Wichtiger Schritt der Sternentstehung durch Beobachtungen bestätigt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
18. Oktober 2023
Neue radioastronomische Beobachtungen der Dunkelwolke CB26
haben einen entscheidenden Schritt im Prozess der Sternentstehung bestätigt: Ein
rotierender Molekülwind ermöglicht, dass sich kollabierende Gaswolken überhaupt
ausreichend dicht zusammenziehen können, um einen heißen, dichten jungen Stern
zu bilden.

Künstlerische Darstellung der Geometrie der
Akkretionsscheibe um den jungen Stern und des ausfließenden
rotierenden Scheibenwinds. Diejenigen Regionen des
Scheibenwinds, die sich auf uns zubewegen, erscheinen
blauverschoben und sind entsprechend blau eingefärbt;
Regionen, die sich von uns weg bewegen, sind rotverschoben
(rot eingefärbt).
Bild:
T. Müller, R. Launhardt (MPIA) [Großansicht] |
Neue Sterne entstehen, wenn Gas in einer kosmischen Wasserstoffwolke
unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert und die Gastemperatur dabei gehörig
ansteigt. Ab einer bestimmten Dichte- und Temperaturschwelle setzt Kernfusion
ein, bei der Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Dann ist ein neuer
Stern entstanden. Zum Leuchten gebracht wird er durch die Energie, die bei der
Kernfusion freigesetzt wird.
Allerdings gibt es dabei eine Komplikation: Keine Gaswolke im Kosmos ist
vollkommen unbewegt – alle Wolken rotieren zumindest ein wenig. Zieht sich das
Gas zusammen, wird diese Rotation immer schneller. Physiker nennen dies
"Drehimpulserhaltung". Außerhalb der Astronomie kennt man das z. B. vom
Eiskunstlauf: Eine Eiskunstläuferin, die eine Pirouette drehen möchte, beginnt
eine langsame Drehung, bei der beide Arme und ein Bein vom Körper weggestreckt
sind. Zieht sie anschließend Arme und Beine nahe an den Körper, erhöht sich die
Drehgeschwindigkeit beträchtlich.
Für die Sternentstehung ist das potenziell ein Problem: Schnelle Rotation
erzeugt Zentrifugalkräfte, die Materie von der Drehachse wegschleudern. Bei
einem Kettenkarussel ist das gewollt: Dreht sich das Karussell, werden die an
Ketten befestigten Sitze der Mitfahrenden nach außen geschleudert. Für einen
Protostern hingegen könnten die Fliehkräfte fatal sein: Wird genügend viel
Material herausgeschleudert, während die Wolke kollabiert und ihre Drehung
dadurch immer weiter beschleunigt, bleibt möglicherweise nicht mehr genug übrig,
um überhaupt einen Protostern entstehen zu lassen. Dies wird als
"Drehimpulsproblem" der Sternentstehung bezeichnet.
Eine theoretische Lösung für zumindest einen großen Teil des Problems wurde
in den 1980er Jahren gefunden. Fällt zusätzliche Materie auf den entstehenden
zentralen Protostern, bildet sie eine sogenannte Akkretionsscheibe: eine flache,
rotierende Scheibe aus Gas und Staub, deren Materie schließlich auf den
Protostern im Zentrum fällt. Die Physik von Akkretionsscheiben ist dabei
ziemlich kompliziert: Ein Teil des Gases in der Scheibe wird zu Plasma, in dem
sich Wasserstoffatome in jeweils ein Elektron und ein Proton aufspalten.
Wird das Plasma in der Scheibe herumgewirbelt, erzeugt es ein Magnetfeld.
Dieses Feld wiederum beeinflusst den Plasmastrom: Ein kleiner Teil des Plasmas
driftet entlang der Magnetfeldlinien ab. Immer wieder stoßen die abdriftenden
Plasmateilchen dabei mit (elektrisch neutralen) Molekülen zusammen und reißen so
einen Teil des molekularen Gases mit. Jene wegfliegenden Moleküle bilden einen
"Scheibenwind", welcher der Scheibe erhebliche Mengen an Drehimpuls entziehen
kann. Der Verlust des Drehimpulses wiederum verlangsamt die Rotation, verringert
die Zentrifugalkräfte und könnte so das Drehimpulsproblem des Protosterns lösen.
Von der Hypothese zur Beobachtung
Zunächst war dieses Szenario nicht mehr als eine plausible Hypothese.
Akkretionsscheiben sind vergleichsweise kleine Strukturen. Selbst für die
erdnächsten Sterne waren die Beobachtungsmethoden lange Zeit nicht gut genug, um
sie zu untersuchen. Deshalb dauerte es mehr als 20 Jahre, bis Astronomen erste
Belege für die Richtigkeit der Hypothese fanden: Im Jahr 2009 konnten Ralf
Launhardt und Kollegen am Max-Planck-Institut für Astronomie solche Ausflüsse in
der Nähe jungen Sterns in einer kleinen Wasserstoffwolke mit der Bezeichnung
CB26 beobachten. Mit einer Entfernung von weniger als 460 Lichtjahren von der
Erde ist CB26 eines der nächsten bekannten Scheibensysteme um einen Protostern.
Die fraglichen Beobachtungen werden mit Radioteleskopen durchgeführt, die bei
Millimeterwellenlängen arbeiten, in diesem Fall am Plateau de Bure
Interferometer in den französischen Alpen. Die Signale mehrerer Antennen
werden dabei auf geschickte Weise so kombiniert, dass sie wie eine einzige,
deutlich größere Radioantenne wirken. Radioteleskope dieser Art können Strahlung
nachweisen, die für verschiedene Arten von Molekülen – hier konkret
Kohlenmonoxid (CO) – charakteristisch ist. Bewegen sich Moleküle auf die
Antenne zu oder von ihr weg, verschiebt sich diese charakteristische Strahlung
zu etwas längeren oder kürzeren Wellenlängen (der sogenannte Dopplereffekt). Das
ermöglicht es der Astronomie, die Gasbewegung entlang der Sichtlinie zu
erfassen.
Die Beobachtungen von 2009 zeigten, dass der Gasausfluss des jungen Sterns
tatsächlich in einer Weise in Bewegung war, wie man es von einem rotierenden
Scheibenwind erwarten würde, der Drehimpuls abgibt. Sie konnten jedoch keine
ausreichend feinen Details liefern, um ein Urteil über den Abstand vom Stern zu
ermöglichen, in dem der Wind von der Scheibe ausgeht. Dieser Abstand bestimmt,
wie viel Drehimpuls der Gasfluss abtransportieren kann.
Die neuen Ergebnisse, die jetzt veröffentlicht wurden, liefern endlich die
Bestätigung. Dafür haben Launhardt und sein Team Beobachtungen mit deutlich
höherer Winkelauflösung durchgeführt als zuvor. Sie verwendeten eine
Konfiguration des Plateau-de-Bure-Observatoriums, bei der die Radioantennen
weiter voneinander entfernt waren als bei ihren ersten Beobachtungen. Außerdem
brachten sie ein ausgeklügeltes physikalisch-chemisches Modell der Scheibe ins
Spiel, das es ihnen ermöglichte, in ihren Beobachtungen zwischen den Beiträgen
der Scheibe und den Beiträgen des Scheibenwindes zu unterscheiden. Damit gelang
es erstmals, die Dimensionen des kegelförmigen Ausflusses direkt aus den
rekonstruierten Bildern zu bestimmen.
Vorangehende Untersuchungen hatten diese Dimensionen lediglich unter
Zuhilfenahme eines theoretischen Modells indirekt erschließen können, da die
Startregion der Winde in den betreffenden Beobachtungen nie direkt abgebildet
werden konnte. In der Nähe der Scheibe hat das untere Ende des Kegels einen
Radius von etwa dem 1,5-fachen der Erde-Neptun-Entfernung – mehr als genug für
den Scheibenwind, um eine Menge Drehimpuls mitzunehmen.
Damit steht fest: Scheibenwinde können tatsächlich den größten Teil des
Drehimpulsproblems bei Protosternen lösen. Zum Vergleich zogen die Forscherinnen
und Forscher noch die indirekten Ergebnisse zur Scheibenrotation in neun anderen
jungen Stern-Scheiben-Systemen heran, die seit ihrem 2009er-Artikel
veröffentlicht worden waren. Dieser Vergleich zeigte einen deutlichen Trend: Im
Laufe der Zeit wächst der durchschnittliche Radius des Scheibenbereichs, von dem
aus der Scheibenwind ausströmt. Während der ersten Zehntausende von Jahren, gibt
es hoch konzentrierte Scheibenwinde, während die Scheibenwinde nach etwa einer
Million Jahren ungleich diffuser sind.
Die Astronomen planen bereits ihre nächsten Beobachtungen von CB26. In der
Zwischenzeit wurde das Plateau de Bure Interferometer aufgerüstet: Das neue
Observatorium mit dem Namen NOEMA verfügt über zwölf statt der bisherigen sechs
Antennen und ermöglicht Konfigurationen, mit denen doppelt so kleine Details wie
mit dem Vorgänger-Observatorium herausgearbeitet werden können. Doch auch wenn
diese Verbesserungen sehr vielversprechend sind, war der entscheidende Schritt
das, was die jetzt veröffentlichte Untersuchung leistet: die Bestätigung, dass
Scheibenwinde tatsächlich ein wichtiger Faktor sind, der die Entstehung von
Protosternen überhaupt erst ermöglicht und das Drehimpulsproblem lösen kann.
Über ihre Studie berichtet das Team in der Fachzeitschrift Astronomy
& Astrophysics.
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