Algen auf außerirdischer Mission
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
6. Mai 2019
Für einen Aufenthalt im Weltall sind Lebenserhaltungssysteme
von entscheidender Bedeutung. Je weiter sich der Mensch dabei von der Erde
entfernt, desto wichtiger sind Systeme, die möglichst unabhängig von
regelmäßigen Nachschublieferungen arbeiten und vorhandene Ressourcen nutzen. Am
Wochenende wurde ein Photobioreaktor zum Testen auf die Internationale
Raumstation ISS geschickt.

Die einzellige Grünalge Chlorella vulgaris
wandelt im Photobioreaktor Kohlenstoffdioxid mit
Hilfe von Licht über Photosynthese in Biomasse
und Sauerstoff um. Diese äußerst kleinen
aquatischen Lebewesen im Inneren der Reaktoren
bringen auf diese Weise wieder Frischluft in die
Kabine, die den Astronauten zum Atmen zur
Verfügung steht. Das Bild zeigt eine
Versuchsanordnung im Labor.
Foto: IRS Stuttgart [Großansicht] |
Ob es nun ein Außenposten auf dem Mond ist oder ein langer Flug durch den
Weltraum: Aufenthalte von Menschen im All sind nicht denkbar ohne technische
Systeme, die alles bereitstellen, was zum Leben nötig ist. Bei lang andauernden
Missionen kommt es darauf an, den Ressourcenkreislauf möglichst weitgehend zu
schließen, um unabhängig von Nachschublieferungen zu sein.
Ein neuartiges Experiment, der Photobioreaktor, verspricht einen großen
Schritt in Richtung eines geschlossenen Kreislaufs. In dem Versuch wandeln Algen
auf der ISS verbrauchte Luft mittels Photosynthese in Sauerstoff und essbare
Biomasse um. Die Entwicklung des Experiments wurde vom Institut für
Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart und dem Raumfahrtmanagement des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) initiiert, die
Versuchseinrichtung hat Airbus Defence and Space in Friedrichshafen
gebaut. Das Photobioreaktor-Experiment auf der ISS wird erstmalig den
Zusammenschluss eines neuartigen biologischen Luftaufbereitungssystems mit Algen
und eines physikalisch-chemischen Systems demonstrieren. Dies ist wichtig für
zukünftige Basisstationen auf dem Mond oder Mars.
Am 4. Mai 2019 hat sich der Photobioreaktor an Bord einer Falcon-9-Rakete
des US-Unternehmens SpaceX auf den Weg zur Internationalen Raumstation begeben.
Es ist der 17. reguläre Frachtflug eines Dragon-Raumtransporters. Der für den 1.
Mai 2019 geplante Starttermin wurde wegen Problemen mit der Stromversorgung auf
der Raumstation abgesagt. Auch der Start am Morgen des 3. Mai konnte nicht
stattfinden, Ursache war eine Störung an der SpaceX-Landeplattform.
Die Algen, die im Inneren des Photobioreaktors leben, gehören zur
Algenspezies Chlorella vulgaris. Sie ist sehr robust und auf der Erde sehr gut
erforscht. Die kleinen aquatischen Lebewesen in den Reaktoren nutzen für die
Produktion von Sauerstoff das Prinzip der Photosynthese und verlangen dafür nur
Licht und etwas Nährlösung. Eine weitere Stärke der grünlichen Süßwasseralge
ist, dass sie als Nahrung geeignet ist. Die Weiterverarbeitung der entstehenden
Biomasse wird in dem aktuellen Experiment zwar nicht untersucht, wäre aber
grundsätzlich möglich. Dann müssten auf Raumfahrtmissionen weniger Lebensmittel
mitgeführt beziehungsweise nachgeliefert werden, was wiederum die
Geschlossenheit und Nachhaltigkeit des Systems weiter erhöht. Etwa 30 Prozent
der Astronautennahrung könnten aufgrund des hohen Proteingehalts durch
Algenbiomasse ersetzt werden.
"Mit der erstmaligen Demonstration des hybriden Ansatzes sind wir ganz vorne
mit dabei, wenn es um die Zukunft von Lebenserhaltungssystemen geht. Der Einsatz
dieser Systeme ist natürlich vor allem für planetare Basisstationen oder sehr
lange Missionen interessant. Aber wenn man nicht heute die Grundlagen legt,
werden diese Technologien nicht zur Verfügung stehen, wenn man sie braucht",
sagt Dr. Oliver Angerer, Gruppenleiter für Exploration und Projektleiter für den
Photobioreaktor im DLR Raumfahrmanagement.
Ein halbes Jahr soll der Photobioreaktor auf der Raumstation an der
Produktion von Atemluft mitarbeiten. Dabei wird er vom Advanced Closed-Loop
System (ACLS) unterstützt. Diese von Airbus in Friedrichshafen gebaute
physikalisch-chemische Luftwiederaufbereitungsanlage befindet sich seit
September 2018 auf der ISS, sie wurde mit einem japanischen HTV-Frachter
transportiert und im US-amerikanischen Destiny-Labor installiert.
Airbus hat die etwa zwei Meter hohe und einen Meter breite Anlage als
Technologiedemonstrator gebaut. Gleichwohl bleibt sie bis auf Weiteres Teil des
Lebenserhaltungssystems der ISS und erzeugt Sauerstoff für die Astronauten.
Das ACLS verwendet einen Teil des Kohlenstoffdioxids aus der Kabinenluft, um
daraus Methan und Wasser zu gewinnen. Das Wasser, das in diesem sogenannten
Sabatier-Prozess entsteht, wird dann wieder dem Elektrolyseprozess zur
Sauerstoffgewinnung zugeführt. Dies erhöht die Effizienz des Gesamtsystems und
vermindert den Bedarf an Wasserlieferungen von der Erde. Das ACLS kann
allerdings nicht das gesamte Kohlenstoffdioxid aus der Atemluft für die
Wassergewinnung nutzen. Einen Teil der Restmenge verarbeiten die Algen im
Photobioreaktor zu Sauerstoff und ergänzen so die Leistung des ACLS. Auf diese
Weise entsteht aus dem Zusammenspiel dieses biologischen Systems mit dem auf
chemisch-physikalischer Basis arbeitenden ACLS ein Hybridsystem, PBR@ACLS
genannt. Damit wird erstmals die Arbeitsweise eines hybriden
Lebenserhaltungssystems unter echten Weltraumbedingungen demonstriert.
Der Beitrag des Photobioreaktors zur Sauerstofferzeugung reicht bei Weitem
nicht, um den Tagesbedarf eines Menschen zu decken ‒ den Wissenschaftlern geht
es aktuell darum, die Funktionsweise eines derartigen Hybridsystems unter Beweis
zu stellen. In der Zukunft könnten Reaktoren weitaus größer und so konstruiert
sein, dass sie beispielsweise Bestandteile der inneren Wände eines
Weltraum-Habitats etwa auf dem Mond oder Mars sind.
Hybridsysteme wie der PBR@ACLS-Photobioreaktor helfen aber nicht nur dabei,
Langzeitmissionen zu verwirklichen. Sie können auch die Nachhaltigkeit auf der
Erde steigern, indem sie Ressourcen sparen und zurückgewinnen. Hier kann die
Raumfahrt von unserem Ökosystem lernen. Umgekehrt ist das System ein weiteres
Beispiel dafür, wie Entwicklungen aus der Raumfahrt Techniken zum Erhalt des
Lebensraums Erde liefern. Denkbare Anwendungen sind die Luftaufbereitung in
geschlossenen Räumen oder der Abbau von Kohlenstoffdioxid.
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