ESO warnt vor Industriekomplex in der Nähe von Paranal
von
Stefan Deiters astronews.com
10. Januar 2024
Ende des vergangenen Jahres hat eine Tochtergesellschaft des
US-Energiekonzerns AES die Umweltverträglichkeitsprüfung für einen
Industriekomplex in Chile beantragt, in dem unter anderem grüner Wasserstoff
erzeugt werden soll. Bei der ESO schrillen nun die Alarmglocken: Der Komplex
wäre nur wenige Kilometer vom Paranal-Observatorium entfernt, der einmalige
Himmel gefährdet.
Der Himmel über dem Paranal-Observatorium der ESO gilt als
einzigartig. Foto:
ESO / P. Horálek
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Bei der europäischen Südsternwarte ESO, die in Chile mehrere Großteleskope
betreibt, ist man besorgt: Am 24. Dezember des vergangenen Jahres hatte das
Unternehmen AES Andes, eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen
Energiekonzerns AES Corporation, einen Plan für einen riesigen Industriekomplex
zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingereicht - und dies nur fünf bis elf
Kilometer von den Teleskopen des Paranal-Observatoriums in der Atacamawüste
entfernt. Der gewaltige Komplex würde, so zeigt sich die ESO in einer
Pressemitteilung überzeugt, die astronomischen Beobachtungen am
"dunkelsten und klarsten aller astronomischen Observatorien der Welt"
irreparabel beeinträchtigen, insbesondere durch die Lichtverschmutzung, die
während der gesamten Betriebsdauer des Projekts entsteht. Man plädiert daher
eindringlich für eine Verlegung des Komplexes, um den "letzten wirklich
unberührten dunklen Himmel der Erde zu retten".
Das Paranal-Observatorium
wurde 1999 eingeweiht und hat seitdem bedeutende Durchbrüche in der Astronomie
ermöglicht: So gelang mit den Teleskopen des dortigen Very Large Telescope
die
Aufnahme des ersten Bilds eines Exoplaneten und die Bestätigung der
beschleunigten Expansion des Universums. Auch an der Erforschung des
supermassereichen Schwarzen Loch, die 2020 mit dem Nobelpreis für Physik
ausgezeichnet wurde, waren die Teleskope auf dem Paranal maßgeblich beteiligt.
Das Observatorium ist für Astronomen auf der ganzen Welt von großer Bedeutung,
auch in Chile, wo die astronomische Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten
stark gewachsen ist. Darüber hinaus wird auf dem nahe gelegenen Cerro Armazones
das Extremely Large Telescope gebaut, das weltweit größte Teleskop
seiner Art.
"Die Nähe des industriellen Megaprojekts AES Andes zu Paranal stellt ein
kritisches Risiko für den ursprünglichsten Nachthimmel der Erde dar", betonte
der Generaldirektor der ESO, Xavier Barcons. "Staubemissionen während der
Bauarbeiten, erhöhte atmosphärische Turbulenzen und vor allem Lichtverschmutzung
werden die astronomischen Beobachtungsmöglichkeiten, in die die Regierungen der
ESO-Mitgliedstaaten bisher mehrere Milliarden Euro investiert haben, irreparabel
beeinträchtigen." Das geplante Projekt umfasst einen Industriekomplex von mehr
als 3000 Hektar, was in etwa der Größe einer mittleren Stadt entspricht. Das
Projekt umfasst den Bau eines Hafens, von Ammoniak- und
Wasserstoffproduktionsanlagen sowie von Tausenden von Stromerzeugungseinheiten
in der Nähe von Paranal.
Dank ihrer stabilen Atmosphäre und der geringen Lichtverschmutzung ist die
Atacama-Wüste ein einzigartiger Standort für die astronomische Forschung.
"Chile, und insbesondere Paranal, ist ein wirklich besonderer Ort für die
Astronomie - sein dunkler Himmel ist ein natürliches Erbe, das über seine
Grenzen hinausgeht und der gesamten Menschheit zugute kommt", sagte Itziar de
Gregorio, der Vertreter der ESO in Chile. "Es ist von entscheidender Bedeutung,
alternative Standorte für dieses Megaprojekt in Betracht zu ziehen, die einen
der wichtigsten astronomischen Schätze der Welt nicht gefährden." Die Verlegung
des Projekts sei die einzige Möglichkeit, irreversible Schäden am einzigartigen
Himmel von Paranal zu verhindern, so die ESO in ihrer Pressemitteilung.
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