Der Rosettastein der Blazare
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
25. Juni 2018
Durch neue Beobachtungen könnte es Astronomen gelungen sein,
den Jet der aktiven Galaxie OJ 287 zu verstehen: Offenbar vollführt der Jet eine
Art Taumelbewegung, die die Beobachtungen in gleich mehreren
Wellenlängenbereichen erklären könnte. Ein möglicher Grund für dieses Taumeln
wäre ein zweites supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum der Galaxie.

Künstlerische Darstellung der aktiven
Galaxie OJ 287 mit einem präzedierenden Jet. Die
kleinen Bilder zeigen oben die Präzession durch
ein binäres Schwarzes Loch und unten die
Präzession durch eine verbogene Akkretionsscheibe.
Bild: Axel M. Quetz / MPIA Heidelberg [Großansicht] |
Es brauchte lange Zeit, um die ägyptischen Hieroglyphen zu entschlüsseln, die
z.B. als Inschriften auf den Pyramiden zu sehen sind. Dies gelang schließlich
mithilfe des sogenannten Rosettasteins, einer Stele, die im Jahr 1799 gefunden
wurde und als Inschrift einen Text in drei verschiedenen Sprachen,
altägyptischen Hieroglyphen, demotischer und altgriechischer Schrift enthält.
Mit der Erkenntnis, dass es sich jeweils um den gleichen Text handelt, konnten
die rätselhaften Hieroglyphen mithilfe der bekannten altgriechischen Sprache
entschlüsselt werden. Diese Entdeckung erlaubte völlig neue Erkenntnisse über
die Kultur des alten Ägypten.
Einem Team von Astronomen gelang nun die Entschlüsselung des Jets im Zentrum
einer Galaxie, die man bereits vor Jahren als den "Rosettastein für Blazare"
bezeichnet hat. Blazare sind aktive Galaxienkerne, bei denen ein
supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum mit Materie gefüttert wird und die
einen relativistischen Jet ausstoßen.
Im Zentrum der Galaxie OJ 287, in einer Entfernung von rund 3,5 Milliarden
Lichtjahren, befindet sich mindestens ein supermassereiches Schwarzes Loch von
millionen- oder sogar milliardenfacher Masse der Sonne. Dieses Schwarze Loch ist
aktiv und erzeugt dabei einen Jet – einen magnetisierten Plasmastrom, der im
Zentrum der Galaxie im direkten Umfeld des zentralen Schwarzen Lochs erzeugt
wird. Die Strahlung eines solchen Jets kann in Radiowellenlängen beobachtet
werden.
OJ 287 ist ebenfalls ein bekanntes Zielobjekt für optische Untersuchungen.
Optische Helligkeitsschwankungen wurden bei dieser Galaxie bereits seit dem
späten 19. Jahrhundert beobachtet und lieferten eine der zeitlich längsten
Lichtkurven in der Astronomie. Trotz jahrzehntelanger Radiobeobachtungen von
Galaxien mit zentralen Jets und zahlreicher ausgeklügelter Untersuchungen sind
die Jets ein Rätsel geblieben. Nach gängiger Theorie wird der Ursprung von
Schwankungen in der Radiohelligkeit von Jets mit dem Fütterungsmechanismus durch
das zentrale Schwarze Loch erklärt. Die sich bewegenden Strukturen in den Jets,
die sogenannten "Knoten", werden unabhängig davon den sich ausbreitenden
Stoßwellen in den Jets zugeschrieben.
Jetforscher sind sehr daran interessiert, einen physikalischen Zusammenhang
zwischen beiden Phänomenen zu etablieren; das ist bisher aber nicht in
konsistenter Weise gelungen. Ein von Silke Britzen vom Bonner
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) geleitetes Team hat nun eine
ausgeklügelte Beobachtungstechnik genutzt, um den Jet von OJ 287 im direkten
Umfeld seiner Entstehung in einer Vielzahl von Beobachtungsepochen detailliert
abzubilden.
Die Technik der Radiointerferometrie umfasst eine Anzahl von über den
gesamten Erdball verteilten Radioteleskopen zur Erzeugung eines virtuellen
Riesenteleskops von bis zu Erdgröße. Damit wird es möglich, tief in die Zentren
von aktiven Galaxien hineinzuzoomen, um Jets im direkten Umfeld eines zentralen
Schwarzen Lochs mit bisher nicht gekannter Winkelauflösung abzubilden. Durch die
Analyse eines umfangreichen und einen langen Zeitraum umfassenden Archivs von
Beobachtungsdaten für diese Galaxie hat das Team nun starke Hinweise darauf
gefunden, dass beide Phänomene den gleichen Ursprung haben.
Sowohl die Helligkeitsschwankungen als auch die Bewegungen der "Knoten" in
den Jets lassen sich allein durch die Bewegung des Jets erklären. Der Jet selbst
führt eine Präzessionsbewegung aus. "Die Helligkeitsschwankungen ergeben sich
aus der Präzession des Jets, die eine Veränderung in der Dopplerverstärkung der
ausgesendeten Strahlung hervorruft, wenn sich der Sichtwinkel auf den Jet durch
die Präzession ändert", sagt Michal Zajacek, ebenfalls vom MPIfR, der die
numerische Modellierung der Präzession durchgeführt hat. "Es war für uns sehr
überraschend, dass der Jet nicht nur präzediert. Er scheint darüber hinaus auch
eine kleinere nutations-ähnliche Bewegung durchzuführen. Die kombinierte
Bewegung des Jets aus Präzession und Nutation führt zur beobachteten
Variabilität in der Radiostrahlung und kann auch einige der optischen
Strahlungsausbrüche erklären."
"Uns ist klargeworden, dass es der gleiche physikalische Prozess ist, der die
Bewegung des Jets an der Sphäre und die beobachteten Helligkeitsschwankungen der
Galaxie hervorruft. Es ist letztendlich die Änderung in der Bewegung des Jets.
Pure Geometrie und klar vorherbestimmt, keine Magie!," fügt Britzen hinzu. "Das
eröffnet uns eine einzigartige Möglichkeit, die Jets und ihren potentiellen
Ursprung in unmittelbarer Nachbarschaft des zentralen Schwarzen Lochs zu
verstehen. Dieser Jet ist in der Tat für uns ein Rosettastein, um den
fundamentalen Zusammenhang zwischen Jets und aktiven Schwarzen Löchern in den
Zentren von Galaxien zu verstehen."
Britzen und ihr Forscherteam sind überzeugt davon, dass das
Präzessionsszenario auch die über einen Zeitraum von 130 Jahren beobachteten
optischen Strahlungsausbrüche erklären kann. Für die endgültige Bestätigung sind
aber zunächst einmal zusätzliche Daten und weitere Analysearbeit erforderlich.
Eine nach wie vor offene Frage betrifft den Ursprung der Jetpräzession.
Präzession ist ein physikalischer Prozess, den man vor allem von (Spielzeug-)
Kreiseln kennt, aber auch von der Bewegung der Erde selbst. Die Rotationsachse
unseres Planeten ist nicht stabil, sondern bewegt sich im Raum mit einer Periode
von rund 26.000 Jahren aufgrund der Gezeitenwirkungen von Sonne und Mond.
Für die Präzession des Jets von OJ 287 benennt das Team zwei mögliche
Szenarien. "Wir haben entweder ein System von zwei supermassereichen Schwarzen
Löchern, wobei der von einem der beiden erzeugte Jet durch Gezeitenkräfte des
anderen in eine Taumelbewegung versetzt wird", so Christian Fendt vom
Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie. "Oder aber es handelt sich um
ein Schwarzes Loch, das durch Gezeitenkräfte von einer schief ausgerichteten
Akkretionsscheibe beeinflusst wird."
So oder so, der Jet der aktiven Galaxie OJ 287 ist einer der am besten
untersuchten und am besten verstandenen Jets und wird mit Sicherheit helfen,
Jets in den Zentren von weiteren Galaxien zu entschlüsseln. Er könnte auch dazu
beitragen, die immer noch rätselhafte Aktivität von supermassereichen Schwarzen
Löchern in den Zentren von Galaxien aufzuklären.
Über die Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erschienen ist.
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