Zweifel an einer Standardkerze
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
5. März 2020
Supernovae vom Typ Ia könnten deutlich andere Eigenschaften
haben als bisher angenommen: Dies ergab eine detaillierte Rekonstruktion der
Manganproduktion in der Milchstraße. Die Analyse deutet darauf hin, dass die
Mehrheit dieser Sternexplosionen durch die Verschmelzung von zwei Weißen Zwergen
entsteht. Nun fragt man sich, ob sie trotzdem noch zur Bestimmung von
Entfernungen taugen.

Wie entstehen Supernovae vom Typ Ia? Die
Explosionen spielen in der Kosmologie eine
entscheidende Rolle. Das Bild zeigt eine
künstlerische Darstellung.
Bild: NASA [Großansicht] |
Während Maria Bergemann, eine Lise-Meitner-Forschungsgruppenleiterin am
Max-Planck-Institut für Astronomie, in den letzten Jahren immer bessere Methoden
zur Messung der chemischen Eigenschaften von Sternen entwickelte, hätte sie sich
nicht träumen lassen, dass ihre Ergebnisse eines Tages die Art und Weise
beeinflussen könnten, wie Astronomen die kosmische Expansion, die
Hubble-Konstante und die Menge der Dunklen Energie in unserem Universum
bestimmen.
Aber auf einigen Umwegen scheint genau das jetzt der Fall zu sein. Mithilfe
der von Bergemann entwickelten Analysewerkzeuge konnten die Astronomen die
Häufigkeit der chemischen Elemente Mangan und Eisen über die letzten 13
Milliarden Jahren der galaktischen Geschichte zurückverfolgen. Ihr -
unerwartetes - Ergebnis erlaubt Rückschlüsse auf die Eigenschaften bestimmter
Sternexplosionen, der sogenannten Supernovae vom Typ Ia. In solchen Explosionen
entstehen die genannten Elemente.
Früher glaubte man, dass die meisten Supernovae vom Typ Ia von einem Weißen
Zwergstern verursacht werden, der einen gewöhnlichen Stern umkreist und dabei
den Wasserstoff aus den äußeren Schichten jenes anderen Sterns absaugt. Die
Manganhäufigkeiten von Sternen in unserer Milchstraße zeigen nun aber, dass im
Gegenteil drei von vier solcher Explosionen auf andere Weise zustande kommen.
Einige werden von je zwei Weißen Zwergsternen verursacht, die sich gegenseitig
umkreisen. Andere werden ausgelöst, wenn ein Weißer Zwerg Materie von einem
Begleitstern abzieht, aber damit gleich mehrere Explosionen auslöst. Der
Unterschied zwischen dem Standard-Szenario und diesen Alternativen kann
grundlegende Folgen für die Beziehung zwischen dem Helligkeitsmaximum haben,
sowie für den Verlauf der Helligkeitsänderung mit der Zeit sowie die
Gesamt-Zeitskala solcher Explosionen.
Das wiederum hat Konsequenzen für einige der grundlegendsten Beobachtungen
der Kosmologie: Jene Beobachtungen verwenden nämlich Supernovae vom Typ Ia als
"Standardkerzen", also als Lichtquellen, deren tatsächliche Helligkeit der
Astronomie bekannt isrt. Der Vergleich der wirklichen Helligkeit einer Quelle
mit der beobachteten Helligkeit ermöglicht es dann, die Entfernung der Quelle zu
uns zu bestimmen. Die Entdeckung der sogenannten Dunklen Energie, von der man
annimmt, dass sie rund 70% der Gesamtenergiedichte unseres Universums ausmacht,
geht auf Beobachtungen dieser Art zurück, ebenso wie die Messung der
Hubble-Konstante, die die aktuelle Ausdehnungsrate unseres Universums angibt.
Handelt es sich bei den für diese Messungen verwendeten Supernovae dagegen nicht
um Standardkerzen desselben Typs, sondern um mindestens zwei verschiedene Arten
von Explosionen mit unterschiedlichen Eigenschaften, müssen die kosmologischen
Schlussfolgerungen erneut überprüft werden.
Die Häufigkeit von Elementen wie Eisen in der Atmosphäre eines Sterns ist
auch ein direkter Indikator dafür, wie lange es her ist, dass der Stern geboren
wurde. Mithilfe hochauflösender Sternspektren von Teleskopen mit
Spiegeldurchmessern von 8 bis 10 Metern – sowohl des Very Large Telescope der
ESO als auch des Keck-Observatoriums – konnten Bergemann und ihre Kollegen die
Häufigkeiten sowohl von Eisen als auch von Mangan für 42 Sterne bestimmen, von
denen einige bis zu 13 Milliarden Jahre alt sind. Aus dem Eisengehalt konnten
die Astronomen das Alters jedes der Sterne relativ zu den anderen Sternen
ermitteln. So konnten sie die Geschichte der Manganproduktion in unserer Galaxie
rekonstruieren.
Zu ihrer großen Überraschung zeigte die neue und verbesserte Analyse, dass
das Verhältnis von Mangan zu Eisen über diesen langen Zeitraum ziemlich konstant
war. Frühere, einfachere Abschätzungen hatten auf einen Trend hingedeutet,
nämlich auf ein Ansteigen der Manganproduktion über die letzten 13 Milliarden
Jahre der galaktischen Geschichte. Noch überraschender war, dass man das gleiche
konstante Verhältnis der Mangan- und der Eisenhäufigkeit in ganz verschiedenen
Regionen unserer eigenen Galaxie und sogar in nahen Galaxien der Lokalen Gruppe
fand. Zumindest in unserer kosmischen Nachbarschaft scheint das Verhältnis von
Mangan zu Eisen eine universelle chemische Konstante zu sein.
An dieser Stelle kommen die Supernovae ins Spiel. Damit Mangan entsteht, ist
die beeindruckend hohe Energie nötig, die bei Supernova-Explosionen freigesetzt
wird. Verschiedene Arten von Supernovae produzieren Eisen und Mangan in
unterschiedlichen Häufigkeitsverhältnissen. Einen Beitrag leisten sogenannte
Gravitationskollaps-Supernovae, bei denen ein massereicher Stern am Ende seines
Lebens in sich zusammenfällt, wenn der Kernbrennstoff in seinem Inneren
verbraucht ist.
Andere Beiträge sind allerdings in diesem Zusammenhang interessanter: Wenn
ein Weißer Zwerg, ein Überrest eines sonnenähnlichen Sterns, einen Riesenstern
umkreist, zieht seine Schwerkraft Wasserstoff aus dem Riesenstern auf seine
eigene Oberfläche. Überschreitet der Weiße Zwerg dabei eine Grenzmasse wird er
instabil, was zu einer thermonuklearen Explosion führt, einer sogenannten
Supernova vom Typ Ia. Da wegen dieser Grenzmasse die Masse des explodierten
Sterns immer ungefähr gleich ist, sollte bei der Explosion auch die ungefähr
gleiche Energie freigesetzt werden und die tatsächliche Helligkeit gleich sein.
Deswegen werden diese Explosionen auch als Standardkerzen verwendet.
Bei den früheren, weniger genauen Mangan-Messungen waren die Astronomen zu
dem Schluss gekommen, dass der überwiegende Teil der Supernovae vom Typ Ia in
der oben beschriebenen Art und Weise geschieht, also mit einem Weißen Zwerg, der
Wasserstoff von einem riesigen Begleitstern abzieht. Die neuen Messungen
dagegen, nach denen das Mangan-Eisen-Verhältnis während der gesamten
galaktischen Geschichte konstant war, legen einen anderen Schluss nahe. Es gibt
nämlich noch andere Möglichkeiten, eine Supernova vom Typ Ia zu erzeugen.
Allein den Beobachtungsdaten nach, insbesondere in Bezug auf die Art und
Weise, wie sich die Helligkeit der Supernova mit der Zeit ändert, sind diese
Alternativen nicht von dem herkömmlichen Weiß-Zwerg-plus-Riesen-Szenario zu
unterscheiden. In einem der möglichen Alternativfälle zieht der Weiße Zwerg
Materie von einem Begleitstern ab, die zu einer Explosion in den oberen
Schichten des Stern führt. Deren Druckwelle läuft in Richtung der Kernregionen
des Weißen Zwergs und löst dort eine weitere Explosion aus. Insgesamt entsteht
die Supernova also aus einer Doppel-Detonation.
Im anderen Fall sind die Protagonisten zwei Weiße Zwergsterne in enger
Umlaufbahn umeinander. Sind sich die Sterne so nahe gekommen, dass ihre äußeren
Gasschichten eine gemeinsame Hülle um das Paar bilden, dann führt die Aussendung
von Gravitationswellen des schnell kreisenden Systems dazu, dass sich die Weißen
Zwerge immer näher kommen. Verschmelzen sie, dann kommt es zu einer
thermonuklearen Explosion. Zu guter Letzt gibt es noch eine Mischform, bei der
sich in einem Doppelsternsystem aus Weißen Zwergen eine doppelte Detonation
ereignet.
Aber die Helligkeit dieser Art von Explosion wird nicht durch physikalische
Konstanten festgelegt. Bei einer solch heftigen Verschmelzung kann das
kombinierte explodierende Objekt weniger oder mehr Masse besitzen und die
Explosion damit dunkler oder heller sein. Das sind schlechte Nachrichten für
diejenigen Kosmologen, die sich auf Supernovae Ia als Standardkerzen verlassen,
sprich: die davon ausgehen, dass solche Explosionen eine direkt bestimmbare
Helligkeit haben.
Aber es wird noch schlimmer: Um das beobachtete konstante Verhältnis von
Mangan und Wasserstoff erklären zu können, mussten Bergemann und ihre Kollegen
davon ausgehen, dass drei Viertel aller Supernova Ia-Explosionen in unserer
Galaxie auf verschmelzende Weiße-Zwerge-Doppelsterne zurückzuführen sind. Diese
Sorte von Supernovae Ia ist offenbar die Regel, nicht die Ausnahme.
Zweifellos werden andere Gruppen die Ergebnisse von Bergemann und ihren
Kollegen auf die Probe stellen. Aber bereits jetzt gibt es eine Bestätigung:
Eine Gruppe von Astronomen um Evan Kirby und Mia de los Reyes am California
Institute of Technology hat ähnliche Ergebnisse für eine Reihe von
Zwerggalaxien gefunden. Kosmologen werden nun überprüfen müssen, welche
Konsequenzen der neue Supernova-Typ für ihre Schlussfolgerungen über das
Universum als Ganzes hat.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Teams in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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