Bestätigt neues Experiment Signale der Dunklen Materie?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Physik astronews.com
19. April 2024
Mithilfe eines Experiments im Untergrundlabor Gran Sasso in
Italien könnten Signale der Dunklen Materie detektiert worden sein. Allerdings
ließen sich die Ergebnisse bislang mit keinem anderen Experiment unabhängig
bestätigen. Nun wurde in Gran Sasso mit COSINUS ein zweiter Versuchsaufbau in
Betrieb genommen, der klären soll, was es mit den älteren Messungen auf sich
hat.
Im Reinraum: Karoline Schäffner und ihr Team
schließen die Arbeiten am Kryostaten ab.
Foto: COSINUS Collaboration [Großansicht] |
Die Natur der Dunklen Materie zählt bis heute zu den großen Fragen der
modernen Physik. Nach heutigem Wissen macht die unsichtbare Dunkle Materie 85
Prozent der Gesamtmasse im Universum aus. Im italienischen Gran-Sasso-Untergrundlabor
(INFN Laboratori Nazionali del Gran Sasso) gibg in dieser Woche das Experiment
COSINUS in Betrieb. Die Abkürzung steht für "Cryogenic Observatory for
SIgnatures seen in Next-generation Underground Searches". Das Forschungsprojekt
soll überprüfen, ob ein anderes Experiment (DAMA/LIBRA) tatsächlich Signale
Dunkler Materie gemessen hat – oder nicht.
COSINUS ist eine Kooperation der TU Wien, des Instituts für Hochenergiephysik
der ÖAW, des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (Italien), des Helsinki
Institute of Physics (Finnland) und des Max-Planck-Instituts für Physik (MPP).
Für das COSINUS-Projekt wurde ein spezielles Instrument entwickelt. Dabei wird
ein Kristall auf extrem tiefe Temperaturen gekühlt, um die Energie von Teilchen
mit hoher Präzision messen zu können. Falls die Dunkle Materie aus bisher
unbekannten Teilchen besteht, müsste die Erde auf ihrem Weg durch das All mit
diesen Teilchen zusammenstoßen. Diese Kollisionen könnten sich im Messgerät
nachweisen lassen. Das DAMA/LIBRA-Experiment hat Daten gesammelt, die mit dieser
Annahme im Einklang stehen, allerdings umstritten sind, da die Bestätigung durch
ein anderes Experiment bis heute ausgeblieben ist.
Wenn sich Dunkle Materie tatsächlich nachweisen ließe, würden die Messungen
über das Jahr hinweg variieren. Warum? Die Sonne und all ihre Planeten – also
auch die Erde – bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von rund 220 Kilometern
pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Die Erde wiederum kreist mit einer
Geschwindigkeit von rund 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne, für einen
kompletten Umlauf braucht sie ein Jahr. Ein halbes Jahr lang bewegt sich die
Erde also in der gleichen Richtung wie die Sonne, die anderen sechs Monate in
der Gegenrichtung.
"Wenn unsere Galaxie von Teilchen aus Dunkler Materie durchdrungen ist, würde
sich die Erde mal schneller, dann wieder langsamer durch diesen 'Nebel'
hindurchbewegen", erklärt die MPP-Wissenschaftlerin Karoline Schäffner,
technische Leiterin von COSINUS. "Die Situation gleicht einer Autofahrt im
Regen: Je schneller wir unterwegs sind, umso mehr Regentropfen prasseln auf die
Windschutzscheibe. Wir erwarten also, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich
viel Dunkle Materie zu detektieren."
Genau das hat das DAMA/LIBRA Experiment ergeben, das seit 1995 läuft: Man
detektierte tatsächlich ein Signal, dessen Intensität sich im Lauf des Jahres
regelmäßig veränderte – ein Hinweis auf Dunkle Materie. Doch andere Experimente
konnten diese Ergebnisse nicht wiederholen. Der fehlende Nachweis durch andere
Experimente beschäftigt die internationale Forschungsgemeinde seit Jahren. "Mit
unserem neuen Projekt gibt es die Chance, dieses Rätsel zu lösen", sagt Karoline
Schäffner. 2Wir verwenden in unserem Detektor Natriumiodid, dasselbe Material
wie im DAMA/LIBRA-Experiment, um die Ergebnisse vergleichen zu können. Unser
Versuchsaufbau wird aber eine deutlich höhere Genauigkeit erzielen."
Im DAMA/LIBRA Experiment wird nur das Licht, nicht aber die Wärme vermessen.
Es gibt bereits zwei weitere Experimente, mit denen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler daran arbeiten, die DAMA/LIBRA-Experimente zu reproduzieren. Wie
das Original zeichnen beide nur Licht auf – im Gegensatz zu COSINUS, das auf
zwei verschiedene Signale ausgelegt ist. Das Herzstück von COSINUS ist ein
Kryostat – eine Art Kühlschrank für extrem tiefe Temperaturen – in dem ein
Kristall aus Natriumiodid auf 1-2 hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt
(-273 Grad Celsius) abgekühlt werden kann. Wird dieser Kristall von
Dunkle-Materie-Teilchen getroffen, kommt es zu zwei Reaktionen im Detektor:
Erstens werden die Atome des Kristalls in Schwingung versetzt – das
Kristallgitter beginnt zu wackeln und heizt sich auf. Die dabei aufgenommene
Wärmeenergie lässt sich äußerst genau messen. Zweitens entsteht im Kristall auch
Licht, das COSINUS ebenfalls "sehen" kann.
Die Untersuchung von zwei Signalen liefert zudem Hinweise, um welche Teilchen
es sich handelt. "Das ist wichtig, denn nicht jedes Signal, das man in einem
solchen Detektor misst, ist ein Hinweis auf Dunkle Materie", erklärt Schäffner:
"Es kann sich zum Beispiel um gewöhnliche Elektronen handeln, die durch
natürliche Radioaktivität entstehen. Oder auch um Neutronen, die von kosmischen
Teilchen produziert werden." Um Dunkle Materie-Signale zu entdecken, müssen die
Forschenden den Kristall möglichst effektiv vor jeglichem Hintergrundrauschen
abschirmen. Daher steht das Experiment gut geschützt in einem Bergmassiv, im
größten Untergrundlabor der Welt: in den INFN Laboratori Nazionali del Gran
Sasso (INFN-LNGS, Italien), rund hundert Kilometer von Rom entfernt. Unter 1400
Metern Gestein bietet ein Tunnelsystem Platz für eine Vielzahl hochempfindlicher
Versuche - auch das DAMA/LIBRA-Experiment ist dort aufgebaut. Außerdem werden
die Detektoren in einem sieben Meter hohen Tank mit hochreinem Wasser platziert.
Das COSINUS-Projekt wurde an 18. April 2024 im INFN-LNGS eröffnet. Erste
Ergebnisse der Messungen sind 2025/26 zu erwarten.
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