Temperaturen werden nicht negativ
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik astronews.com
2. Januar 2014
Immer wieder wurde in der Vergangenheit behauptet, dass sich
in bestimmten Quantensystemen negative absolute Temperaturen beobachten lassen.
Träfe dies zu, könnte man ultrakalte Atomgase eventuell als Modell für die
geheimnisvolle Dunkle Energie im Universum nutzen. Eine Studie zeigt aber nun,
dass eine eigentlich bewährte Theorie offenbar nicht immer die richtigen
Ergebnisse liefert.
Seine Theorie scheint präziser zu sein: der
amerikanische Physiker Josiah Willard Gibbs
(1839-1903).
Bild: Zeitschrift für Physikalische
Chemie / MPA |
Die physikalische Temperatur bestimmt unsere Wahrnehmung von "heiß" und
"kalt". Temperatur ist auch maßgeblich für die Effizienz von Maschinen, die
Wärme in nutzbare Arbeit umwandeln. Seit Jahrzehnten lernen Physik-Studenten,
dass die Temperatur immer einen positiven Wert hat, wenn man sie auf der
Kelvin-Skala misst.
Eine wichtige Folgerung dieser Annahme ist, dass die Effizienz einer
Wärmekraftmaschine immer kleiner als Eins ist: Nur ein Bruchteil der Energie,
die dem System als Wärme - etwa durch die Verbrennung von Kraftstoff - zugeführt
wird, kann in nutzbare Arbeit umgewandelt werden, beispielsweise um ein Auto
anzutreiben. Allerdings gab es in den letzten 60 Jahren sowohl theoretische als
auch experimentelle Arbeiten mit der Behauptung, für bestimmte Systeme eine
negative absolute Temperatur zu messen.
Obwohl dies sehr spezielle Systeme sind - Kernspinsysteme oder ultrakalte
Atomgase - so würde die bloße Existenz negativer absoluter Temperaturen
tiefgreifende konzeptionelle und praktische Konsequenzen haben. Derartige
Systeme könnten nicht nur die Konstruktion von hyper-effizienten Wärmemotoren
ermöglichen. Sie könnten auch als Labormodell für die geheimnisvolle Dunkle
Energie dienen, die von Astrophysikern postuliert wurde, um die beschleunigte
Expansion des Universums zu erklären.
"Wir haben im Grunde keine Ahnung, was die Dunkle Energie eigentlich ist",
erklärt Stefan Hilbert von Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei
München. "Deshalb wollten wir herausfinden, ob diese Ergebnisse in der Tat
Aufschluss über die Dunkle Energie geben könnten." Dazu kehrte Hilbert zusammen
mit seinem Kollegen Jörn Dunkel vom Massachusetts Institute of Technology
zu den Grundlagen der Thermodynamik zurück.
Die meisten Lehrbücher benutzen den von Ludwig Boltzmann eingeführten
Formalismus, um die thermodynamische Temperatur eines Systems aus dessen innerer
Struktur zu berechnen. Für die meisten Systeme funktioniert dieser Formalismus
gut. Doch "als wir die Boltzmann-Definitionen im Detail untersuchten, fanden wir
gravierende Unstimmigkeiten, die für viele Systeme zu unsinnigen Ergebnissen
führen", berichtet Hilbert.
Die beiden Wissenschaftler stellten fest, dass sich diese Widersprüche mit
einem etwas anderen Formalismus, der schon vor mehr als 100 Jahren von J.
Willard Gibbs abgeleitet wurde, vermeiden lassen. Dieser Formalismus ist aber
heute fast vollständig in Vergessenheit geraten. Ein Merkmal des
Gibbs-Formalismus besteht darin, dass die Temperatur nie negativ wird.
Dunkel und Hilbert konnten zeigen, dass die Größe, die bei den kürzlich
durchgeführten Experimenten als negative Temperatur in ultrakalten Atomgasen
gemessen wurde, nicht die tatsächliche thermodynamische Temperatur ist, sondern
eine komplizierte Funktion der Temperatur und einer anderen Größe, die als
Wärmekapazität bekannt ist. Die tatsächliche thermodynamische Temperatur blieb
bei diesen Experimenten positiv. Somit erscheint es weniger plausibel, dass sich
diese Systeme wie die Dunkle Energie verhalten.
"In den meisten Fällen ist der Unterschied zwischen der Boltzmann-Temperatur
und der Gibbs-Temperatur vernachlässigbar", erklärt Hilbert. "Aber unter
extremen physikalischen Bedingungen, wie es für diese Systeme mit angeblich
negativen Temperaturen der Fall ist, bietet nur Gibbs die richtige
Beschreibung."
Um dies direkt zu testen, schlagen Dunkel und Hilbert ein einfaches
Experiment vor: Wenn ein einzelnes Atom in einer Falle gefangen ist und sich
darin nur in einer Richtung bewegen kann, dann sollte der Druck an beiden Enden
negativ sein, wenn die Boltzmann-Beschreibung richtig ist. Stimmt jedoch die
Gibbs-Beschreibung, sollte der Druck positiv sein.
Über ihr Untersuchung berichteten die Wissenschaftler im Dezember in der
Zeitschrift Nature Physics.
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