Mit künstlicher Intelligenz im kosmischen Netz
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Institut für Astrophysik astronews.com
24. September 2012
Wie erklärt sich die heutige Verteilung der Galaxien und die
Bewegung unseres lokalen Galaxienhaufens durchs All? Da beide Aspekte stark von
der Dunklen Materie beeinflusst werden, sind entsprechende Simulationen
schwierig. Nun hat ein Astrophysiker aus Potsdam ein neues, vielversprechendes
Verfahren ausprobiert: Es setzt auf künstliche Intelligenz.
Ein Blick auf
das kosmische Netz im lokalen Universum. Das Bild
zeigt einen Bereich mit einem Durchmesser von 370
Millionen Lichtjahren.
Bild: AIP [Großansicht] |
Um die Entwicklung des Universums nachzuvollziehen, durchmustern
Großteleskope immer wieder den Nachthimmel. Sie entdecken auf diese Weise
unzählige Galaxien, die sich in bestimmte Strukturen anordnen und das sogenannte
kosmische Netz bilden. Astronomen gehen jedoch davon aus, dass die leuchtenden
Objekte, die sie im Nachthimmel beobachten, nur etwa ein Fünftel der Materie im
Universum ausmachen. Der größte Teil der Materie strahlt nicht und wird als
Dunkle Materie bezeichnet. Zusätzlich gibt es eine dominierende
Dunkle-Energie-Komponente, die etwa 70 Prozent der gesamten Energie im Universum
ausmacht und für die beschleunigte Expansion des Weltalls verantwortlich ist.
Das Modell, das ein solches Universum beschreibt, nennen Astrophysiker das
LCDM-Modell (LCDM steht für Lamda cold dark matter) und versuchen es immer
wieder aufs Neue zu überprüfen, da weder die Dunkle Materie noch die Dunkle
Energie bislang direkt beobachtet worden sind. Die Messung der kosmischen
Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die oft auch als "Echo des Urknalls"
bezeichnet wird, ermöglicht den Astronomen aber die Bewegung der Lokalen Gruppe,
unseres Heimatgalaxienhaufens, zu messen. Diese Bewegung versuchen sie durch die
Anziehungskraft der umliegenden Dunklen Materie zu erklären, können dabei
allerdings nur auf ihre Beobachtungen der sichtbaren Galaxienverteilung
zurückgreifen.
"Aufschluss über die Verteilung der Dunklen Materie und deren Dynamik anhand
der Galaxienverteilung zu gewinnen gleicht dem Versuch, aus der
Satellitenaufnahme der Erde bei Nacht, auf der man allein die Lichter der stark
besiedelten Regionen sieht, ein geographisch genaues Abbild unseres Planeten zu
formen", verdeutlicht Francisco Kitaura vom Leibniz-Institut für Astrophysik
Potsdam (AIP) die Schwierigkeit. "Und das nicht nur zum heutigen Zeitpunkt,
sondern auch zu einem vergangenen, als die Kontinente noch zusammenhingen, um
gleichzeitig die Kontinentalverschiebung zu bestimmen."
Um dieses Problem lösen zu können, entwickelten Kitaura und seine
Kollegen einen Algorithmus, der sich künstliche Intelligenz zunutze macht. Die
Methode spielt iterativ generierte Anfangsfluktuationen und die daraus
resultierende Strukturentstehung in einem selbstlernenden Prozess durch. Die
Ergebnisse werden dann mit der tatsächlichen Galaxienverteilung im Universum
abgeglichen. So können durch das Verfahren auch die Bewegungsrichtung und
Geschwindigkeitsfelder von Galaxien bestimmt werden.
"Unsere genauen Rechnungen zeigen, dass die Bewegungsrichtung und 80 Prozent
des Geschwindigkeitsbetrags der Lokalen Gruppe durch die Materieverteilung
innerhalb eines Radius von etwa 370 Millionen Lichtjahren in Übereinstimmung mit
dem LCDM-Modell erklärt werden können", erklärt Kitaura, der die Studie geleitet
hat. "Um die restlichen 20 Prozent zu erklären, müssen wir noch berücksichtigen,
dass die Dynamik theoretisch von kosmischen Strukturen aus etwa 460 Millionen
Lichtjahren Entfernung beeinflusst werden kann."
Kitauras Verfahren ist die erste in sich konsistente Methode einer parallelen
Rekonstruktion der Anfangsdichtefluktuationen des heutigen kosmischen Netzes und
der Geschwindigkeitsfelder, die kompatibel mit der dreidimensionalen Verteilung
der Galaxien in unserem lokalen Universum ist. Die Methode findet bereits jetzt
innerhalb eines internationalen Teams weitere Anwendung, um mit bisher
unerreichter Genauigkeit die Entwicklung des lokalen Universums auf
Supercomputern zu simulieren und somit Rückschlüsse auf die Entstehung unserer
Umgebung und unserer eigenen Galaxie zu ziehen.
Francisco Kitaura forscht seit Juli 2011 als Karl-Schwarzschild-Fellow am
Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. Seine Forschungsinteressen umfassen
die Strukturentstehung im Universum und deren statistische Charakterisierung.
Ein Fachartikel über die jetzt vorgestellte Studie erscheint in Kürze in den
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
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