Blubbernde Oberfläche lässt Sterne am Himmel wackeln
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Exzellenzclusters Origins astronews.com
16. Mai 2022
Aufgrund der blubbernden Oberfläche massereicher
Riesensterne scheinen ihre Positionen am Himmel zu wackeln. Nun wurden die
Gasbewegungen in den atmosphärischen Schichten dieser Sterne detailliert
simuliert und ihre Ergebnisse mit präzisen Daten des Perseus-Sternhaufens
verglichen: Danach könnte das Blubbern tatsächlich einen großen Teil der
Messunsicherheit erklären.
Simulierte Intensitätsverteilung eines roten
Überriesensterns.
Bild: Chiavassa et al, A&A 661, L1 (2022) [Großansicht] |
Zumindest ein blubbernder Stern ist uns sehr gut bekannt: Bereits im 19.
Jahrhundert beobachteten Astronomen kleine Muster auf der Oberfläche der Sonne
(sogenannte "konvektive Zellen"), die sich wie kochendes Wasser in einem Topf
verhalten. In den äußeren Schichten der Sonne erhitzt sich das Gas und steigt
zur Oberfläche auf, wo es sich abkühlt und wieder absinkt. Ein ähnlicher Prozess
findet auch in massereichen Sternen statt, zum Beispiel in roten Überriesen, die
sich bereits in einer späteren Phase der Sternentwicklung befinden. Diese Sterne
sind mindestens achtmal so massereich wie die Sonne, viel kühler (etwa 3500
Kelvin) und riesig (sie haben mindestens den 700-fachen Durchmesser der Sonne).
Wäre unsere Sonne ein roter Überriese, würde ihre Oberfläche die Umlaufbahn des
Mars einschließen.
Rote Überriesen haben sich so stark ausgedehnt, dass ihre
Oberflächengravitation extrem niedrig ist: Sie kann mehr als 70.000 Mal kleiner
sein als die der Sonne (d. h. ähnlich wie auf dem Mond). Aufgrund dieser
geringen Schwerkraft sind die konvektiven Zellen extrem ausgedehnt und können
bis zu 30 Prozent des Sternradius einnehmen. Außerdem befördert die Konvektion
Gas aus dem Sterninneren an dessen Oberfläche, was den Ausstoß von Materie in
die zirkumstellare Umgebung begünstigt.
Ein roter Überriese kann eine kolossale Gasmenge freisetzen, milliardenfach
größer als bei der Sonne. Sie sind die hellsten Sterne im Universum im
infraroten Spektralbereich und die Untersuchung ihrer physikalischen
Eigenschaften ist sehr wichtig, um die späten Phasen der Entwicklung
massereicher Sterne besser zu verstehen. Eine große Unsicherheit bei der
Beobachtung roter Überriesen besteht jedoch darin, dass die Position des
Photozentrums – d. h. des Zentrums ihrer Lichtemission – nicht mit dem
Baryzentrum des Sterns übereinstimmt und sich zudem aufgrund der zeitlichen
Änderung des Konvektionsmusters ständig verschiebt.
Um diese Bewegungen zu quantifizieren, ist ein theoretischer Ansatz
erforderlich, der auf dreidimensionalen, hydrodynamischen Simulationen der
Gasbewegung in den atmosphärischen Schichten von Sternen in Verbindung mit
Strahlung beruht. Diese Modelle simulieren die gesamte Hülle des Sterns im Laufe
der Zeit. "Die synthetischen Karten zeigen extrem unregelmäßige Oberflächen, auf
denen sich die größten Strukturen auf Zeitskalen von Monaten oder sogar Jahren
entwickeln, während sich kleinere Strukturen im Laufe von mehreren Wochen
ändern", führt der Leiter der Studie Andrea Chiavassa vom Laboratoire Lagrange,
dem Exzellenzcluster ORIGINS und dem Max-Planck-Institut für Astrophysik aus.
"Das bedeutet, dass sich die Position des Sterns in Abhängigkeit von der Zeit
verändern sollte."
Das Team berechnete die Verschiebung des Photozentrums in den Simulationen
und verglich sie mit der Messunsicherheit von Sternen in χ Perseus, einem
nahegelegenen, jungen Sternhaufen, die in Phase 3 der Gaia-Mission beobachtet
wurden. Gaia ist eine astrometrische, photometrische und
spektroskopische Mission im All, die einen großen Teil der Milchstraße vermisst.
Der Perseus-Sternhaufen ist gut erforscht und enthält eine relativ große
Population roter Überriesen sowie andere Sterne. "Wir haben festgestellt, dass
die Positionsunsicherheiten bei roten Überriesen viel größer sind als bei
anderen Sternen. Dies bestätigt, dass sich ihre Oberflächenstrukturen mit der
Zeit drastisch verändern, so wie es unsere Berechnungen vorhersagen", erklärt
Rolf Kudritzki von der Universitätssternwarte München und dem Institute for
Astronomy auf Hawaii, ein Mitautor der Studie.
Rote Überriesen tragen wesentlich zur chemischen Anreicherung von Galaxien
bei. Um die Sternentwicklung im nahen und fernen Universum und ihre Auswirkungen
auf die kosmische Umwelt zu verstehen, ist eine detaillierte Kenntnis der
Windphysik während des Lebenszyklus dieser Sterne nötig. Dazu ist es
erforderlich, die gesamte ausgestoßene Masse sowie deren Art, die
Geschwindigkeit der Winde und die Gesamtgeometrie der zirkumstellaren Hülle zu
ermitteln.
"Das tanzende Muster roter Riesensterne am Himmel könnte uns mehr über ihre
kochenden Hüllen verraten", erklärt Selma de Mink, Mitautorin und Direktorin am
Max-Planck-Institut für Astrophysik. "Mit unserem Ansatz und in Kombination mit
den Gaia-Daten werden wir in der Lage sein, wichtige Informationen über die
stellare Dynamik zu extrahieren und die physikalischen Prozesse besser zu
verstehen, die die starke Konvektion in diesen Sternen verursachen."
Über ihre Ergebnisse berichtete das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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