Standardstern alles andere als Standard
von
Hans Zekl
für
astronews.com
18. April 2006
Der zweithellste Stern am nördlichen Himmel, die Wega im
Sternbild Leier, ist ein Standardstern der Astrophysiker. Die 26 Lichtjahre
entfernte Sonne wird als Referenz für ganz unterschiedliche astronomische
Phänomene herangezogen. Doch jetzt zeigte ein amerikanisches Forscherteam, dass
der Stern alles andere als Standard ist.

Wega mit Staubscheibe in einer Infrarot-Aufnahme
des Spitzer-Weltraumteleskops. Foto:
NASA / JPL-Caltech / K. Su (University of Arizona) |
Die jetzt von den Wissenschaftlern um D. M. Peterson von der amerikanischen
Stony Brook University in der Fachzeitschrift Nature publizierten
Ergebnisse belegen einen schon länger gehegten Verdacht: Im Gegensatz zur
Annahme, dass die Wega ein langsam rotierender Stern ist, dreht sich der Stern
so schnell um die eigene Achse, dass er kurz vor dem Zerreißen steht.
Für Astronomen war die Wega bislang das wichtigste Gestirn am Himmel überhaupt:
Der vermeintlich einfach aufgebaute und langsam rotierender Stern definiert im
Klassifikationsschema von Morgan und Keenan die Sterne mit
Oberflächentemperaturen von 10.000 Grad. Ebenso diente Wega als Eichobjekt für
Messungen der Energieverteilung in Sternspektren - vom ultravioletten bis zum
infraroten Ende. Immer wieder wurde die Wega zum Testen der theoretischen
Sternmodelle herangezogen.
Darüber hinaus ist schon länger bekannt, dass der Stern von einer Trümmerscheibe aus
Staub und Gesteinsbrocken aus seiner Entstehungszeit umgeben ist (astronews.com
berichtete). Hier, so die Theorie der Astronomen, könnten einmal Planeten
entstehen oder sogar gerade dabei sein, sich zu bilden. Da Wega nur 26 Lichtjahre von
der Erde entfernt ist, handelt es sich bei dem Stern um die uns am nächsten
liegenden Sonne mit einer solchen Scheibe. Wega gilt daher auch hier als Musterbeispiel
für einen Stern mit zirkumstellarer Scheibe.
Allerdings gab es schon länger den Verdacht, dass mit dem Stern etwas nicht
stimmt. So passt die Stärke der Wasserstofflinien im Spektrum nicht zur
Helligkeit. Im Vergleich zu theoretischen Modellen, war die Wega viel zu hell.
Ein Ausweg aus dem Problem bot die Annahme, dass der Stern sehr schnell rotiert.
Durch die Zentrifugalkräfte am Äquator flacht sich der Sternkörper stark ab.
Dadurch wäre der Stern am Äquator wesentlich kühler und die Gesamthelligkeit
nimmt ab. Aber hohe Rotationsgeschwindigkeiten hätten wegen des Dopplereffekts
im Spektrum zu sehen sein müssen - es sei denn, man schaut ziemlich genau auf
einen der Pole des Sterns.
Doch dies war bislang nicht nachweisbar. Petersons Gruppe gelang es nun mit dem
neuen Navy Prototype Optical Interferometer in Flagstaff, Arizona, die
Vermutung zu bestätigen. Danach rotiert die Wega mit 93 Prozent der
Geschwindigkeit, bei der es sie zerreisen würde und man blickt fast genau auf
einen ihrer Pole. Dort ist die Oberflächentemperatur mit 10.000 Grad um 2.400
Grad höher als am Äquator.
Als Konsequenz daraus muss der Stern älter sein, als bisher angenommen. Ebenso
sind die theoretischen Sternmodelle und die gemessenen Elementhäufigkeiten
entsprechend der Einflüsse durch die schnelle Drehung neu zu berechnen.
Durch die geringere Temperatur im Äquatorbereich erhöht sich der Anteil der
Infrarotstrahlung, der die Staubscheibe ausgesetzt ist. Da diese vorwiegend in
diesem Wellenlängenbereich zu sehen ist, hat das weiter reichende Konsequenzen
für die Analyse der Beschaffenheit und die Zusammensetzung der Scheibe.
Am Beispiel der Wega zeigt sich, wie genauere Messungen schnell lange Zeit
als gesichert geltende Erkenntnisse widerlegen können. Wie weitreichend die
Konsequenzen sein werden, müssen detaillierte Rechnungen noch zeigen. Auf alle
Fälle können Astronomen zukünftig die Wega nicht mehr als Prototypen eines
einfachen Sterns verwenden.
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