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Entgeht die Milchstraße einer Kollision mit der Andromedagalaxie?
von
Stefan Deiters astronews.com
4. Juni 2025
Eines schien bislang unausweichlich: In etwas mehr als vier
Milliarden Jahren werden die Milchstraße und die Andromedagalaxie kollidieren
und im Anschluss zu einer größeren, elliptischen Galaxie verschmelzen. Eine neue
Auswertung von Daten des Weltraumteleskops Hubble und des europäischen
Astrometriesatelliten Gaia zeigte nun: So sicher ist die Kollision
nicht.

Das System NGC 520 zeigt ein Beispiel für eine Kollision
zweier Spiralgalaxien.
Bild: NASA, ESA, das Hubble Heritage Team (STScI/AURA)
- ESA / Hubble Collaboration und B. Whitmore (STScI)
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Schon 1912, damals hielt man unsere Nachbargalaxie Andromeda noch für einen
normalen "Nebel" innerhalb der Milchstraße, stellte man fest, dass sich dieser
Andromedanebel uns offenbar unaufhaltsam nähert. Bald darauf erkannte man,
um was es sich bei Messier 31 wirklich handelte: eine Galaxie wie unsere
Milchstraße, die, so zeigten vor rund einem Jahrzehnt Beobachtungen des
Weltraumteleskops Hubble, sich so präzise in unsere Richtung bewegt,
dass ein Zusammenstoß mit der Milchstraße in einigen Milliarden Jahren praktisch
unausweichlich erschien. Kollisionen von Galaxien sind zwar in der Regel nicht
mit direkten Zusammenstößen von Sternen verbunden, lösen aber heftige
Sternentstehung aus und können Sterne auf ganz neue Umlaufbahnen katapultieren.
Doch ganz so unausweichlich ist eine Kollision von Milchstraße und
Andromeda offenbar doch nicht. Das ist das Ergebnis einer jetzt vorgestellten
Studie, die Daten von Hubble und der ESA-Astrometriemission Gaia
mit umfangreichen Simulationsrechnungen kombiniert hat. "Wir haben die
umfassendste Studie zu diesem Problem vorgelegt, die tatsächlich alle
Unsicherheiten bei den Beobachtungen mit einbezieht", erläutert Till Sawala,
Astronom an der Universität Helsinki in Finnland. Zu dem Forschungsteam gehörten
zudem Forschende der Universität Durham in Großbritannien, Toulouse in
Frankreich und der University of Western Australia.
Wichtigstes Resultat der Studie ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die
beiden Galaxien innerhalb der nächsten zehn Milliarden Jahre zusammenstoßen,
etwa 50 Prozent beträgt. Dabei sei die Vorhersage von Wechselwirkungen zwischen
Galaxien mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet, doch sprächen die neuen
Ergebnisse eindeutig dafür, dass das Schicksal unserer Milchstraße eine offene
Frage ist. "Selbst unter Verwendung der neuesten und genauesten verfügbaren
Beobachtungsdaten ist die Zukunft der Lokalen Gruppe, die aus mehreren Dutzend
Galaxien besteht, ungewiss", so Sawala. "Interessanterweise finden wir eine fast
gleiche Wahrscheinlichkeit für das weit verbreitete Verschmelzungsszenario oder
das alternative Szenario, bei dem die Milchstraße und Andromeda unbeschadet
überleben."
"Es ist eine gewisse Ironie, dass wir trotz der in den letzten Jahren
aufgenommenen präziseren Hubble-Daten jetzt weniger sicher über den Ausgang
einer möglichen Kollision sind", sagt Sawala. "Das liegt an der komplexeren
Analyse und daran, dass wir ein vollständigeres System betrachten. Aber der
einzige Weg zu einer neuen Vorhersage über das mögliche Schicksal der
Milchstraße führt über noch bessere Daten." Für ihre aktuelle Studie
berücksichtigte das Team 22 verschiedene Faktoren, die sich auf den Verlauf
einer Begegnung und möglichen Kollision zwischen Milchstraße und der
Andromedagalaxie auswirken könnten. Sie führten dann 100.000 Simulationen von
möglichen Szenarien der Begegnung durch, die bis zu zehn Milliarden Jahre in die
Zukunft reichen.
"Da es so viele Faktoren gibt, die alle mit Fehlern
behaftet sind, summiert sich das zu einer ziemlich großen Unsicherheit über das
Ergebnis, was zu der Schlussfolgerung führt, dass die Wahrscheinlichkeit einer
direkten Kollision innerhalb der nächsten zehn Milliarden Jahre nur 50 Prozent
beträgt", so Sawala. "Die Milchstraße und Andromeda allein betrachtet, würden
auf ihrer Umlaufbahn in der gleichen Ebene bleiben, aber das bedeutet nicht,
dass sie zusammenstoßen müssen: Sie könnten immer noch aneinander vorbeiziehen."
Das Team berücksichtige aber auch das galaktische Umfeld, wie den
Dreiecksnebel Messier 33 und die Große Magellansche Wolke, eine
Satellitengalaxie der Milchstraße. "Die zusätzliche Masse von Messier 33 zieht
die Milchstraße ein wenig mehr zu ihr hin. Wir zeigen aber auch, dass die Große
Magellansche Wolke die Milchstraße aus der Bahnebene und weg von Andromeda
zieht. Das bedeutet nicht, dass die Große Magellansche Wolke uns vor der
Verschmelzung bewahren wird, aber es macht sie etwas unwahrscheinlicher", so
Sawala.
In etwa der Hälfte der Simulationen fliegen Milchstraße und
Andromedagalaxie in einem Abstand von etwa einer halben Million Lichtjahren oder
weniger aneinander vorüber. Allerdings führt die gegenseitige Anziehungskraft
und die dynamische Reibung durch den ausgedehnten Halo beider Systeme dazu, dass
sie sich in ferner Zukunft doch wieder annähern und schließlich verschmelzen
werden. In den meisten anderen Fällen kommen sich die Galaxien allerdings nicht
einmal so nahe, dass die dynamische Reibung eine Rolle spielt. Eine
Verschmelzung dürfte es dann für lange Zeit erst einmal nicht geben. Das bislang
favorisierte Szenario, nach dem Milchstraße und Andromedagalaxie in vier bis
fünf Milliarden Jahren frontal zusammenstoßen, hat nach der neuen Studie eine
Wahrscheinlichkeit von lediglich zwei Prozent.
Über ihre Ergebnisse berichtet die Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen
ist.
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