Fahndung nach Indizien auf Meeresgrund und Mond
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
20. November 2023
Explodieren massereiche Sterne oder andere stellare Objekte in der kosmischen
Nachbarschaft der Erde, kann dabei ausgeschleudertes Material auch unser
Sonnensystem erreichen. Spuren dieser Ereignisse finden sich auf der Erde oder
dem Mond. Doch die Suche nach diesen Spuren ist schwieriger als die
sprichwörtliche Fahndung nach der Nadel im Heuhaufen.

Die Ferromangan-Kruste aus dem Pazifischen
Ozean enthält interstellare Atome aus einem Zeitraum von mehr
als 20 Millionen Jahren. Die Münze als Maßstab hat einen
Durchmesser von 3,2 Zentimeter.
Bild: Dominik Koll, HZDR [Großansicht] |
In relativer Nähe zur Erde ereigneten sich in den letzten Millionen Jahren
einige Supernova-Explosionen. "Zum Glück waren diese Ereignisse noch weit genug
entfernt, sodass sie wohl keinen signifikanten Einfluss auf das Erdklima oder
größere Auswirkungen auf die Biosphäre hatten. Richtig ungemütlich wird es bei
kosmischen Explosionen in einer Entfernung von bis zu 30 Lichtjahren", erklärt
Prof. Anton Wallner vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). Umgerechnet
in die astrophysikalische Einheit Parsec entspricht dies weniger als acht bis
zehn Parsec.
Sobald massereiche Sterne ihren gesamten Brennstoff verfeuert haben,
kollabiert ihr Kern zu einem extrem kompakten Neutronenstern oder zu einem
Schwarzen Loch, während gleichzeitig heißes Gas mit hoher Geschwindigkeit nach
außen geschleudert wird. Eine sich ausdehnende Stoßwelle nimmt einen großen Teil
des zwischen den Sternen fein verteilten Gases und Staubs mit. Wie ein
gigantischer Luftballon mit Beulen und Dellen sammelt diese Hülle auch schon
vorhandenes Material aus dem Weltraum auf. Nach vielen Tausenden von Jahren
haben sich die Reste einer Supernova auf einen Durchmesser von mehreren zehn
Parsec ausgedehnt, breiten sich immer langsamer aus, bis die Bewegung
schließlich ausklingt.
Eine nahe Explosion könnte einen gravierenden Effekt auf die Biosphäre der
Erde haben und ein Massensterben verursachen ähnlich wie etwa der
Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren. Diesem fielen die Dinosaurier und
viele weitere Tierarten zum Opfer. "Betrachtet man den Zeitraum seit Bildung des
Sonnensystems, der sich über Milliarden Jahre erstreckt, können sehr nahe
kosmische Explosionen nicht ausgeschlossen werden", betont Wallner. Immerhin
treten Supernovae nur bei sehr massereichen Sternen mit mehr als acht- bis
zehnfacher Masse unserer Sonne auf. Derartige Sterne sind selten. Einer der
nächsten Kandidaten dieser Größenklasse ist Betelgeuse im Sternbild Orion, der
sich mit rund 150 Parsec in sicherer Entfernung des Sonnensystems befindet.
Bei den kosmischen Explosionen oder kurz vor und während der Supernova werden
viele neue Atome frisch gebildet – unter ihnen auch eine Reihe radioaktiver
Atome. Besonders interessiert sich Wallner für das radioaktive Eisen-Isotop mit
der Atom-Masse 60. Von diesen kurz Fe-60 genannten Isotopen haben sich etwa die
Hälfte aller Atome nach 2,6 Millionen Jahren in ein stabiles Nickel-Isotop
verwandelt. Daher ist heute alles Fe-60, das schon bei der Entstehung der Erde
vor rund 4500 Millionen Jahren vorhanden war, längst verschwunden. "Fe-60 ist
auf der Erde extrem selten, da es auf natürliche Weise nicht signifikant
produziert wird. Es wird aber in großen Mengen direkt vor einer
Supernova-Explosion erzeugt. Taucht nun in Sedimenten der Tiefsee oder im
Material von der Oberfläche des Mondes dieses Isotop auf, stammt es von einer
Supernova oder einem anderen, ähnlichen Prozess im Weltraum, der erst vor
einigen Millionen Jahren in der Nähe der Erde stattgefunden haben sollte", fasst
Wallner zusammen.
Vergleichbares gilt auch für das Plutonium-Isotop mit der Masse 244. Dieses
Pu-244 entsteht allerdings vermutlich eher beim Zusammenstoß von
Neutronensternen als bei Supernovae. Damit ist es ein Indikator für die
Nukleosynthese schwerer Elemente. Nach einer Zeit von 80 Millionen Jahren hat
sich ungefähr die Hälfte des Isotops Pu-244 in andere Elemente verwandelt.
Deshalb ist das langsam zerfallende Pu-244 neben dem Fe-60 ein weiterer
Indikator für galaktische Ereignisse und die Produktion neuer Elemente in den
letzten Millionen Jahren.
"Wie häufig, wo und unter welchen Bedingungen genau diese schweren Elemente
produziert werden, wird derzeit heiß in der Wissenschaft diskutiert. Das
Plutonium-244 benötigt ebenfalls explosive Ereignisse und entsteht laut Theorie
ähnlich wie die seit jeher natürlich auf der Erde vorkommenden Elemente Gold
oder Platin, die nun aus stabilen Atomen bestehen", erklärt Wallner.
Aber wie kommen diese Isotope überhaupt bis zur Erde? Die von der Supernova
ausgeschleuderten Fe-60-Atome sammeln sich gern in Staubkörnern. Das tun auch
die – möglicherweise bei anderen Ereignissen entstandenen – Pu-244-Isotope, die
von der sich ausbreitenden Hülle der Supernova aufgefegt werden. Bei kosmischen
Explosionen in mehr als zehn, aber weniger als 150 Parsec Entfernung verhindern
laut Theorie der Sonnenwind wie auch das Magnetfeld der Heliosphäre ein
Vordringen einzelner Atome bis zur Erde, doch die in Staubkörnchen
eingeschlossenen Fe-60- und Pu-244-Atome fliegen weiter Richtung Erde und Mond
und können dort schließlich auf die Oberfläche herunterrieseln.
Selbst bei einer Supernova innerhalb des sogenannten "Kill-Radius" von
weniger als zehn Parsec landet auf jedem Quadratzentimeter nicht einmal ein
Mikrogramm Materie aus der Hülle. Von dem Fe-60 kommen pro Quadratzentimeter
überhaupt nur ein paar Atome pro Jahr auf die Erde. Das stellt "Ermittler" wie
Wallner vor eine gewaltige Herausforderung: In einer ein Gramm schweren Probe
aus dem Sediment verteilen sich vielleicht ein paar 1000 Fe-60-Atome wie
Stecknadeln in einem Heuhaufen in einer Menge von Milliarden mal Milliarden der
allgegenwärtigen und stabilen Eisenatome mit der Atom-Masse 56.
Obendrein erfasst selbst die empfindlichste Messmethode vielleicht nur jedes
fünftausendste Teilchen, also maximal jeweils nur ein paar Fe-60-Atome in einer
typischen Messprobe. Bestimmen kann man solch extrem geringe Konzentrationen nur
mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie, die nach dem englischen Begriff "Accelerator
Mass Spectrometry" mit AMS abgekürzt wird. Eine dieser Anlagen steht mit DREAMS,
der Dresdner AMS, am HZDR, dazu kommt demnächst die Anlage HAMSTER (Helmholtz
Accelerator Mass Spectrometer Tracing Environmental Radionuclides). Da
AMS-Anlagen weltweit teils unterschiedlich ausgelegt sind, können sich
verschiedene Anlagen ergänzen bei der Fahndung nach den seltenen Isotopen aus
Supernova-Explosionen.
Isotope des gleichen Elements, die aber wie das auf der Erde natürlich
vorkommende Fe-56 eine andere Masse haben, werden mit Massefiltern entfernt.
Ebenso stören Atome eines anderen Elements mit der gleichen Masse wie das
Untersuchungsobjekt Fe-60, also zum Beispiel das natürlich vorkommende
Nickel-60. Selbst nach einer sehr aufwendigen chemischen Aufbereitung der Proben
sind sie immer noch milliardenfach häufiger als Fe-60 und müssen in einer
speziellen Beschleuniger-Anlage mit den Methoden der Kernphysik abgetrennt
werden. Bis dann am Ende vielleicht fünf einzelne Fe-60-Atome in einer einige
Stunden dauernden Messung dingfest gemacht werden.
Pionierarbeit zum Nachweis von Fe-60 leistete die TU München. Zurzeit gibt es
jedoch nur eine Anlage weltweit, die empfindlich genug ist für diese Messungen,
und zwar in Canberra an der Australian National University. Insgesamt
hat man in den vergangenen 20 Jahren gerade einmal rund tausend Fe-60-Atome
gemessen. Für das interstellare Pu-244 lagen wegen der nochmals mehr als
10.000-fach niedrigeren Konzentration lange nur Daten für einzelne Atome vor.
Erst vor kurzem ist es gelungen, an einer speziellen Infrastruktur in Sydney,
die der im Aufbau befindlichen HAMSTER-Anlage am HZDR ähnelt, etwa hundert
Pu-244-Atome zu bestimmen.
Für die Untersuchungen eignen sich allerdings nur bestimmte Proben, die als
Archive die aus dem Weltraum kommenden Atome für Jahrmillionen konservieren. So
werden kosmische Isotope auf der Erdoberfläche durch geologische Prozesse rasch
"verdünnt". Ideal sind Sedimente und Krusten aus der Tiefsee, die sich ungestört
am Meeresboden langsam bilden. Oder Proben von der Mondoberfläche, weil störende
Prozesse dort kaum eine Rolle spielen.
Während einer Forschungsreise bis Anfang November 2023 hat sich Wallner mit
Kolleginnen und Kollegen in Australien auf die Jagd nach weiteren kosmischen
Isotopen gemacht – in Canberra fahndete er nach Fe-60-, in Sydney nach
PU-244-Atomen. Dafür hat er von der US-Weltraumorganisation NASA eine Reihe von
Mond-Proben erhalten. "Parallel finden auch Messungen am HZDR statt. Die
einzigartigen Proben erlauben es uns, neue Erkenntnisse über
Supernova-Explosionen in der Nähe der Erde, aber auch über die in diesen und
anderen Prozessen entstehenden schwersten Elemente in unserer Galaxie zu
gewinnen", ist sich Wallner sicher.
Einen Überblick über die aktuelle Forschung auf diesem Gebiet hat Wallner mit
seinem Kollegen Prof. Brian D. Fields von der University of Illinois
jetzt in der Fachzeitschrift Annual Review of Nuclear and Particle Science
veröffentlicht.
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