|
Unsere Bewegung durch das Universum ist schneller als
gedacht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bielefeld astronews.com
13. November 2025
Wie schnell und in welche Richtung bewegt sich unser
Sonnensystem im Universum? Diese scheinbar einfache Frage gehört zu den
grundlegenden Tests unseres kosmologischen Verständnisses. Neue Messungen mit
mehreren Radioteleskopen, darunter der Teleskopverbund LOFAR, liefern nun neue
Ergebnisse und bestätigen frühere Beobachtungen: Wir sind schneller unterwegs
als gedacht.

Der Bielefelder Wissenschaftler Lukas Böhme
vor dem Lovell-Teleskop im Jodrell-Bank-Radioobservatorium in
England.
Foto: privat [Großansicht] |
"Unsere Analyse zeigt, dass sich das Sonnensystem mehr als dreimal so schnell
bewegt, wie es die aktuellen Modelle vorhersagen“, sagt Astrophysiker Lukas
Böhme von der Universität Bielefeld. "Dieses Ergebnis widerspricht klar den
Erwartungen aus der Standardkosmologie und zwingt uns, die bisherigen Annahmen
zu überdenken." Um die Bewegung des Sonnensystems zu bestimmen, analysierte das
Team um Böhme die Verteilung sogenannter Radiogalaxien. Diese weit entfernten
Galaxien senden besonders starke Radiowellen aus, also elektromagnetische
Strahlung mit sehr langen Wellenlängen, ähnlich denen, die auch für Radiosignale
verwendet werden. Radiowellen können Staub und Gas durchdringen, die das
sichtbare Licht verdecken. Dadurch lassen sich mit Radioteleskopen auch Galaxien
beobachten, die für optische Teleskope unsichtbar bleiben.
Wenn sich das Sonnensystem durch das Universum bewegt, wirkt diese Bewegung
wie ein schwacher "Fahrtwind": In Bewegungsrichtung erscheinen minimal mehr
Radiogalaxien. Der Unterschied ist winzig und lässt sich nur mit sehr
empfindlichen Messungen erkennen. Mit Daten des LOFAR-Teleskops (Low Frequency
Array), einem europaweiten Radioteleskopnetz, in Kombination mit Daten von zwei
weiteren Radioteleskopen, konnten die Forschenden nun erstmals eine besonders
präzise Zählung solcher Radiogalaxien durchführen. Dabei setzten sie eine neue
statistische Methode ein, die berücksichtigt, dass viele Radiogalaxien aus
mehreren Komponenten bestehen. Diese verbesserte Analyse lieferte zwar größere,
aber auch realistischere Messfehler. Durch die Kombination von drei
Radioteleskopen konnte trotzdem eine Abweichung von über fünf Sigma gemessen
werden, ein statistisch sehr starkes Signal, das in der Wissenschaft als Beleg
für ein signifikantes Ergebnis gilt.
Die Messung zeigt eine Ungleichmäßigkeit ("Dipol") in der Verteilung der
Radiogalaxien, die 3,7-mal stärker ist als nach dem Standardmodell des
Universums zu erwarten wäre. Dieses Modell beschreibt die Entstehung und
Entwicklung des Kosmos seit dem Urknall und geht von einer weitgehend
gleichmäßigen Verteilung der Materie aus. "Wenn sich unser Sonnensystem
tatsächlich so schnell bewegt, müssen wir grundlegende Annahmen über die
großräumige Struktur des Universums hinterfragen", erklärt Professor Dominik J.
Schwarz, Kosmologe an der Universität Bielefeld und an der Studie beteiligt.
"Alternativ könnte die Verteilung der Radiogalaxien selbst ungleichmäßiger sein,
als wir bisher dachten. In beiden Fällen stehen unsere bisherigen Modelle auf
dem Prüfstand."
Die neuen Ergebnisse bestätigen frühere Beobachtungen, bei denen Forschende
Quasare untersucht haben. Das sind extrem helle Zentren entfernter Galaxien, in
denen gewaltige Schwarze Löcher Materie verschlingen und dabei enorme
Energiemengen aussenden. Auch in diesen Infrarot-Daten zeigte sich derselbe
ungewöhnliche Effekt. Das spricht dafür, dass es sich nicht um einen Messfehler
handelt, sondern um ein echtes Merkmal des Universums.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physical Review Letters erschienen ist.
|