Das Geheimnis protostellarer Scheiben
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
18. Juli 2016
Scheiben um gerade entstehende Sterne spielen im Universum
eine wesentliche Rolle, sind sie doch letztlich der Ort, wo sich später einmal
Planeten bilden könnten. Bislang jedoch ließen sich solche Scheiben
theoretisch nur schwer beschreiben. Neue realistischere Simulationen lieferten
jetzt einen Hinweis auf die Ursache dieses Problems: winzige Staubkörner.

Die Dichteverteilung in einer kollabierenden
Gaswolke, wenn die kleinsten Staubkörner entfernt
wurden. Der Zufluss von Drehmoment führt zu einer
großen rotationsgestützten Scheibe.
Bild: MPE [Gesamtansicht] |
Obwohl rotationsgestützte Scheiben um junge Sterne häufig beobachtet werden, war
es für theoretische Studien bisher schwer, derartige Scheiben nachzubilden. Das
Hauptproblem ist dabei das Magnetfeld der interstellaren Materie, das zur
sogenannten "magnetischen Bremskatastrophe" führt und zwar schon für mittlere
Magnetfeldstärken: Bei Modellen mit idealer Magnetohydrodynamik (MHD) wird das
Gas in das Magnetfeld "eingefroren" und die Feldlinien werden durch das
kollabierende Gas in Richtung Mitte gezogen, so dass das Magnetfeld die Form
einer Sanduhr erhält.
Die stark zusammengepressten Feldlinien verbinden Materialien aus der
unmittelbaren Nähe des Sterns mit Material viel weiter außen und übertragen
Drehimpuls vom Zentrum weg. Selbst in nicht-idealen MHD-Modellen, bei denen
neutrale Materie relativ zum Magnetfeld wandern kann, bleibt die Entstehung von
rotationsgestützten Scheiben schwierig, wenn Standard-Chemie zur Beschreibung
der Ionisierung bei der Berechnung der nicht-idealen MHD-Effekte verwendet wird.
"Das Problem sind winzige Staubkörner; wenn sie nicht da sind, erhalten wir eine
rotationsgestützte Scheibe", sagt Bo Zhao vom Max-Planck-Instituts für
extraterrestrische Physik. Der Wissenschaftler gehört zu einem internationalen
Team, das die Entstehung solcher Scheiben durch neue realistischere Simulationen
untersucht hat, die auch nicht-ideale Magneto-Hydrodynamik sowie die Chemie der
Ionisierung berücksichtigen.
"Diese winzigen Körner, die leicht durch die Absorption von Ionen und Elektronen
elektrisch aufgeladen werden können, koppeln effektiv sowohl mit dem Magnetfeld
als auch in Kollisionen mit den umgebenden Molekülen", erklärt Zhao. "Anders
gesagt: auch die neutrale Materie ist aufgrund dieser winzigen Körner noch
relativ gut mit dem Magnetfeld gekoppelt. Wenn wir diese nun aber entfernen, so
koppeln die größeren Körner nicht so effektiv, so dass sich die neutrale Materie
der Wolke viel schneller durch die Magnetfeldlinien schleichen kann und
schließlich eine Scheibe bildet, die ausreichend Rotationsunterstützung besitzt.
"
Interstellare Molekülwolken bestehen aus Gas und Staubkörnern mit einer
"Standardverteilung" der Korngrößen, die auch eine große Menge an Körnchen in
Nanometer-Größe enthält. Eine derartige Größenverteilung muss aber nicht
unbedingt den dichteren Bereich der molekularen Wolke korrekt wiedergeben. In
kalten und dichten Molekülwolken können sich die winzigen Körner mit
Nanometer-Größe wie große Moleküle verhalten und auf der Oberfläche von größeren
Staubteilchen einfrieren.
Eine weitere Unterstützung für diese Idee kommt von Beobachtungen bei
Zentimeter-Wellenlängen, die versuchen, Strahlung von rotierenden Staubkörnern
nachzuweisen; auch sie zeigen, dass kleine Körner mit einer Größe unter wenigen
Nanometern in dichten Molekülwolken fehlen. "Wenn die Körner meist größer als
0,1 Mikrometer sind, können die rotationsgestützten Scheiben massereich genug
werden, um selbst-gravitierend zu sein und Ringe zu bilden", sagt Zhao. "Eine
solche Struktur in 3D könnte leicht in mehrere Sternsysteme fragmentieren, was
auch die hohe Vielzahl der Sterne in unserer Milchstraße erklären könnte."
"Es ist sehr überraschend, dass die Entfernung der kleinen Staubkörnchen, die
'magnetische Bremskatastrophe' bei der Scheibenbildung verhindern kann", sagt
Paola Caselli vom Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. "Dies ist
ein Durchbruch in unserem Verständnis, wie sich protoplanetare Scheiben bilden.
Zugleich zeigt es, dass die Chemie und Mikrophysik für die grundlegenden
Prozesse im Bereich der Stern- und Planetenentstehung von entscheidender
Bedeutung sind."
Über ihre Untersuchung berichten die Forscher in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erscheinen
wird.
|