Sitzprobe für Weltraum-Dummys
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. astronews.com
20. Dezember 2019
Die Strahlenbelastung für Astronautinnen und Astronauten
kann im Weltraum ganz erheblich sein - insbesondere wenn sie sich außerhalb des
schützenden Magnetfelds der Erde befinden. Beim Erstflug des NASA-Raumschiffs
Orion um den Mond soll mit zwei Dummys daher die Strahlenbelastung für
die Besatzung gemessen werden. Jetzt gab es eine erste Sitzprobe in der
Orion-Kapsel.
Dummy beim Sitztest in der Orion-Kapsel: Mit
Dummys, die den später zum Mond fliegenden
Phantomen Helga und Zohar in Größe und Gewicht
identisch sind, wurde vor Ort den Einbau in das
Orion-Raumschiff geprobt.
Foto: DLR (CC-BY 3.0) [Großansicht] |
Die Weltraumstrahlung außerhalb des schützenden Erdmagnetfeldes ist hoch –
eine große Belastung für den menschlichen Körper und eine Herausforderung für
die zukünftige astronautische Raumfahrt zu Mond und Mars. Das Deutsche Zentrum
für Luft- und Raumfahrt (DLR) forscht zur Bestimmung des Strahlenrisikos für die
bemannte Raumfahrt. Eines der Projekte, welches die Wissenschaftler gemeinsam
mit der NASA, der israelischen Raumfahrtagentur ISA und den Firmen Lockheed
Martin und StemRad durchführen, ist das Projekt MARE (Matroshka AstroRad
Radiation Experiment).
Im Herbst 2019 war der wissenschaftliche Leiter des MARE-Projekts Dr. Thomas
Berger vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin mit seinem Team zum
sogenannten Fit-Check bei der NASA im Johnson Space Center in Houston,
Texas. Mit zwei Dummys, die den später zum Mond fliegenden Phantomen Helga und
Zohar in Größe und Gewicht identisch sind , probten die Orion-Techniker
vor Ort den Einbau in das Raumschiff.
"Zunächst mussten die Techniker testen, ob sie Helga und Zohar in ihren
Transportrahmen durch die Luke in die Orion-Kapsel tragen können. Beide
Phantome wiegen jeweils 50 Kilogramm, Zohar mit der AstroRad-Weste sogar 76
Kilogramm. Drei bis vier NASA-Techniker sind für den Einbau nötig", erklärt
Berger, der die Abteilung Strahlenbiologie leitet. "Die Kommandokapsel der
Orion ist eng, aber es hat gut funktioniert. Und auch unser Rahmen, mit dem
die Messkörper mit dem Raumschiff verbunden werden, passte perfekt. Mit zwölf
Befestigungsschrauben werden die 'Passagierplätze' im Raumschiff fest
verankert", so Berger weiter.
Der Fit-Check im Orion-Raumschiff verlief also erfolgreich. Auch die
Vibrationstests am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen, mit denen die
Belastbarkeit der Verbindung der Phantome auf den "Plätzen" geprüft wurde,
bestätigten die Qualität der Konstruktion. Kürzlich traf die israelische
AstroRad-Strahlenschutzweste im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in
Köln ein. Der nächste größere Schritt für MARE wird im Januar folgen. "Dann
besucht uns der Industriepartner StemRad, der die Strahlenschutzweste AstroRad
entwickelt hat. Zusammen werfen wir einen genauen Blick auf die Weste und Zohar,
die sie beim Flug zum Mond tragen wird. Wenn nötig, passen wir die Weste für den
optimalen Sitz nochmals an. Anschließend werden wir unsere eigenen Sensoren
sowie die der Partner und beteiligten Wissenschaftler in Zohar und Helga
einbauen. MARE ist also auf Kurs", zeigt sich DLR-Strahlenphysiker Berger
optimistisch. Aktuell plant die NASA den Mondflug der Orion für Herbst 2020.
Matroshkas sind sogenannte Phantome, dem menschlichen Torso nachempfundene
Messkörper. Mit ihnen hat das DLR bereits viel Erfahrung: Zuletzt war eine
Matroshka der Luft- und Raumfahrtmediziner vom DLR in Köln zwischen 2004 und
2011 auf der Internationalen Raumstation (ISS). Außen auf der ISS angebracht,
sammelte das Phantom Strahlungswerte eines Astronauten, der einen
Weltraumspaziergang absolviert. Außerdem hielt sich das Phantom im russischen
und japanischen Teil der Raumstation auf, um die Strahlenbelastung in diesen
Teilen der ISS zu messen.
Die neue Generation der Matroshkas ist erstmalig der weiblichen Anatomie
nachempfunden. Der Bedarf an Daten über den weiblichen Organismus ist groß.
Schließlich wird es in Zukunft immer mehr Raumfahrerinnen geben. Frauen haben
ein allgemein höheres Krebsrisiko und darum gelten für Astronautinnen stets
andere Grenzwerte als für ihre männlichen Kollegen. Geschlechtsspezifische
Messungen mit Messkörpern im All gab es bislang nicht. Zohar wird mit
Schutzweste, Helga ohne Schutzweste zum Mond fliegen. So sammeln die baugleichen
Modelle vergleichbare Datensätze, erstmals jenseits der niedrigen Erdorbits.
Insgesamt über 6000 aktive und passive Sensoren sind jeweils auf der
Oberfläche und im Innern der Körper angebracht. Diese bestehen aus Kunststoffen
unterschiedlicher Dichten, die – an den anatomisch passenden Positionen im
Körper – das menschliche Skelett und die Organe simulieren. Nach dem Raumflug um
den Mond werden die Strahlungswerte beider Modelle verglichen, um die
Wirksamkeit der AstroRad-Schutzweste bewerten und später, wenn nötig, verbessern
zu können.
Ziel der NASA-Mission Artemis I ist der erste zunächst unbemannte
Raumflug der Orion zum Mond, ihn zu umrunden und zur Erde
zurückzukehren. Die Flugzeit wird zwischen 26 und 42 Tagen betragen. Dabei ist
das Experiment MARE als sogenannte "secondary" oder "scientific payload" dabei.
Das bedeutet, beide Phantome müssen autark vom Raumschiff funktionieren. Von der
Stromversorgung bis zur Datenspeicherung – alle Funktionen werden vollkommen
unabhängig vom Orion-Schiff sein.
Das DLR hat die Projektleitung von MARE, stellt die Phantome zur Verfügung
und nimmt alle notwendigen Anpassungen für das Experiment und den Raumflug in
der Orion-Kapsel vor. Außerdem konstruieren die DLR-Wissenschaftler die
Befestigungssysteme für die beiden Phantome und werten federführend die
erhobenen Daten nach der Landung aus.
MARE stellt in seiner Komplexität und in seiner internationalen
Zusammenarbeit mit zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen in
Österreich, Belgien, Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Griechenland,
der Schweiz, Japan und den USA das größte Experiment zur Bestimmung der
Strahlenbelastung für Astronauten dar, das jemals den erdnahen Orbit verlassen
hat. Es soll grundlegende Daten zur Abschätzung des Strahlenrisikos für die
kommenden bemannten Flüge zum Mond liefern.
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