In der Nacht vom 6. auf den 7. April 2002 wurde über dem südlichen
Bayern ein außergewöhnlich heller Meteor gesichtet, der in der
Öffentlichkeit und der Presse deutschlandweit großes Aufsehen erregte.
Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und
des Ondrejov Observatoriums bei Prag ist es nun gelungen, aufgrund von
fotografischen Aufzeichnungen die Flugbahn des Meteoroiden zu
rekonstruieren. Da der Meteor sehr tief in die Atmosphäre eindringen
konnte, wird vermutet, dass das Objekt nicht vollständig verglüht ist,
sondern dass eine Restmasse, ein so genannter Meteorit, den Erdboden
erreicht hat. Das mögliche Absturzgebiet liegt zwischen Garmisch
Partenkirchen und Schwangau. Mit Hilfe der Aufnahmen ließ sich auch die
Umlaufbahn des Meteoroiden um die Sonne vor seiner Kollision mit der Erde
genau bestimmen. Zur Überraschung der Wissenschaftler ist diese Bahn fast
identisch mit der eines Objekts, das vor mehr als 40 Jahren den gleichen
Kameras ins Netz ging.
Das seltene Meteor-Ereignis ist ein ausgesprochener Glücksfall für die
Wissenschaftler vom DLR-Institut für Weltraumsensorik und
Planetenerkundung in Berlin-Adlershof denn der Meteor zeigte sich in einem
Gebiet, das nachts routinemäßig mit einem Netzwerk von Himmelskameras
überwacht wird. Das so genannte "Europäische Feuerkugel-Netz" ist bereits
seit Ende der 50er Jahre in Betrieb und besteht aus derzeit 25 Kameras,
die in Mitteleuropa von Deutschland über Tschechien, die Slowakei,
Belgien, die Schweiz und Österreich verteilt sind. Seit Mitte der 90er
Jahre koordinieren und betreuen Wissenschaftler am Institut für
Weltraumsensorik und Planetenerkundung des DLR in Berlin-Adlershof und des
bei Prag gelegenen Ondrejov Observatoriums die Arbeit des Netzwerkes.
Die vom DLR betreuten Kameras arbeiten nach einem einfachen Prinzip:
sie fotografieren jeweils einen stark gewölbten Spiegel, wodurch eine
Beobachtung des gesamten Himmels gewährleistet wird. Dabei wird der
Kameraverschluss die ganze Nacht lang geöffnet, so dass jeweils eine
Belichtung pro Nacht auf dem Film aufgezeichnet wird. Aus den Bildern
mehrerer Stationen lassen sich in der Regel die Flugbahn und
Geschwindigkeit von Meteoren, sowie - aus der Abbremsung und der
Eindringtiefe in die Atmosphäre - die physikalischen Eigenschaften der
Flugobjekte bestimmen. Im Mittel fotografiert das Feuerkugelnetz etwa 50
Meteore im Jahr.
Insgesamt wurde der Meteor vom vorletzten Wochenende von sieben der
Kameras aufgezeichnet. Neben drei Stationen nördlich von Augsburg und
Nürnberg konnten zwei Stationen im Schwarzwald, sowie jeweils eine Station
in Tschechien und in Österreich das "Flugobjekt" aus unterschiedlichen
Blickwinkeln fotografisch erfassen. Glücklicherweise waren die
atmosphärischen Bedingungen optimal für die Aufzeichnung mit den Kameras:
Der Himmel über Bayern war frei von Wolken.
Die Auswertungen zeigen, dass der Meteoroid unter einem Winkel von etwa 50
Grad um 22:20:18 MESZ knapp südlich der bayerisch-österreichischen Grenze
bei Innsbruck in die Erdatmosphäre eintrat und sich nach Nordwesten in
Richtung Mittenwald und Garmisch Partenkirchen bewegte. Die
Eintrittsgeschwindigkeit betrug 20,9 Kilometer in der Sekunde (etwa 75000
Kilometer pro Stunde); die sichtbare Leuchtspur begann in einer Höhe von
etwa 86 Kilometern.
Während die meisten Meteoroide in der Hochatmosphäre verglühen, konnte das
Objekt ungewöhnlich tief in die Lufthülle eindringen, wie die Aufnahmen
zeigen. Die Leuchtspur endete knapp 16 Kilometer über dem Boden. Es wird
daher vermutet, dass eine - vielleicht sogar mehrere Kilogramm schwere -
Restmasse aus Stein oder Eisen, so genannte Meteorite, den Boden erreicht
haben. Die Aufschlagpunkte werden im Großraum nordwestlich von Garmisch
Partenkirchen vermutet; eine genauere, zweite Auswertunf der Aufnahmen ist
noch nicht abgeschlossen, da das Verfahren sehr zeitaufwändig ist.
Der Meteor war enorm lichtstark. Dies deutet darauf hin, dass der
Meteoroid beim Eintritt in die Atmosphäre ursprünglich eine hohe Masse von
vermutlich 500 Kilogramm hatte, die jedoch durch die entstehende
Reibungshitze während des Hochgeschwindigkeitsflugs durch die Atmosphäre
zum großen Teil verdampft ist.
Die Aufnahmen liefern wertvolle Daten über die Flugbahn des Objektes
vor seinem Zusammenstoß mit der Erde und damit über seine mögliche
Herkunft. Sie zeigen, dass der Körper vor seiner Kollision in einer stark
elliptischen Bahn die Sonne umkreiste. Der sonnenfernste Punkt der Bahn
lag bei 4,0 Astronomischen Einheiten zwischen den Bahnen der Planeten Mars
und Jupiter, innerhalb des so genannten Asteroidengürtels.
Zur großen Überraschung der Forscher ist diese Umlaufbahn des
Meteoroiden nahezu identisch mit der eines zweiten, ähnlich spektakulären
Meteoroiden, der vor fast exakt 43 Jahren, am 7. April 1959, bereits vom
Europäischen Feuerkugelnetz fotografiert wurde. Damals konnte auf Grund
der fotografischen Ausbeute erfolgreich ein Meteorit, nach seinem Fundort
in der damaligen Tschechoslowakei "Pribram" benannt, geborgen werden, ein
damals einmaliger Erfolg der Meteoritenforschung. Sollte in diesem Fall
die Bergung ebenso gelingen, ist zu vermuten, dass dieser neue Meteorit
eine ähnliche stoffliche Zusammensetzung besitzt wie "Pribram".
Dass kleine Meteore ("Sternschnuppen") bisweilen in Schwärmen auftreten
(wie die alljährlichen Leoniden im November) ist ein bekanntes Phänomen.
Bislang waren jedoch die meisten Wissenschaftler der Ansicht, dass sich
Meteoroide vom meteoritischen Typ eher als "Einzelgänger" durch das
Weltall bewegen. Diese Entdeckung macht jedoch offensichtlich, dass ein
ganzer "Strom" meteoritischer Körper existiert, den die Erde jedes Jahr
Anfang April durchkreuzt. Möglicherweise lassen sich mit Hilfe starker
Teleskope auch größere Asteroiden in diesem Strom finden.