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Wie aus Kieseln Planetesimale wurden
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
3. Februar 2023
Mit neuen, detaillierten Simulationen wurde jetzt eine
Schlüsselphase bei der Entstehung von Planeten in unserem Sonnensystem
modelliert: die Bildung von Planetesimalen aus kleinen, nur zentimetergroßen
Partikeln. Die Simulation kann die ursprüngliche Größenverteilung der
Planetesimale reproduzieren und macht auch Vorhersagen zu sich eng umkreisenden
Planetesimalen-Paaren.

Der Hauptgürtel-Asteroid 21 Lutetia. Bild
der ESA-Raumsonde Rosetta bei ihrer größten
Annäherung.
Bild: ESA 2010 MPS for OSIRIS Team (MPS / UPD
/ LAM / IAA / RSSD / INTA / UPM / DASP / IDA) [Großansicht] |
Wie entstanden aus kleinen Gesteinsbrocken die Vorgängerkörper der heutigen
Planeten, die sogenannten Planetesimale. Mit dieser Frage beschäftigt sich eine
jetzt vorgestellte Studie. Die Astrophysikerin Brooke Polak von der Universität
Heidelberg und vom American Museum of Natural History in New York und
der Astrophysiker Hubert Klahr vom Max-Planck-Institut für Astronomie haben
mithilfe von Simulationen wichtige Eigenschaften dieser Körper mittlerer Größe
abgeleitet, aus denen sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren in unserem
Sonnensystem Planeten bildeten.
Die Entstehung von Planeten um einen Stern verläuft in mehreren Phasen. In
der ersten Phase verklumpen kosmische Staubteilchen in der wirbelnden
protoplanetaren Scheibe um einen jungen Stern durch elektrostatische Kräfte zu
sogenannten Pebbles (wörtlich "Kieselsteinchen") von einigen Zentimetern Größe.
In der nächsten Phase schließen sich Pebbles zu Planetesimalen zusammen:
felsigen Objekten mit einem Durchmesser von zehn bis hundert Kilometern. Bei
diesen größeren Objekten ist die Schwerkraft so stark, dass durch Kollisionen
zwischen einzelnen Planetesimalen noch größere, durch die Schwerkraft gebundene,
feste kosmische Objekte entstehen, sogenannte Planetenembryos. Diese Embryos
können weitere Planetesimale und Pebbles auf sich ziehen, bis sie zu
erdähnlichen Planeten wie unsere Erde werden. Einige können dicke Schichten von
hauptsächlich Wasserstoffgas anlagern und werden zu Gasriesen wie Jupiter, oder
zu Eisriesen wie Uranus.
Aber nicht alle Planetesimale werden zu Planeten. Während einer bestimmten
Phase der Geschichte unseres Sonnensystems wanderte der gerade im Entstehen
begriffene Planet Jupiter, heute der größte Planet unseres Sonnensystems, weiter
nach innen auf eine sonnennähere Umlaufbahn. Diese Migration behinderte die
Planetenbildung in seiner unmittelbaren Umgebung: Jupiters Schwerkraft
verhinderte, dass sich in der Nähe befindliche Planetesimale zu
Planetenembryonen entwickeln konnten. Auch Uranus und Neptun haben ihren
Sonnenabstand verändert, in diesem Falle hin zu sonnenferneren Umlaufbahnen.
Ihre Migration ergab sich aus Wechselwirkungen mit weiter draußen befindlichen
Planetesimalen. Dabei streuten Uranus und Neptun einige der weiter entfernten,
eisigen Planetesimale in das innere Sonnensystem und andere hin zu noch größeren
Sonnenabständen.
Weit von der Sonne entfernt waren die typischen Abstände zwischen den
Planetesimalen generell zu groß, als dass sich selbst die relativ kleinen
erdähnlichen Planeten hätten bilden können – die einzigen Planetenembryonen, die
dort entstanden, führten zu kleineren Objekte wie Pluto. Die meisten
Planetesimale in dieser Entfernung erreichten das Stadium eines Planetenembryos
überhaupt nicht. Am Ende hatte unser Sonnensystem mehrere Regionen mit
übriggebliebenen Planetesimalen und deren Nachkommen: Der Asteroiden-Hauptgürtel
zwischen Mars und Jupiter enthält sowohl Planetesimale, die Jupiter von der
Bildung von Embryonen abgehalten hat, sowie solche, die von Uranus und Neptun
nach innen gestreut wurden.
Die scheibenförmige Struktur des Kuipergürtels, zwischen 30 und 50
Astronomischen Einheiten (eine Astronomische Einheit ist die mittlere Entfernung
der Erde von der Sonne) von der Sonne entfernt, enthält Planetesimale, die von
Anfang an zu weit entfernt waren, um durch die Migrationen von Uranus und Neptun
gestört zu werden, rund 70.000 von ihnen mit einer Größe von über 100
Kilometern. Von hier stammen die meisten Kometen mit Umlaufzeiten mittlerer
Länge, die das innere Sonnensystem besuchen. Weiter draußen, in der sogenannten
Oortschen Wolke, befinden sich Objekte, die durch die Uranus-Neptun-Wanderung
nach außen gestreut wurden.
Die Entwicklung von zentimetergroßen Pebbles zu Planetesimalen zu simulieren
ist eine Herausforderung. Bis vor etwa einem Jahrzehnt war dabei noch nicht
einmal klar, wie es überhaupt zu diesem Übergang kommen konnte – die damaligen
Simulationen bekamen es nicht hin, dass die Pebbles größer als ungefähr einen
Meter wurden. Dieses Problem wurde gelöst als man erkannte, dass turbulente
Strömungen in der protoplanetaren Scheibe eine ausreichende Menge an Pebbles
zusammenbringen, um größere Objekte entstehen zu lassen. Aber die
unterschiedlichen Größenskalen, um die es insgesamt geht, stellen Simulationen
der Planetenentstehung weiterhin vor Probleme.
Die von Polak und Klahr durchgeführten Simulationen beruhen auf einem Ansatz,
der der kinetischen Gastheorie entlehnt ist, also der Beschreibung von Gasen als
Ansammlung von unzähligen Molekülen, die mit hoher Geschwindigkeit umherfliegen
und über ihre Zusammenstöße mit den Seiten eines Behälters kumulativ Druck auf
die Behälterwände ausüben. Wo die Gastemperatur niedrig genug und der Druck hoch
genug ist, kommt es zu einem sogenannten Phasenübergang: das Gas wird flüssig.
Unter bestimmten Bedingungen kann ein Phasenübergang einen Stoff auch direkt vom
gasförmigen in den festen Zustand überführen.
Die Simulation von Polak und Klahr behandelt Gruppen von Pebbles in einer
kollabierenden Wolke in einer protoplanetaren Scheibe analog zu Teilchen eines
Gases. Anstatt die Kollisionen zwischen den verschiedenen Pebble-Gruppen
explizit zu modellieren, wiesen sie ihrem "Pebble-Gas" einen Druck zu. Für die
sogenannte Zustandsgleichung, die den Druck als Funktion der Dichte angibt,
wählten sie eine so genannte adiabatische Zustandsgleichung – eine Gleichung,
die für eine sphärisch-symmetrische Situation auf eine ähnliche Dichtestruktur
wie im Inneren der Erde führt.
Mit dieser Wahl kann das Pebble-Gas auch einen Phasenübergang durchlaufen:
Bei geringer Dichte gibt es eine "Gasphase", in der einzelne Pebble herumfliegen
und häufig zusammenstoßen. Ab einer gestimmten Dichte geht die Materie in eine
"feste Phase" über, in der sich die Pebble zu festen Planetesimalen
zusammengefunden haben. Das entscheidende Kriterium dafür, wann das Pebble-Gas
fest wird, ist, ob die Gravitations-Anziehungskraft der Pebble größer ist als
der durch die Kollisionen aufrecht erhaltene Druck.
Eine frühere Arbeit in der Gruppe von Hubert Klahr hatte gezeigt, dass die
Entstehung von Planeten immer mit einer kollabierenden, kompakten Wolke von
Pebbles innerhalb der protoplanetaren Scheibe beginnt. Dieselbe Arbeit lieferte
konkrete Werte für die Größe solcher separaten kollabierenden Regionen. In der
jetzt veröffentlichten Arbeit betrachten Polak und Klahr mehrere Versionen einer
solchen kollabierenden Region, jede mit einem anderen Abstand von der Sonne,
beginnend mit einem Abstand so nah wie die Umlaufbahn des Merkurs und endend mit
einer kollabierenden Region so weit entfernt von der Sonne wie Neptun.
Da ihre vereinfachten Gleichungen viel weniger komplex sind als die anderer
Modelle zur Entstehung von Planetesimalen konnten Polak und Klahr mit der
verfügbaren Rechenleistung feinere Details simulieren als je zuvor – bis
hinunter zu denjenigen Längen- und Abstandsskalen, auf denen sich Paare von
Planetesimalen umkreisen bzw. sich bei besonders geringem Abstand sogar
aneinanderlagern können. Frühere Simulationen, die nicht in der Lage waren,
solche feinen Details zu beschreiben, mussten annehmen, dass zwei Planetesimale,
die sich so nahe kommen, wie es für die Bildung eines engen Doppel-Planetesimale
notwendig ist, schlicht zu einem einzigen, strukturlosen größeren Objekt
verschmelzen, und konnten solche Doppel-Planetesimale also gar nicht erst
erfassen.
Die neuen Ergebnisse zeichnen ein interessantes Bild von der Planetesimalen-Entstehung
als Ganzes. Als Schlüssel erweist sich die Entfernung von der Sonne: Eine
kollabierende Region in unmittelbarer Nähe der Sonne wird nur ein einziges
Planetesimal hervorbringen. Mit zunehmender Entfernung von der Sonne entstehen
innerhalb einer einzigen kollabierenden Region zunehmend mehr Planetesimale
gleichzeitig. Die größten Planetesimale, die durch eine kollabierende Pebble-Wolke
in Erdnähe entstehen, sind dabei rund 30 Prozent massereicher und zehn Prozent
größer als die, die zehnmal weiter entfernt entstehen. Insgesamt erweist sich
die Produktion von Planetesimalen als sehr effizient: Mehr als 90 Prozent der
verfügbaren Pebbles enden in Planetesimalen, unabhängig vom Ort im Sonnensystem.
Natürlich ging auch bei den Asteroiden des Hauptgürtels das Leben in den
letzten Milliarden Jahren weiter. Zahlreiche Kollisionen haben ursprünglich
größere Planetesimale in kleinere Fragmente zerschlagen haben. Aber Versuche,
auf Basis der heutigen Beobachtungen die ursprüngliche Größenverteilung der
Asteroiden zu rekonstruieren, kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie die neuen
Simulationen. Und es gab eine Überraschung: "Bisher ging man davon aus, dass die
anfängliche Größenverteilung der Asteroiden die Massenverteilung der Pebble-Wolken
widerspiegelt", sagt Polak. "Deshalb waren wir überrascht, dass unsere
Simulationen, in denen die Pebble-Wolkn jeweils dieselbe Anfangsmasse hat, nach
dem jeweiligen Kollaps die gleiche Massenverteilung der Asteroiden ergaben, wie
sie auch aus den Beobachtungsdaten folgt. Dies verändert die Anforderungen an
die Prozesse, die die Pebble-Wolken in der protoplanetaren Scheibe erzeugen,
drastisch." Mit anderen Worten: Simulationen der frühesten Stadien unseres
Sonnensystems müssen sich nicht darum kümmern, dass die Größe der Pebble-Wolken
genau richtig ist – der Planetesimal-Entstehungsprozess selbst sorgt für die
richtige Größenverteilung.
Die Detailtreue, welche die neuen Simulationen auszeichnet, hat außerdem neue
Ergebnisse über Doppel-Planetesimale geliefert, bei denen sich Paare von
Planetesimalen gegenseitig umkreisen. Bei der Hälfte jener Systeme ist der
Abstand klein, konkret: beträgt weniger als das Vierfache des Durchmessers der
Planetesimale selbst. Die Vorhersagen zu Häufigkeit und Eigenschaften der
Doppel-Planetesimale, einschließlich des Vorkommens zusätzlicher kleiner
"Monde", die sie umkreisen, stimmen gut mit den beobachteten Eigenschaften von
Objekten des Kuipergürtels in den äußeren Bereichen des Sonnensystems und mit
den Eigenschaften der Asteroiden des Hauptgürtels überein.
Eine der Vorhersagen ist, dass sich sehr früh enge Doppel-Planetesimale in
großer Zahl bilden, nämlich bereits dann, wenn die Pebbles zu Planetesimalen
verschmelzen – nicht erst bei späteren Beinahe-Kollisionen und anderen
Wechselwirkungen. Die NASA-Raumfahrtmission Lucy, die 2021 gestartet
wurde, verspricht eine interessante Möglichkeit, diese Vorhersage zu testen.
"Nicht alle Planetesimale endeten im Asteroiden- oder Kuipergürtel. Einige
bleiben in einer gemeinsamen Umlaufbahn mit Jupiter gefangen, das sind die
sogenannten Trojaner", sagt Klahr. "Die Lucy-Mission wird in den nächsten Jahren
mehrere von ihnen besuchen. Im März 2033 wird sie an den Asteroiden Patroclus
und Menoetius vorbeifliegen. Beide sind jeweils 100 Kilometer groß und umkreisen
einander in einem Abstand von nur 680 Kilometer. Unserer Vorhersage nach sollten
die beiden die gleiche Farbe und das gleiche Aussehen haben, da wir davon
ausgehen, dass sie aus ein und derselben Pebble-Wolke entstanden sind. Eineiige
Zwillinge von Geburt an."
Die derzeitige Version der Simulationen von Polak und Klahr untersucht die
Bildung von Planetesimalen vom inneren Sonnensystem bis hinaus zur heutigen
Umlaufbahn des Neptun. Als nächstes wollen die beiden ihre Untersuchungen bis zu
noch größeren Entfernungen erweitern. Die derzeitigen Simulationen ergeben
bereits Doppel-Objekte wie Arrokoth, das von der NASA-Sonde New Horizons
im Jahr 2019 nach ihrem Besuch im Pluto-Charon-System besucht wurde. Solche "contact
binaries" sind Doppel-Planetesimale die sich so eng umkreisen, dass sie direkt
miteinander verwachsen. Es wäre interessant zu sehen, wie sich solche Objekte in
der tatsächlichen Entfernung von Arrokoth von der Sonne bilden könnten – 45 Mal
so weit von der Sonne entfernt wie die Erde.
Zudem können die jetzigen Simulationen Planetesimale nur als perfekte Kugeln
unterschiedlicher Größe beschreiben. Eine komplexere Zustandsgleichung, welche
die Fähigkeit fester Körper einbezieht, ihre Form beizubehalten, würde eine
Beschreibung von Objekten mit realistischen Materialeigenschaften einer Mischung
aus porösem Eis und Staub ermöglichen. Damit könnten in der Simulation dann auch
Planetesimale mit komplizierteren, unregelmäßigen Formen entstehen. Das würde
auf Basis unseres heutigen Verständnisses der Entstehung des Sonnensystems
zusätzliche Vorhersagen ermöglichen, die sich mit Beobachtungsdaten vergleichen
ließen.
Die Ergebnisse der Simulation beschreiben Polak und Klahr in einem
Fachartikel, der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal
erscheinen wird.
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