TEILCHENPHYSIK
Ein
Fehler im Standardmodell?
Redaktion
astronews.com
12. Februar 2001
Für Teilchenphysiker war es eine kleine Sensation: Die
Ergebnisse eines Experimentes am Brookhaven National Laboratory in
den USA scheinen im Widerspruch zur bisherigen Theorie über den
Aufbau der Materie zu stehen. Für die Forscher könnte dies
der erste Schritt in die Welt der Supersymmetrie sein, was auch für
Kosmologen von nicht unerheblicher Bedeutung wäre.

Das
Experiment im Brookhaven National Laboratory. Foto:
BNL/Ripp Bowman |
Ende vergangener Woche sorgten die Forschungsergebnisse eines Team von Wissenschaftlern
aus elf Institutionen in Deutschland, Japan, Russland und USA, die am Brookhaven National
Laboratory in New
York gewonnen wurden, für erheblichen Wirbel: Die Resultate
unterschieden sich nämlich deutlich von Vorhersagen, die im Rahmen des sogenannten Standardmodells der
Teilchenphysik gemacht wurden. Dieses - bislang recht zuverlässige - theoretische
Gebäude wurde im Verlauf
der letzten dreißig Jahre entwickelt und fasste alle bisherigen Beobachtungen der experimentellen Teilchenphysik in
hervorragender Weise zusammen.
Doch dies könnte sich nun ändern: In Brookhaven wurde an einem dem Elektron
verwandten Elementarteilchen, dem Myon, in einem Präzisionsexperiment eine
bestimmte Eigenschaft vermessen, die sich magnetische Anomalie nennt.
Manche Physiker hatten diesen Wert schon länger im Verdacht, dass zu
ihm auch neue, bisher unbekannte grundlegende Naturkräfte beitragen
könnten. Das
Experiment in Brookhaven wurde in einem speziell dafür hergestellten
Magneten durchgeführt, der mit 14 Meter Durchmesser die weltgrößte
supraleitende Spule enthält.
Myonen haben ein sogenanntes magnetisches Moment, man kann sie
sich also ähnlich wie kleine Stabmagneten vorstellen. Werden diese
nun mit hoher
Geschwindigkeit in ein Magnetfeld eingeschossen, bewegen sie sich dort auf
Kreisbahnen und gleichzeitig drehen sich die kleinen Magnete. Bei dem
Experiment kam es nun darauf an, mit hoher Präzision die Frequenz dieser
Drehbewegung und die Stärke des
Magnetfeldes zu vermessen.
Und hier waren auch deutsche Forscher beteiligt: Im Rahmen der
internationalen Kollaboration haben das
Physikalische Institut der Universität Heidelberg und das
Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung in Heidelberg ein neuartiges,
mit bisher nicht da gewesener Genauigkeit arbeitendes Magnetfeldmess- und
Regelsystem gebaut und in dem Experiment betrieben. Es bildet die Grundlage,
auf der nun die Wissenschaftler ihre im Jahr 1999 gewonnenen Daten auswerten
konnten.
Für die gefundene Abweichung zwischen dem gemessenen Ergebnis
und den neuesten und genauesten mit Hilfe der Standardtheorie
durchgeführten Berechnungen, gibt es nach Ansicht der Forscher drei Erklärungsmöglichkeiten: Mit einer
Wahrscheinlichkeit von einem Prozent könnte es sich um einen
statistischen Ausreißer handeln oder aber es könnte - trotz großer Sorgfalt
- im Experiment oder Theorie ein Fehler aufgetreten sein. Die dritte
Möglichkeit ist jedoch die faszinierendste: Das Ergebnis könnte auch ein Hinweis auf
bisher unbekannte Kräfte sein. Hier gibt es eine Reihe von neuen
Theorien - wie beispielsweise die Supersymmetrie - die das
Standardmodell erweitern. Das Attraktive an einer solchen
spekulativen Theorie ist, dass sie eine Vielzahl bislang
unverstandener Gegebenheiten in der Teilchenphysik erklären könnte,
über
die das Standardmodell keine Aussage machen kann.
"Viele glauben, dass wir nun kurz vor der Entdeckung der
Supersymmetrie stehen", sagte Lee Roberts von der Boston
University. "Vielleicht haben wir hier ein erstes kleines
Fenster zu dieser neuen Welt aufgestoßen." Jetzt wollen sich
die Forscher an die sorgfältige Auswertung der Daten aus dem
letzten Jahr machen, was den möglichen Messfehler bei dem
Experiment halbieren sollte. Die Ergebnisse aus Brookhaven haben
auch für kosmologische Modelle eine nicht unerhebliche Bedeutung, da
ein geändertes Standardmodell auch
einen anderen Blick auf die Entwicklung des Universums und die
Vorgänge im Urknall ermöglicht.
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