Galaxienhaufen in Mega-Kollision
von Stefan Deiters astronews.com
17. April 2009
Mit Hilfe von Daten des Röntgenteleskops Chandra,
des Weltraumteleskops Hubble und des Keck-Teleskops auf Hawaii
gelang es Astronomen eine der wohl beeindruckendsten Kollisionen im Universum zu
entschlüsseln. In 5,4 Milliarden Lichtjahren Entfernung sind daran vier
Galaxienhaufen beteiligt. Es ist das erste Mal, dass so eine Mega-Kollision
dokumentiert wurde.

Blick auf
MACSJ0717.5+3745.
Bild: NASA / CXC / IfA / C. Ma et al.
(Röntgendaten) / NASA / STScI / IfA / C. Ma et
al. (optische Daten)
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MACSJ0717.5+3745 mit markierten
Galaxienhaufen sowie dem Endpunkt des Filaments.
Bild: NASA / CXC / IfA / C. Ma et al.
(Röntgendaten) / NASA / STScI / IfA / C. Ma et
al. (optische Daten)
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Durch Kombination von Daten des Weltraum-Röntgenteleskops
Chandra, des Weltraumteleskops Hubble und des Keck-Teleskops
auf Hawaii gelang es Astronomen jetzt, die dreidimensionale Geometrie und die
Bewegungen des Systems MACSJ0717.5+3745 (kurz MACSJ0717) zu entschlüsseln, das
sich in rund 5,4 Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde befindet. Die
Forscher entdeckten, dass hier vier einzelne Galaxienhaufen in eine
Mega-Kollision und -Verschmelzung verwickelt sind. Es ist das erste Mal, dass
eine solche gewaltige Kollision beobachtet wurde. Galaxienhaufen sind die
größten gebundenen Strukturen im Universum.
MACSJ0717 ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Zum einem "mündet" in den
Haufen ein 13 Millionen Lichtjahre langer Strom aus Galaxien, Gas und dunkler
Materie, ein sogenanntes Filament, in einen Bereich, in dem es ohnehin schon
außerordentlich viele Galaxien gibt. Die Forscher vergleichen die Situation mit
einem bereits vollen Parkplatz am Ende einer Schnellstraße, auf den immer
weitere Fahrzeuge fahren. Es kommt zu einer Kollision nach der anderen.
"Zusätzlich zu dieser gigantischen Karambolage ist auch die Temperatur von
MACSJ0717 bemerkenswert", erklärt Cheng-Jiun Ma von der University of Hawaii.
"Bei jeder der Kollisionen wird Energie in Form von Wärme frei, wodurch MACS0717
eine der höchsten Temperaturen hat, die man je in solchen Systemen beobachtet
hat."
Das Filament, das in MACJ0717 mündet, war schon vorher bekannt. Doch erst
jetzt konnte nachgewiesen werden, dass es tatsächlich die Ursache für die
gehörige Unruhe in dieser Region ist. Die Astronomen folgerten dies zum einen
aus der Bewegungsrichtung der Galaxienhaufen, die in den meisten Fällen mit der
Orientierung des Filaments übereinstimmte. Außerdem ist die heißeste Region von
MACSJ0717 gerade dort zu finden, wo sich Filament und Haufen treffen. Hier
scheint es also immer noch Kollisionen zu geben.
"MACSJ0717 zeigt, wie riesige Galaxienhaufen mit ihrer Umgebung auf Skalen
von mehreren Millionen Lichtjahren wechselwirken", erklärt Harald Ebeling von
der University of Hawaii die Bedeutung der Beobachtungen für die
Wissenschaft. "Dies ist ein wundervolles System, um das Wachsen von
Galaxienhaufen zu studieren, wenn Material entlang von Filamenten in sie
hineinfällt."
Computersimulationen über die Entstehung von großräumigen Strukturen im
Universum sagten schon seit einiger Zeit voraus, dass sich die massereichsten
Galaxienhaufen an Stellen bilden sollten, in denen sich großräumige Filamente
aus intergalaktischem Gas, Galaxien und dunkler Materie kreuzen. "Es ist sehr
schön, dass die Beobachtungsdaten von MACSJ0717 dieses Szenario aus den
Simulationen offenbar gut bestätigen", freut sich Ma.
Für den Erfolg der Astronomen war die Kombination von optischen Daten von
Hubble und Keck sowie von Röntgendaten von Chandra
entscheidend. Nur so konnte die dreidimensionale Struktur des Haufens und die
Bewegungen in ihm rekonstruiert werden. Für die Zukunft hoffen Ma und seine
Kollegen mit Hilfe von noch tieferen Röntgenbeobachtungen die Temperatur des
Gases im gesamten 13 Millionen Lichtjahre langen Filament ermitteln zu können
und dadurch noch mehr über das heiße Gas in den Filamenten und seinen Einfluss
auf das Gas in den Galaxienhaufen zu erfahren.
"Dieses ist der spektakulärste und am meisten gestörte Haufen, den ich je
gesehen habe", urteilt Ma. "Wir glauben, dass wir von diesem Objekt noch eine
ganze Menge mehr darüber lernen können, wie die Strukturen im Universum
gewachsen sind und sich entwickelt haben." Ein Fachartikel über die Resultate
ist im vergangenen Monat in der Zeitschrift The Astrophysical Journal
Letters erschienen.
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