"Todesschrei" vom Rand des Schwarzen Lochs
Redaktion
astronews.com
3. November 2003
Erstmals hat
ein internationales Team von Astronomen infrarote Lichtblitze aus der Umgebung
des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße registriert. Das Licht
flackert innerhalb weniger Minuten und entsteht offenbar, wenn heißes Gas in den
Schwerkraftschlund gesogen wird und dann hinter dessen "Ereignishorizont"
verschwindet. Die Forscher schließen daraus auf eine rasche Rotation des
galaktischen Schwarzen Lochs – ganz wie es Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie voraussagt.
Signale aus dem Schwarzen Loch: Die beiden Fotos vom 9. Mai 2003
zeigen Momentaufnahmen des galaktischen Zentrums. In dem mit
einem Kreis markierten Bereich vermuten die Astronomen das
supermassereiche Schwarze Loch. Auf dem unteren Bild blitzt der Flare
im Grenzbereich des so genannten Ereignishorizonts auf. Das
Kreuz bezeichnet die Position des Sterns S 2, der das Schwarze
Loch einmal in 15 Jahren umläuft. Fotos:
Europäische Südsternwarte/Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik |
Am frühen Morgen des 9. Mai 2003 durchbrach ein Ausruf des Erstaunens die ruhige
Atmosphäre im Kontrollraum des Very Large Telescope: "Was macht der Stern
denn da!", rief Rainer Schödel, während er auf einem der Monitore starrte. Der
Astronom des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik beobachtete
gemeinsam mit Reinhard Genzel, Direktor des Instituts in Garching, das rund
26.000 Lichtjahre entfernte Zentrum unserer Galaxis. Ein neuer Stern war auf dem
Bildschirm aufgetaucht – und wenige Minuten später spurlos verschwunden. Was
konnte das bedeuten? Die Wissenschaftler zweifelten nicht: Sie hatten einen
energiereichen "Flare" im nahen Infrarot entdeckt, und zwar exakt an jener
Position, an der sie das supermassereiche Schwarze Loch im Herzen der
Milchstraße wähnen. Schwarze Löcher zählen zu den bizarrsten Objekten im
Universum. In ihnen ist die Materie so dicht gepackt, dass nicht einmal Licht
den Schwerkraftfesseln zu entkommen vermag.
"Seit mehr als einem Jahrzehnt haben wir nach dieser Strahlung gesucht", sagt
Team-Mitglied Andreas Eckart von der Universität zu Köln. "Uns war klar, dass
das Schwarze Loch immer wieder Materie auf sich zieht. Bevor das Gas verschluckt
wird und aus unserer Welt verschwindet, sollte es sich erhitzen und
Infrarotstrahlung aussenden." Genau diesen "Todesschrei" haben die Astronomen
nun zum ersten Mal live beobachtet. Dazu hatten sie im Frühjahr das ESO-Teleskop
namens Yepun mit der Infrarotkamera NACOS auf das galaktische Zentrum
gerichtet und nach kurzer Zeit einen Treffer gelandet.
Eine gründliche Auswertung ergab, dass die Infrarotstrahlung aus einem wenige
Lichtstunden kleinen Bereich stammt; am irdischen Himmel bildet er sich unter
dem Winkel von nur einigen tausendstel Bogensekunden ab (und erscheint damit
ähnlich winzig wie ein Mensch auf der Mondoberfläche). Dass sich das Signal
innerhalb weniger Minuten ändert, beweist den Forschern zufolge seine Herkunft
aus der Grenzregion des so genannten Ereignishorizonts, hinter dem es selbst für
Licht kein Entrinnen gibt. In dieser Region vermuten die Astronomen "chaotische
Verhältnisse" – ähnlich, wie sie in Gewittern oder Strahlungsausbrüchen auf der
Sonne herrschen.
"Unsere Daten erlauben es, Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu
überprüfen", sagt Daniel Rouan vom Observatorium Paris-Meudon. Das
spektakulärste Ergebnis sei eine 17-Minuten-Periode in der Lichtkurve von zwei
der beobachteten Flares. Rührt dieser Zyklus von dem Gas her, das um das
Schwarze Loch wirbelt? "Wenn ja, dann bleibt eigentlich nur ein Schluss: Das
Schwarze Loch selbst rotiert", sagt Rouan.
Für Reinhard Genzel bedeutet die Entdeckung einen weiteren Durchbruch in der
Erforschung Schwarzer Löcher – nachdem es seinem Team bereits vor einem Jahr
gelungen war, das "Schwerkraftmonster" im Herzen der Galaxis anhand der raschen
Bewegung eines Sterns mit großer Sicherheit nachzuweisen und seine Masse auf
rund drei Millionen Sonnenmassen abzuschätzen (astronews.com berichtete) "Aus
der Theorie wissen wir, dass ein Schwarzes Loch durch drei Größen
charakterisiert ist: Masse, Spin und elektrische Ladung. Falls die beobachtete
Periode tatsächlich die Umlaufzeit des Gases um das Schwarze Loch widerspiegelt,
hätten wir also zum ersten Mal den Spin eines solchen Objekts direkt gemessen."
Das Schwarze Loch würde sich mit etwa der Hälfe der von der Allgemeinen
Relativitätstheorie zugelassenen Höchstgeschwindigkeit drehen. Und Genzel
ergänzt: "Jetzt beginnt die Ära, in der wir die Physik von Schwarzen Löchern
durch die Beobachtung überprüfen und aufdecken können."
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