Neutrinofabriken im Weltraum identifiziert
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Würzburg astronews.com
18. Juli 2022
Woher stammt die kosmische Strahlung? Diese Frage
beschäftigt die Astrophysik schon seit über einem Jahrhundert. Die Antwort ist
eng verknüpft mit dem Ursprung bestimmter Neutrinos, die in den Geburtsstätten
der kosmischen Strahlung erzeugt werden. Ein Forschungsteam konnte nun erstmals
zeigen, dass diese Neutrinos von Blazaren stammen.
Künstlerische Darstellung eines Blazars, der
kosmische Strahlung, Neutrinos und Photonen auf
hohe Energien beschleunigt.
Foto:
Benjamin Amend [Großansicht] |
Die Erdatmosphäre wird ständig von kosmischer Strahlung bombardiert. Diese
besteht aus elektrisch geladenen Teilchen mit Energien von bis zu 1020
Elektronenvolt. Das ist eine Million Mal mehr als die Energie, die im
leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt erreicht wird, dem Large
Hadron Collider bei Genf. Die extrem energiereichen Teilchen kommen aus den
Tiefen des Weltraums, sie haben Milliarden von Lichtjahren zurückgelegt. Woher
kommen sie, was schießt sie mit so ungeheurer Wucht durch das Universum? Diese
Fragen gehören zu den größten Herausforderungen der Astrophysik seit über einem
Jahrhundert.
Die Geburtsstätten der kosmischen Strahlung erzeugen Neutrinos. Das sind
neutrale Teilchen, die sich nur schwer nachweisen lassen. Sie haben fast keine
Masse und treten kaum mit Materie in Wechselwirkung. Sie rasen durch das
Universum und können Galaxien, Planeten und den menschlichen Körper fast spurlos
durchqueren. "Astrophysikalische Neutrinos entstehen ausschließlich in
Prozessen, bei denen die kosmische Strahlung beschleunigt wird", erklärt
Astrophysik-Professorin Sara Buson von der Julius-Maximilians-Universität
Würzburg. Genau das macht diese Neutrinos zu einzigartigen Boten, die den Weg
zur Lokalisierung der Quellen kosmischer Strahlung ebnen.
Trotz der riesigen Datenmenge, die Astrophysiker gesammelt haben, ist die
Zuordnung von hochenergetischen Neutrinos zu den astrophysikalischen Quellen,
aus denen sie stammen, seit Jahren ein ungelöstes Problem. Buson hat das immer
als eine spannende Herausforderung betrachtet. 2017 brachten die Forscherin und
weitere Kollegen von ihr in der Fachzeitschrift Science erstmals einen
Blazar, nämlich TXS 0506+056, als mutmaßliche Neutrinoquelle ins Gespräch.
Blazare sind aktive galaktische Kerne, die von supermassereichen Schwarzen
Löchern angetrieben werden und viel mehr Strahlung aussenden als ihre gesamte
Galaxie. Die Veröffentlichung löste eine wissenschaftliche Debatte darüber aus,
ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Blazaren und hochenergetischen
Neutrinos gibt.
Nach diesem ersten ermutigenden Schritt begann die Gruppe von Buson im Juni
2021 ein ehrgeiziges Multi-Messenger-Forschungsprojekt, das vom Europäischen
Forschungsrat unterstützt wird. Dabei geht es darum, verschiedene Signale ("messenger",
zum Beispiel Neutrinos) aus dem Universum zu analysieren. Das Hauptziel besteht
darin, den Ursprung astrophysikalischer Neutrinos zu klären und möglicherweise
Blazare als erste Quelle extragalaktischer hochenergetischer Neutrinos zu
identifizieren. Das Projekt zeigt nun einen ersten Erfolg: In einer neuen Studie
berichtet Buson zusammen mit ihrer Gruppe, dem ehemaligen Postdoc Raniere de
Menezes und mit Andrea Tramacere von der Universität Genf, dass Blazare mit
einem noch nie dagewesenen Grad an Sicherheit mit astrophysikalischen Neutrinos
in Verbindung gebracht werden können.
"Wir nutzen Neutrinodaten, die vom IceCube-Neutrino-Observatorium in der
Antarktis gewonnen wurden – dem empfindlichsten Neutrinodetektor, der derzeit in
Betrieb ist – und einen Katalog von astrophysikalischen Objekten, die mit
Sicherheit als Blazare identifiziert wurden", erklärt Buson. "Wir haben eine
Kreuzkorrelationsanalyse zwischen den Datenproben durchgeführt und starke Belege
dafür gefunden, dass eine Untergruppe von Blazaren die beobachteten
hochenergetischen Neutrinos erzeugt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei
um einen Zufall handelt, ist sehr gering und liegt bei nur 6 × 10-7,
also bei weniger als eins zu einer Million. Die Ergebnisse liefern zum ersten
Mal einen unwiderlegbaren Beobachtungsbeweis dafür, dass die Untergruppe der
PeVatron-Blazare extragalaktische Neutrinoquellen und damit Beschleuniger der
kosmischen Strahlung sind." Laut Buson ist die Entdeckung dieser
hochenergetischen Neutrinofabriken ein Meilenstein für die Astrophysik: "Sie
bringt uns einen Schritt weiter bei der Lösung des jahrhundertelangen Rätsels um
den Ursprung der kosmischen Strahlung."
Trotz dieses Erfolges ist sich die Forscherin bewusst, dass es noch viel zu
tun gibt. Sie zitiert den Wissenschaftler Blaise Pascal aus dem 17. Jahrhundert:
"Das Wissen ist wie eine Kugel: Je größer ihr Volumen ist, desto größer ist ihr
Kontakt mit dem Unbekannten." Das gilt auch für Busons Forschung: "Was wir
beobachten, ist nur die Spitze des Eisbergs, das sind möglicherweise nur die
hellsten und effizientesten Neutrino-Emitter."
In der Tat, sagt sie, habe sich die statistische Analyse nur auf die
vielversprechendsten IceCube-Neutrinodaten konzentriert. Buson erwartet, dass
anspruchsvollere Analysetechniken weitere Entdeckungen bringen werden. Schon der
jetzige Fund liefert neue Rätsel: "Was macht diese Gruppe von Blazaren so
besonders unter den Tausenden von vergleichbaren Objekten in unserem Universum?
Diese und andere Fragen werden unsere Multi-Messenger-Gemeinschaft in den
kommenden Jahrzehnten beschäftigen."
Über ihre Ergebnisse berichtet Buson und ihr Team in einem Fachartikel, der
in der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters erschienen ist.
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