Neutrino-Teleskop entdeckt Pottwale
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
1. Dezember 2010
Mithilfe des Teleskops ANTARES, das auf dem Boden des Mittelmeers nach Signalen
von Neutrinos aus dem All suchen soll, haben Wissenschaftler jetzt eine ganz
irdische Entdeckung gemacht: Im Mittelmeer tummeln sich auch Pottwale. Das
Ergebnis dieser ungewöhnlichen wissenschaftlichen Kooperation wird in dieser
Woche in Paris vorgestellt. Die Geräusche der Wale sind über das Internet
abrufbar.
Ging einem Neutrino-Teleskop ins Netz: ein
Pottwal im Mittelmeer.
Foto: Laboratori d‘Applications
Bioacústiques / Universitat Politécnica de
Catalunya |
Pottwale tummeln sich auch im Mittelmeer - das haben Biologen mithilfe
eines Instrumentariums herausgefunden, das in der Tiefsee unvorstellbar
winzigen und flüchtigen Besuchern der Erde auf der Spur ist: großen
Unterwasserteleskopen, mit denen Physiker Signale von Neutrinos, beinahe
masselosen Elementarteilchen, aus den Tiefen des Universums nachweisen
wollen. Aus den anfallenden Daten können Meeresbiologen die Geräusche
der Wale herausfiltern. Das Erlangen Centre for Astroparticle
Physics (ECAP) der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg wird dabei sein, wenn die ungewöhnliche Querverbindung
zwischen zwei Disziplinen am 1. und 2. Dezember 2010 in Paris diskutiert
wird.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ECAP erforschen
Neutrinos mit dem Teleskop ANTARES, das seit 2008 in der Nähe von Toulon
in 2.475 Metern Tiefe vollständig aufgebaut ist und Tag und Nacht Daten
sammelt, ähnlich wie NEMO vor Italien und NESTOR vor Griechenland. Am
europäischen Gemeinschaftsprojekt KM3NeT, einem kubikkilometer-großen
Neutrino-Teleskop, das im Mittelmeer künftig mehr als eine Milliarde
Tonnen Wasser beobachten soll, sind die Erlanger Astroteilchenphysiker
ebenfalls maßgeblich beteiligt. ANTARES überwacht etwa 30 Millionen
Tonnen Wasser mittels Photomultipliern, die einzelne Photonen nachweisen
und ihre Ankunftszeiten mit einer Genauigkeit von etwa einer Nanosekunde
messen können.
Auf diese Weise sollen Neutrinos aus astronomischen Quellen, die sich
trotz ihrer ungeheuer großen Zahl der Beobachtung bisher hartnäckig
entziehen, "sichtbar" werden. Darüber hinaus könnte es sein, dass man
Neutrinos buchstäblich "hören" kann. Sie heizen das umgebende Wasser in
einem sehr geringen Radius ein klein wenig auf, wenn sie ihre Energie in
einer Teilchenkaskade abgeben. Dabei dehnt sich das Wasser gerade genug
aus, um einen messbaren Schallpuls entstehen zu lassen. Außerdem lassen
sich akustische Sensoren in größeren Abständen voneinander anbringen als
optische, da sich Schall in Wasser weiter ausbreiten kann als Licht.
Um zu testen, ob auf diese Weise noch gewaltigere Wassermengen auf
Neutrino-Reaktionen zu untersuchen sind, wurden am ECAP akustische
Sensoren und die zugehörige Ausleselektronik entwickelt und in ANTARES
integriert. Seit Ende 2007 werden nun laufend akustische Daten aus der
Tiefsee genommen. Noch waren keine Signale von Neutrinos zu finden, doch
andere Geräusche sind ständig vorhanden, denn in den Wassermassen des
Mittelmeers ist es keineswegs still.
Die europäischen Physiker, die mit Unterwasserteleskopen arbeiten, kamen
auf die Idee, ihre Daten auch anderweitig zu verwerten und ihre Geräte
mit Meeresbiologen zu teilen. Damit tragen sie dazu bei, ein
bioakustisches Netzwerk zu entwickeln, das in der Tiefsee Signale aus
der Umwelt auffängt.
Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen bietet sich dadurch nicht
allein die Möglichkeit, Ausflüge von Walen ins Mittelmeer zu verfolgen;
für langfristige Studien in der Tiefsee könnten spezielle Detektoren
eingerichtet werden, beispielsweise um Ozeanströmungen zu untersuchen,
die Rätsel der Biolumineszenz – des "kalten Leuchtens" von Organismen –
zu lösen oder Bewegungen der Erdkruste zu überwachen und rechtzeitig vor
Erdbeben warnen zu können. Für Hobby-Ozeanologen wird etwas anderes
besonders reizvoll sein: Sie können am Computer dem Gesang der Wale
lauschen, und das sogar live. Die Internet-Platform LI-DO (Listen to the
Deep Ocean Environment) liefert die Daten mit einer minimalen
Zeitverzögerung nach Hause.
|