Helium-Atmosphären könnten komplexeres Leben verhindern
Redaktion
/ Pressemitteilung des Instituts für Weltraumforschung der ÖAW astronews.com
13. Juni 2025
Die Wahrscheinlichkeit von komplexem und intelligentem Leben
in unserer Milchstraße dürfte noch geringer sein als bislang vermutet. Das
zumindest ist die Schlussfolgerung aus einer Studie, in der die frühen
Atmosphären erdähnlicher Planeten untersucht wurden. Viele davon könnten
Helium-dominiert sein, was die Entwicklung komplexer Lebensformen verhindern
würde.

Künstlerische Darstellung erdähnlicher
Exoplaneten.
Bild: NASA / JPL-Caltech / R. Hurt
(SSC-Caltech) [Großansicht] |
Die Entdeckung zahlreicher erdgroßer Exoplaneten, mehrere von ihnen innerhalb
der lebensfreundlichen - sogenannten habitablen - Zone ihrer Zentralgestirne,
führt zu der Frage, welche Atmosphäre sie umgibt. Bis heute ist die Erde das
einzige bekannte Beispiel eines Lebensraums mit einer
Stickstoff-Sauerstoff-dominierten Atmosphäre, in der sich komplexes,
sauerstoffatmendes Leben, darunter auch Tiere und der Mensch, entwickeln konnte.
Dies wirft zwei grundlegende Fragen auf: Wie häufig gibt es Planeten wie die
Erde, also lebensfreundliche Himmelskörper mit Stickstoff-Sauerstoffatmosphären
und Wie lebensfreundlich ist unsere Galaxie?
Ein erdähnlicher Planet muss bestimmte Anforderungen erfüllen, um
lebensfreundliche Bedingungen für komplexes Leben zu ermöglichen. Darunter fällt
zum Beispiel die Zusammensetzung des Planeten und die Menge an Wasser, die er im
Laufe seiner Entstehung ansammeln und behalten kann. Aber auch die Menge an
Wasserstoff und Helium, die ein wachsender Planet von der planetenformenden
Scheibe aufnehmen kann, ist von großer Bedeutung. Dabei handelt es sich um jene
Scheibe aus Gas, Staub und Asteroiden, die einen neuen Stern umgibt und Gas- und
Gesteinsplaneten entstehen lässt.
Die Anreicherung von Wasserstoff, Helium und anderen Gasen, sogenannte
primordiale Atmosphären oder Ur-Atmosphären, die sich aus planetenformenden
Scheiben bilden, wurde bei Studien über potentielle lebensfreundliche
Bedingungen erdähnlicher Planeten meistens übersehen. Diese Forschungslücke
motivierte das Team am Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (ÖAW)nun dazu, den Einfluss von angereichertem
primordialem Wasserstoff und Helium auf die Evolution erdähnlicher Planeten im
Detail zu untersuchen.
Jüngste Beobachtungen von Exoplaneten enthüllten die Existenz einer großen
Population massearmer Planeten mit ausgedehnten Wasserstoff-Helium-dominierten
Atmosphären. Das Element Wasserstoff ist viermal leichter als Helium und
entflieht daher - abhängig von der Masse des Planeten, seiner Umlaufbahn und der
Strahlungsaktivität seines Sterns - verhältnismäßig einfach ins Weltall. Über
lange Zeiträume kann es durch diesen Prozess dazu kommen, dass in extremen
Fällen sogar eine reine Helium-Atmosphäre übrigbleibt. Um diese exotischen
Atmosphären zu formen, muss ein Planet jedoch bereits innerhalb der Scheibe des
Zentralgestirns eine bestimmte, mit der Erde vergleichbare Masse erreichen.
Ansonsten wäre eine Wasserstoff- oder Helium-dominierte Atmosphäre gravitativ
instabil und würde sich kurz oder lang zur Gänze ins Weltall verflüchtigen. Die
Entdeckung massearmer Gesteinsplaneten mit ebensolchen primordialen Atmosphären
innerhalb habitabler Zonen um Sterne würde demnach über deren
Entstehungszeitskalen sowie über die Evolution der Strahlung des Sterns
Aufschluss geben.
"Bei unseren Untersuchungen haben wir herausgefunden, dass die angesammelte
Ur-Atmosphäre innerhalb von hunderttausenden bis mehreren Millionen Jahren
verloren geht, sofern die Masse des Planeten unter jener der Erde liegt.
Massereichere Körper verlieren ihre primordiale Atmosphäre jedoch nicht, oder
dieser Prozess kann mehrere hundert Millionen Jahre dauern", betont
IWF-Gruppenleiter Helmut Lammer. Untersucht wurde die Evolution der primordialen
Atmosphären nach dem Verschwinden der planetenformenden Scheibe.
Die Grazer Forscher haben sich dabei auf sonnenähnliche Sterne konzentriert,
deren Strahlungsevolution im kurzwelligen Röntgen- und UV-Wellenlängenbereich in
schwach aktiv, moderat aktiv und hoch aktiv eingeteilt wurde. Um die Verluste
der Ur-Atmosphären für die unterschiedlichen Sternmodelle zu untersuchen, wurde
ein hydrodynamisches Atmosphären-Modell für Wasserstoff um den Bestandteil
Helium erweitert. "Unser Modell zeigt auch, dass die Erde am Ende des
protosolaren Nebels – etwa vier Millionen Jahre nach Entstehung der Sonne –
nicht zu ihrer vollständigen Größe angewachsen sein konnte. Wäre dem so, hätte
unsere Erde nun eine dichte Helium-Atmosphäre und Leben, wie wir es kennen, wäre
auf ihr wohl nicht möglich", sagt Teammitglied Manuel Scherf vom IWF Graz.
Die Forscher stellten fest, dass ein Planet, der je nach Strahlungsintensität
des Sterns zwischen 95 % und 125 % der Erdmasse besitzt, Wasserstoff und Helium
zur Gänze verliert. Für etwas größere Planetenmassen verhindert die Schwerkraft
jedoch immer mehr den Verlust des schwereren Heliums, wohingegen der leichtere
Wasserstoff noch immer entfliehen kann. Steigt die Planetenmasse weiter, kann
auch das leichtere Gas nicht mehr entfliehen und beide verbleiben am Planeten.
Bemerkenswerterweise zeigen die Resultate der Studie, dass ein Planet, der
gegen Ende der Scheibe des Zentralgestirns zu einer Erdmasse heranwächst und
sich in der habitablen Zone eines schwach aktiven, sonnenähnlichen Sterns
befindet, beträchtliche Mengen an Helium und Wasserstoff an sich binden kann.
Etwa 200 bar Helium und 80 bar Wasserstoff würden auf dem Planeten für
Jahrmilliarden zurückbleiben. Das entspricht dem 280-fachen Druck unserer
heutigen Atmosphäre, dem dreifachen Druck der Venus-Atmosphäre oder dem Druck in
einer Ozeantiefe von etwa drei Kilometern. Wäre die Erde also bereits innerhalb
der ersten vier Millionen Jahre zu ihrer vollständigen Größe angewachsen, hätte
sie noch heute eine dichte, Helium-dominierte Atmosphäre und komplexes Leben
hätte sich auf ihrer Oberfläche wohl kaum entwickeln können. "Eine hohe Stimme
wäre in diesem Fall dabei das kleinste Problem für die Entstehung und Evolution
der Menschheit", schmunzelt Lammer.
Nähert man sich größeren Planetenmassen, bleiben sehr dichte
wasserstoffdominierte Atmosphären mit einem Druck von weit über 1000 bar zurück,
der über die gesamte Lebenszeit der Planeten nicht mehr verloren ginge. "Diese
Planeten würden innerhalb ihrer habitablen Zonen als Mini-Neptune enden, die
häufigste Klasse der bisher entdeckten Exoplaneten. Bei kleineren Sternen, die
auch aktiver sind als sonnenähnliche Sterne, müssen diese Planeten jedoch mehr
und mehr Masse besitzen, um ihre dichten Wasserstoffatmosphären zu behalten.
Dieses Verhalten kann man in der bis dato entdeckten Planetenpopulation auch
tatsächlich sehr gut erkennen", sagt Lammer.
Aus den Ergebnissen der Studie lässt sich die mögliche Existenz einer
Population erdähnlicher Planeten innerhalb der habitablen Zone ableiten, deren
Atmosphären von Helium dominiert sind und auf deren Oberflächen ein Druck von
wenigen bis zu mehreren hundert bar herrscht. "Diese unerwartete Entdeckung wird
die Anzahl habitabler, erdähnlicher Planeten - und demnach auch die
Wahrscheinlichkeit von komplexem und intelligentem Leben in unserer Milchstraße
- wohl noch weiter reduzieren", prophezeit Scherf.
Das niedrige Sauerstoff-Mischungsverhältnis, das für eine Helium-dominierte
Ur-Atmosphäre erwartet wird, kann komplexes Leben, wie wir es von der Erde
kennen, kaum aufrechterhalten. Es ist bekannt, dass Helium, das die Lungen von
Säugetieren füllt, einen Diffusionsgradienten erzeugt, der den im Blut
gespeicherten Sauerstoff auswäscht und dessen Gehalt innerhalb von Sekunden auf
ein tödliches Niveau absinken lässt. Ein ausreichend hohes
Sauerstoff-Mischungsverhältnis in der Atmosphäre ist jedoch der Schlüssel zur
Evolution komplexer zentimeter- bis metergroßer Lebewesen - und auch der
Menschen oder hypothetischer extraterrestrischer Zivilisationen.
Erdähnliche Planeten, auch wenn sie sich in der habitablen Zone befinden
sollten, sind demnach kein Garant, um tatsächlich lebensfreundliche Bedingungen
für komplexe Lebensformen bereitzustellen. Anhand der Forschungsergebnisse kann
man schlussfolgern, dass ein gründliches Verständnis des komplexen
Zusammenspiels zwischen der Geschwindigkeit der Massenanreicherung eines
Planeten und der damit verbundenen Lebensdauer der Gasscheibe, der Anreicherung
primordialer Atmosphären und der Aktivitätsentwicklung des Zentralgestirns,
grundlegend sein wird, um die Entstehung erdähnlicher, habitabler Planeten, und
somit auch die Entstehung komplexen Lebens, nachverfolgen zu können. "Diese
Arbeit unserer IWF-Forscher zeigt, wie essentiell das Studium der Atmosphären
von extrasolaren Planeten ist, um deren Entwicklung aber auch die Möglichkeit
von Leben, wie wir es auf der Erde kennen, auf Planeten in der Galaxie zu
verstehen, und letztlich zu suchen", betont IWF-Direktorin Christiane Helling.
Die Ergebnisse des Teams wurden in einem Fachartikel veröffentlicht, der
in der Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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