Menschliches Gewebe im Erdorbit züchten
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Zürich astronews.com
9. März 2020
Mit dem jüngsten Versorgungsflug zur Internationalen
Raumstation ISS ist auch ein ganz besonderes Experiment in den Erdorbit gebracht
worden: Aus menschlichen Stammzellen soll in Schwerelosigkeit Gewebe gezüchtet
werden. Künftig könnte es möglich sein, auf einen Patienten abgestimmte
Transplantate im All zu züchten. Auch Tierversuche könnten sich so vermeiden
lassen.

Das mobile Mini-Labor Space Tango CubeLab an
Bord der Internationalen Raumstation ISS.
Bild:
Space Tango [Großansicht] |
Am 6. März um 23:50 Uhr Lokalzeit startete von Cape Canaveral AUS der
Versorgungsflug SpaceX CRS-20 zur Internationalen Raumstation ISS. Mit an Bord
sind zweihundertfünfzig Teströhrchen der Universität Zürich mit adulten
menschlichen Stammzellen. Aus diesen werden sich während des einmonatigen
Aufenthalts im All Gewebe von Knochen, Knorpel und anderen Organen entwickeln.
Mit diesem Testprojekt wollen Oliver Ullrich und Cora Thiel, die beiden Leiter
des Forschungsprojekts vom UZH Space Hub, das von ihnen entwickelte neuartige
Verfahren prüfen. Ziel ist, dieses dereinst in der Transplantationsmedizin, in
der Präzisionsmedizin und als Ersatz für Tierversuche einzusetzen.
"Wir nutzen die Schwerelosigkeit als Werkzeug", erklärt Thiel. Physikalische
Kräfte wie die Schwerkraft beeinflussen, wie sich Stammzellen differenzieren und
wie die Bildung und Regeneration von Geweben organisiert wird. Die Forschenden
gehen davon aus, dass durch die geringe Schwerkraft an Bord der ISS die neu
gebildeten Zellen sich dreidimensional ohne Matrix und zusätzlichen
Hilfsstrukturen organisieren.
Das Experiment findet in einem mobilen Mini-Labor, dem CubeLab-Modul der
US-Firma Space Tango, statt. Das Modul besteht aus einem geschlossenen und
sterilen System, in dem sich die Stammzellen bei konstanter Temperatur vermehren
können. Verläuft das Testprojekt erfolgreich, soll schrittweise vom kleinen
Labor- auf den größeren Produktionsmaßstab umgestellt werden. Mit dem
innovativen Verfahren soll zukünftig mithilfe von Stammzellen, die in einem
Routineeingriff entnommen werden, im All Ersatzgewebe wie etwa Knorpel oder neue
Leberzellen gezüchtet und anschließend dem Patienten implantiert werden.
Gemäß Ullrich zeichnet sich ein weiteres Anwendungsgebiet in der
Präzisionsmedizin ab: "So könnte dank künstlich erzeugter Eigengewebe ermittelt
werden, welche Medikamentenkombination für die jeweilige Patienten ideal ist.
Zudem dürften die im All gezüchteten menschlichen Gewebe und organähnlichen
Strukturen helfen, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren."
Überzeugt vom Potenzial des Verfahrens ist man auch beim Partner Airbus. Die
Public-private Partnership gestaltet sich folgendermaßen: Die Division Defence
and Space von Airbus hat die sogenannten "Inlets", der Innenraum der
Transportboxen, designt. Für deren Design und Herstellung wurden auch neuartige
Verfahren wie das selektive Laser-Sintern (SLS), ein spezielles
3D-Druckverfahren, eingesetzt. Die Inlets gewährleisten den sicheren Transport
der Zellproben bei maximaler Volumenausnutzung. Zudem organisiert Airbus den
Zugang zur ISS sowie Hin- und Rücktransport der Zellkulturen und stellt die
Ausrüstung zur Unterstützung vom Boden zur Verfügung. Ullrich und Thiel steuern
die Forschungsidee, das Studiendesign, die wissenschaftliche Arbeit und das
wissenschaftliche Personal bei.
Entgegen der verbreiteten Meinung sei nach Ansicht der Forscher der Transport
ins All heute kein wesentlicher Kostenfaktor mehr: "Bei Raumfahrtprojekten sind
vor allem die einzeln angefertigte Hardware und die Bürokratie die wesentlichen
Kostentreiber", sagt Ullrich, Professor für Anatomie an der UZH und Direktor des
UZH Space Hubs. Er setzt deshalb bei Apparaturen und Instrumenten bewusst auf
etablierte medizinische Serienprodukte. Vom zukünftigen Nutzen der Raumfahrt ist
Ullrich überzeugt: "Der Mensch wird in wenigen Jahrzehnten den erdnahen Weltraum
mit seinen spezifischen Eigenschaften als Forschungs-, Entwicklungs- und
Produktionsort nutzen".
|
ISS - die astronews.com
Berichterstattung über die Internationale Raumstation |
|