSENGER gemessen wurden. Die Porosität des Oberflächengesteins
hat Einfluss auf den Transport von Wärme, die im Innern des Planeten erzeugt
wird, nach oben dringt und ins All abgestrahlt werden "will". Die Oberfläche
eines Gesteinsplaneten nimmt nämlich nicht nur die von der Sonne eingestrahlte
Energie auf und gibt sie in der Dunkelheit der Nacht wieder ans Weltall ab. Die
äußere Kruste ist auch eine thermische Barriere für die Wärme, die durch den
Zerfall radioaktiver Elemente im Planeteninnern entsteht und noch aus der Zeit
der Planetenentstehung gespeichert ist; die sogenannte Akkretionswärme. Diese
Wärme dringt nach oben und wird je nach den Eigenschaften der Kruste ins Weltall
abgestrahlt. So kühlt der Planet im Laufe der Jahrmilliarden aus – und das umso
schneller, je kleiner der planetare Körper ist. Die Kenntnis der Struktur der
Kruste ist also von entscheidender Bedeutung für die Entschlüsselung der
geologischen Geschichte eines erdähnlichen Körpers.
Die Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne und seine kugelförmige Gestalt führen
dazu, dass einige Regionen mehr Sonneneinstrahlung erhalten als andere. Der
Merkur befindet sich heute in einer sogenannten 3:2-Spin-Orbit-Resonanz: Während
er sich dreimal um sich selbst dreht, umkreist er zweimal die Sonne. Zusätzlich
dazu steht die Rotationsachse fast senkrecht auf der Bahnebene. Dies führt zu
einem besonderen Oberflächentemperatur-Muster, wie es kein anderer Planet im
Sonnensystem hat. Die heißen Regionen um den Äquator haben tagsüber Temperaturen
von bis zu 430 Grad Celsius. In den Polregionen und kälteren Gebieten hingegen,
die durch die 3:2-Resonanz entstehen, erreichen die Temperaturen nur minus 170
Grad Celsius. In tiefen Kratern an den Polen, in die nie ein Sonnenstrahl
dringt, wird sogar Eis vermutet.
Diese extremen Temperaturen und das besondere Oberflächentemperatur-Muster
spielen nicht nur für die Oberfläche eine wichtige Rolle, sondern auch für das
Innere des Merkur. Der Geophysiker Aymeric Fleury, ebenfalls vom DLR-Institut
für Planetenforschung, und sein Team fanden heraus, wie die unterschiedlichen
Oberflächentemperaturen die Temperaturen in den tieferen Schichten des Planeten
beeinflussen. Diese Temperaturen führen auch zu Variationen im
Oberflächenwärmefluss. Sie zeigen, wie der Merkur seine im Inneren produzierte
Wärme verliert. Aber die Temperaturen beeinflussen nicht nur den Wärmefluss an
der Planetenoberfläche. Sie haben auch Auswirkungen auf die 400 Kilometer tiefer
gelegene Grenze von Gesteinsmantel zum metallischen Kern. Die durch die
Unterschiede entstehenden Wärmeströme könnten somit die Erzeugung von
Magnetfeldern beeinflussen. Diese außergewöhnliche Beobachtung wird künftig mit
Magnetfeldmodellen des Kerns getestet und verstärkt ab 2027 mit dem von der
Technischen Universität Braunschweig entwickelten Experiment MPO-Mag an Bord des
BepiColombo-Planetenorbiters gemessen und analysiert werden. Die
europäisch-japanische Merkur-Mission BepiColombo wird Ende 2026 ihre
Umlaufbahn um den Planeten erreichen.
Auch die Untersuchung der großen Einschlagbecken auf der Oberfläche des
Merkur gestattet Einblicke in Strukturen, die unter der Oberfläche vor den Augen
von Kameras verborgen sind. Zunächst führten Einschläge von Asteroiden in der
Frühzeit des Planeten zu Dutzenden von Kratern mit mehr als 100 Kilometer
Durchmesser. Dabei kam es zur Umverteilung riesiger Massen an Gestein, was zu
Differenzen im Schwerefeld führt. Durch das Herauslösen von leichterem
Krustenmaterial und den Aufstieg von dichterem Mantelmaterial von weiter unten
nach einem Einschlag ist dort die Anziehungskraft höher als in der Umgebung.
Allerdings gleicht sich dieser Kontrast im Schwerefeld in der Regel im Laufe der
Jahrmillionen wieder aus. Und das seitlich weggedrückte Material füllt langsam
(durch das sogenannte viskose Fließen) wieder die zuvor entstandene Vertiefung.
Warmes oder gar heißes Material fließt dabei schneller als sprödes, kaltes
Gestein. Die Unterschiede im Schwerefeld "ebnen" sich gewissermaßen wieder ein.
Die Krustenstruktur großer Einschlagsbecken liefert so wertvolle Einblicke in
die geologische Geschichte eines Planeten wie dem Merkur.
Die Geophysikerin Claudia Szczech und Geophysiker Jürgen Oberst von der
Technischen Universität Berlin untersuchten mit einem fünfköpfigen Team vom
DLR-Institut für Planetenforschung die auch nach mehr als drei Milliarden Jahren
noch messbaren Schwerefeldunterschiede. Sie studierten 36 Einschlagbecken mit
Durchmessern von mehr als 300 Kilometern und ihre Bouguer-Kontraste – benannt
nach dem französischen Universalgelehrten Pierre Bouguer (1698-1758) – als
Indikatoren für die viskoelastische Entspannung. Das Team nutzte thermische
Entwicklungsmodelle, die von der gegenwärtigen 3:2-Resonanz mit drei
Eigenrotationen des Planeten bei gleichzeitig zwei Sonnenumläufen ausgehen, um
die Krustentemperaturen vorherzusagen. Die Untersuchung zeigt, dass der
eigentlich erwartete Zusammenhang zwischen Zonen mit warmer Kruste und niedrigem
Bouguer-Kontrast (wenig Relaxation) in den verfügbaren Daten nicht zu beobachten
ist. Dies könnte bedeuten, dass die Krustentemperaturen in der Vergangenheit
anders waren, als es bisherige Modelle erwarten ließen. Möglicher Grund könnte
eine Änderung der Merkurbahn um die Sonne sein oder eines größeren vulkanischen
Ereignisses, das mit der Bildung der ausgedehnten glatten Ebene auf der
Nordhalbkugel des Merkur verbunden war.
Die Ergebnisse der Studien wurden in drei Fachartikeln in den Geophysical
Research Letters veröffentlicht.
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Broquet, A. et al.
(2024): Mercury's Crustal Porosity as Constrained by the Planet's
Bombardment History, Geophys. Res. Lett., 51, e2024GL110583
Fleury, A. et
al. (2024): Variations of Heat Flux and Elastic Thickness of Mercury
From 3-D Thermal Evolution Modeling, Geophys. Res. Lett., 51,
e2024GL110622
Szczech, C. et al.
(2024): Relaxation States of Large Impact Basins on Mercury Based on
MESSENGER Data, Geophys. Res. Lett., 51, e2024GL110748
DLR
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