Langperiodische Schwingungen und die Sonnenrotation
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
2. April 2024
Langperiodische Schwingungen spielen offenbar eine entscheidende Rolle dabei,
das Rotationsmuster der Sonne zu steuern. Unser Zentralstern dreht sich nämlich
nicht in allen Breitengraden mit der gleichen Geschwindigkeit. Für die jetzt
vorgestellte Studie wurden Beobachtungsdaten des Solar Dynamics Observatory
mit modernsten numerischen Simulationen kombiniert.
Dreidimensionale Visualisierung der
Schwingungen mit maximalen Geschwindigkeiten in hohen
Breitengraden der Sonne. Schnappschuss der Stromlinien der
langperiodischen Oszillationen in hohen Breiten in der
Konvektionszone. Die roten und blauen Farben bezeichnen die
prograden (mit der Rotation übereinstimmenden) bzw.
retrograden (der Rotation entgegengesetzten) zonalen
Strömungen.
Bild: MPS / Y. Bekki[Großansicht] |
Das differentielle Rotationsmuster der Sonne gibt der Wissenschaft seit
Jahrzehnten Rätsel auf: Während sich die Pole mit einer Periode von etwa 34
Tagen drehen, rotieren die mittleren Breiten schneller und die Äquatorregion
benötigt nur etwa 24 Tage für eine volle Umdrehung. Darüber hinaus haben in den
vergangenen Jahren Fortschritte in der Helioseismologie, d. h. der Untersuchung
des Sonneninneren mithilfe von solaren Schallwellen, ergeben, dass dieses
Rotationsprofil in der gesamten Konvektionszone nahezu konstant ist. Die
Konvektionszone der Sonne erstreckt sich von einer Tiefe von etwa 200.000
Kilometern bis zur sichtbaren Sonnenoberfläche und ist Schauplatz heftiger
Umwälzungen des heißen Sonnenplasmas. Diese spielen eine entscheidende Rolle für
den Magnetismus und die Aktivität der Sonne.
Theoretische Modelle deuten seit Langem darauf hin, dass zwischen den
Sonnenpolen und dem Äquator ein geringer Temperaturunterschied vorliegen muss.
Nur so lässt sich das bekannte Rotationsmuster der Sonne aufrechterhalten.
Diesen Temperaturunterschied zu messen, hat sich allerdings als äußerst
schwierig erwiesen. Schließlich müssen Beobachtungen durch den Hintergrund des
tiefen Sonneninneren "hindurchsehen", das eine Temperatur von bis zu einer
Million Grad aufweist. Wie die MPS-Forschenden nun aber zeigen konnten, ist es
möglich, den Temperaturunterschied aus Beobachtungen der langperiodischen
Schwingungen der Sonne zu ermitteln.
Bei ihrer Analyse von Beobachtungsdaten, die der Helioseismic and
Magnetic Imager (HMI) an Bord des Solar Dynamics Observatory der
NASA von 2017 bis 2021 aufgenommen hat, wandten sich die Wissenschaftler
globalen Sonnenschwingungen mit langen Perioden zu, die als Wirbelbewegungen an
der Sonnenoberfläche erkennbar sind. Vor drei Jahren hatten MPS-Forschende diese
Trägheitsschwingungen entdeckt. Von diesen beobachteten Schwingungsmoden
erwiesen sich jene als besonders einflussreich, die ihre maximalen
Geschwindigkeiten von bis zu 70 Kilometer pro Stunden in hohen Breitengraden
erreichen.
Um die nichtlineare Natur dieser Schwingungen zu untersuchen, wurde eine
Reihe numerischer dreidimensionaler Simulationen durchgeführt. In den
Simulationen der langperiodischen Schwingungen mit maximalen Geschwindigkeiten
in hohen Breiten zeigt sich, dass diese Schwingungen Wärme von den Sonnenpolen
zum Äquator transportieren. Dadurch begrenzen sie den Temperaturunterschied
zwischen diesen Gebieten auf weniger als sieben Grad. "Der sehr geringe
Temperaturunterschied zwischen den Polen und dem Äquator steuert die
Drehimpulsbilanz in der Sonne und ist damit ein wichtiger
Rückkopplungsmechanismus für die globale Dynamik der Sonne", sagt MPS-Direktor
Prof. Dr. Laurent Gizon.
Mit ihren Simulationen haben die Forschenden die entscheidenden Prozesse
erstmals in einem vollständig dreidimensionalen Modell beschrieben. Frühere
Bemühungen hatten sich auf zweidimensionale Ansätze beschränkt, die eine
Symmetrie um die Rotationsachse der Sonne voraussetzen. "Der Abgleich der
nichtlinearen Simulationen mit den Beobachtungen ermöglichte es uns, die Physik
der langperiodischen Schwingungen und ihre Rolle bei der Steuerung der
differentiellen Rotation der Sonne zu verstehen", sagt Dr. Yuto Bekki, MPS-Postdoc
und Hauptautor der jetzt vorgestellten Studie.
Die Oszillationen mit maximalen Geschwindigkeiten in hohen Breitengraden der
Sonne werden ähnlich wie außertropische Wirbelstürme auf der Erde durch ein
Temperaturgefälle angetrieben. Die Physik ist ähnlich, auch wenn die Details
unterschiedlich sind: "Auf der Sonne ist der Sonnenpol etwa sieben Grad heißer
als der Äquator, und das reicht aus, um Strömungen von etwa 70 Kilometern pro
Stunde über einen großen Teil der Sonne anzutreiben. Der Prozess ähnelt in
gewisser Weise dem Antrieb von Wirbelstürmen", sagt MPS-Wissenschaftler Dr.
Robert Cameron.
Die Physik des tiefen Sonneninneren zu erforschen ist schwierig. Die aktuelle
Studie ist wichtig, da sie zeigt, dass die langperiodischen Schwingungen der
Sonne nicht nur nützliche "Diagnoseinstrumente" für das Sonneninnere sind,
sondern dass sie aktiv die Prozesse in der Sonne steuern. Zukünftige Arbeiten,
die im Rahmen des ERC Synergy Grant WHOLESUN und des Sonderforschungsbereiches
1456 "Mathematik des Experiments" durchgeführt werden, zielen darauf ab, die
Rolle dieser Schwingungen und ihr diagnostisches Potenzial besser zu verstehen.
Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Science Advances
veröffentlicht.
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