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KOSMOCHEMIE
Wie organische Moleküle im All entstehen könnten
Redaktion / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie
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7. Juli 2021

Forschende könnten einen Mechanismus gefunden haben, der die Entstehung komplexer organischer Moleküle im All erklären würde: In Laborexperimenten stießen sie auf ungewöhnliche Eis-Eigenschaften, die auch jene eisbedeckten Staubkörner aufweisen sollten, die chemische Reaktionen im Weltraum ermöglichen. Zur Bestätigung sind allerdings noch weitere Experimente nötig.

Phasenübergang

In den frühen Stadien der Sternentstehung dürfte das Eis auf kosmischen Staubkörnern einen Phasenübergang durchlaufen (amorphes Eis zu polykristallinem Eis). Dieser Phasenübergang scheint Molekülen oder Radikalen innerhalb des Eises zu helfen, sich zusammenzuschließen. In den dabei entstehenden "Molekülhaufen" könnten chemische Reaktionen komplexere organische Moleküle bilden. Bild: NASA/JPL-Caltech, MPIA Grafikabteilung  [Großansicht]

Laborexperimente, die simulieren, wie sich Eisschichten auf winzigen kosmischen Staubkörnern bilden, haben eine mögliche Antwort auf eine der wichtigsten offenen Fragen der Astrochemie geliefert: wie in interstellaren Molekülwolken komplexe organische Moleküle entstehen können. Solche Moleküle, die von Meteoriten zur Erde transportiert werden, könnten eine der Zutaten sein, die zur Entstehung von Leben auf der Erde und möglicherweise auf anderen geeigneten Planeten geführt haben.

Die gigantischen Weiten zwischen den Sternen sind fast, aber eben nicht ganz leer – und in den dünnen Gas- und Staubwolken, die sich dort draußen finden, haben Astronominnen und Astronomen in den letzten Jahrzehnten immer mehr komplexe Moleküle entdeckt. Interessanterweise ist eine ganze Reihe der rund 200 bekannten interstellaren Molekülarten im interstellaren Raum organisch – so heißen insbesondere komplexere Moleküle, die Kohlenstoff enthalten. Hier auf der Erde sind solche Moleküle die Grundlage des Lebens, wie wir es kennen.

Das hat, wenig überraschend, zu der Frage geführt, ob interstellare organische Moleküle in irgendeiner Weise mit der Entstehung des Lebens auf der Erde und möglicherweise auch des Lebens auf anderen Planeten in Verbindung stehen könnten. Ein mögliches Szenario sieht vor, dass Meteoriten organische interstellare Moleküle in kleine Teiche hier auf der Erde transportieren und so die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben schaffen.

Doch wie können sich im interstellaren Raum überhaupt komplexe organische Moleküle bilden? Die dortigen interstellaren Molekülwolken haben enorm niedrige Dichten. Selbst die dichtesten solcher Wolken mit etwa hunderttausend Gasteilchen pro Kubikzentimeter entsprechen dem, was Ingenieure mindestens "Ultrahochvakuum" nennen, wenn sie versuchen, solche Bedingungen hier auf der Erde nachzuahmen. Gewöhnliche chemische Reaktionen, bei denen Moleküle oder Atome aufeinander treffen und sich dann miteinander verbinden, laufen unter solchen Bedingungen viel zu selten ab, um etwas anderes als sehr einfache Moleküle zu erzeugen.

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In den 1960er Jahren begann Forschende, die sich für die interstellare Chemie interessierten, die Idee zu entwickeln, dass interstellare Staubkörner als "kosmische Laboratorien" dienen könnten, in denen komplexere chemische Reaktionen ablaufen. Solche Staubkörner, die entweder auf Kohlenstoff oder Silikaten basieren und einen Durchmesser von weniger als einem Millionstel Meter haben, bilden sich typischerweise in den äußeren Schichten von kühlen Sternen oder infolge von Supernova-Explosionen. In einer interstellaren Molekülwolke würden solche Staubkörner eine äußere Schicht aus Wassereis ansammeln, und solche eisigen Schichten wiederum würden dann als winzige kosmische Chemielabore dienen.

Das Eis, das ein kosmisches Staubteilchen umhüllt, hat typischerweise eine zwiebelartige Struktur mit Dutzenden von aufeinanderfolgenden Schichten. Die inneren Schichten bestehen vor allem aus Wassereis, enthalten aber auch Moleküle wie Kohlendioxid, Ammoniak, Methan und andere. Chemisch gesehen sind die äußeren Schichten viel interessanter. Hier ist der Hauptbestandteil Kohlenmonoxid-Eis (CO), gemischt mit anderen Komponenten wie den organischen Verbindungen Methanol oder Formaldehyd. Es kann auch Wasserstoff- und Sauerstoffatome enthalten, sowie Verbindungen, die als "Radikale" bezeichnet werden und sich besonders eifrig an chemischen Reaktionen beteiligen: Hydroxy-Gruppen, Formyl-Radikale, Methoxy-Gruppen, Hydroxymethyl-Gruppen und andere.

Frühere Laborexperimente zeigten schlüssig, dass chemische Reaktionen zwischen diesen reaktiven Spezies in den CO-reichen Eisschichten zur Bildung zahlreicher interessanter komplexer organischer Moleküle führen, darunter Methylformiat, Glycolaldehyd und Ethylenglycol – selbst bei Temperaturen von nur 10 Kelvin, wie sie in interstellaren Molekülwolken typisch sind. Eine große offene Frage war jedoch das "Wie" des Ganzen. Um komplexere Moleküle zu bilden, müssten sich die im Eis eingebetteten chemischen Substanzen an denselben Ort bewegen. Chemische Reaktionen können schließlich nicht auf Distanz ablaufen. Hier stießen bisherige Modelle auf Schwierigkeiten – und für dieses Problem bietet die neue Arbeit von He und seinen Kollegen eine mögliche Lösung.

Moleküle, die in festes Eis eingebettet sind, sind nicht vollständig an ihrem Platz eingefroren. In jedem Stück Materie mit einer Temperatur ungleich Null wackeln die Atome ständig ein wenig herum, und immer wieder erlaubt dieses Wackeln eingebetteten Molekülen, ihre Position zu wechseln – entweder durch "Durchquetschen" oder weil eine der unzähligen Bindungen, die das Eis zusammenhalten, vorübergehend gelockert oder sogar gebrochen wird. Diese Art zufälliger Fortbewegung heißt Diffusion.

Eine wichtige Aufgabe der Labor-Astrochemie ist die Bestimmung der Diffusionsraten verschiedener Atome, Moleküle und Radikale auf und innerhalb des Eismantels eines Staubkorns. Die Ergebnisse für festes Eis sind allerdings entmutigend: Mit Ausnahme kleiner Wasserstoffatome und -moleküle ist die Diffusion in Eis bei 10 Kelvin, der typischen Temperatur interstellarer Molekülwolken, außerordentlich langsam. Das ist ein großes Problem für die Bildung von komplexeren Molekülen. Wenn die Ausgangsstoffe nicht gerade zufällig nebeneinandersitzen, finden die notwendigen chemischen Reaktionen unter solchen Bedingungen einfach nicht statt.

Das war die Situation, als Francis Toriello, damals Doktorand an der Syracuse University, und seine Betreuer Jiao He (zunächst an der Universität Leiden, später am Max-Planck-Institut für Astronomie) und Gianfranco Vidali (Astrophysics and Surface Science Laboratory an der Syracuse University) sich daran machten, die Bildung von CO-Eisschichten auf Staubkörnern genauer zu untersuchen. Nach einem von He entwickelten Plan erzeugte Toriello eine Ultrahochvakuum-Umgebung, in die er eine kleine goldbeschichtete Kupferscheibe mit einem Durchmesser von 13 mm einbrachte. Die Scheibe soll die Oberfläche eines kosmischen Staubkorns darstellen. Sie ist an einer externen Kühlvorrichtung befestigt und kann kontrolliert auf Temperaturen bis hinunter zu 5 Kelvin abgekühlt werden.

Indem die Forscher Wasserdampf oder CO-Gas in die Kammer leiten, können sie systematisch Schichten aus Wassereis oder CO-Eis auf der Scheibe wachsen lassen. Die Eisschichten werden dann mit einem Infrarotspektrometer beobachtet: Eine Lampe strahlt Infrarotlicht auf das Eis, und das reflektierte Licht wird analysiert. Die Art und Weise, wie das Material Licht bei bestimmten Wellenlängen absorbiert, gibt Aufschluss über die Eigenschaften des Eises. Ein entscheidender Phasenübergang In einer Reihe von Experimenten präparierten die Forscher zunächst einen mehrschichtigen Wassereis-"Kern" und legten dann, bei einer Temperatur von 6 Kelvin, unterschiedlich dicke Kohlenmonoxid-Eisschichten darauf. Anschließend erwärmten sie die Probe auf 20 Kelvin und beobachteten die ganze Zeit sorgfältig die Infrarotspektren.

Bei etwa 10 Kelvin, einer typischen Temperatur in dichten interstellaren Wolken, passierte etwas Interessantes: Das Infrarotspektrum verschob sich in einer Weise, die die Forscher als Phasenübergang interpretieren. Unterhalb dieser Temperatur befand sich das Kohlenmonoxid-Eis in einer amorphen Phase, in der die CO-Moleküle in alle Richtungen aneinanderklebten. Oberhalb dieser Temperatur ändert sich die Phase, wahrscheinlich in eine sogenannte polykristalline Phase: eine Ansammlung von zahlreichen kleinen CO-Eiskristallen.

Um herauszufinden, was dies für die Rolle des CO-Eises als "kosmisches Labor" bedeutet, bauten die Forscher eine zweite Version des Experiments auf, bei der etwas Kohlendioxid (CO2 beigemischt wurde, als die ersten CO-Eisschichten entstanden. Das CO2 sollte ganz allgemein für jede Art von zusätzlicher chemischer Substanz stehen, die an der Eisschicht des kosmischen Staubs anhaften könnte. Unterhalb von 10 Kelvin war alles wie erwartet: Die CO2-Moleküle saßen einzeln im Eis fest und waren nicht in der Lage, sich zusammenzufinden, und damit potenziell an chemischen Reaktionen teilzunehmen. Doch in der Zeit, in der der Phasenübergang stattfand, änderte sich die Situation drastisch. Anschließend zeigte der Infrarotspektrograph ein starkes Signal von Clustern von CO2-Molekülen, die sich offensichtlich gefunden und verklumpt hatten. Während der Übergangsphase zur polykristallinen Form des CO-Eises konnten sich die CO2-Moleküle und vermutlich auch andere Radikale und Moleküle offenbar im Eis bewegen und auf diese Weise geeignete Ausgangsbedingungen für chemische Reaktionen schaffen.

Ausgehend von ihren experimentellen Ergebnissen stellten die Forscher allgemeinere Berechnungen dazu an, was der Phasenübergang für eisbedeckte Staubkörner in riesigen interstellaren Wolken bedeuten könnte. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Phasenübergang in den polykristallinen Zustand in solchen Wolken die Regel sein sollte: In den allerersten Stadien der Sternentstehung, wenn Teile der Wolke zu kollabieren beginnen und sich infolgedessen aufheizen. Dabei sollte das CO-Eis auf den Staubkörnern in der Umgebung polykristallin werden. Während dieses Phasenübergangs könnten die Radikale und Moleküle freier wandern als sonst, und größere Molekülansammlungen bilden.

Extrapoliert man von CO2 auf komplexere Moleküle bzw. auf Radikale, könnte das die Effizienz der auf Staubkörnern basierenden kosmischen Chemielabore erklären: Mit der Zeit würden kosmische Staubkörner Eis sowie Radikale oder Moleküle aufsammeln. Sobald die Sternentstehung einsetzt, würde der Phasenübergang dafür sorgen, dass zahlreiche dieser Radikale und Moleküle sich zusammenfinden können. Damit wären die Bedingungen gegeben, unter denen chemische Reaktionen stattfinden und komplexere Moleküle entstehen können – Moleküle, die vielleicht irgendwann, nachdem sie über Meteoriten auf einen neu entstandenen Planeten transportiert wurden, eine Rolle bei der Entstehung von neuem Leben spielen könnten. Angesichts der bisher durchgeführten Experimente ist dies ein faszinierendes und reizvolles Szenario.

Möglicherweise ist diese Art des "Betriebsablaufs" kosmischer Chemielabore von erheblicher Bedeutung für die Entstehung komplexer organischer Moleküle und schließlich des Lebens. Aber es ist noch ein langer Weg zu gehen, bevor die Beweise stark genug sind, damit das Szenario in der wissenschaftlichen Gemeinschaft allgemein akzeptiert wird. Als nächstes plant He, der inzwischen als Leiter des neu gegründeten MPIA-Labors "Origins of Life" nach Heidelberg gewechselt ist, zusammen mit seinen Kollegen eine Version des Experiments, bei der Radikale und andere Moleküle als CO2 dem Phasenübergang unterworfen werden. Sollte dies zum gleichen Clustering-Effekt führen, wäre das ein weiterer Schritt, um die Rolle des Übergangs zu polykristallinem CO-Eis in der Astrochemie interstellarer Wolken zu etablieren.

Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters erschienen ist.

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siehe auch
Interstellares Medium: Staub und Eis im All vermischt - 25. September 2021
Weltraumchemie: Vom Staub zur Entstehung des Lebens - 8. Juni 2020
Links im WWW
Max-Planck-Institut für Astronomie
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