Rätselhafte Kombination leichter Quarks
Redaktion
/ Pressemitteilung des Excellence Cluster "Universe" astronews.com
15. September 2015
Wissenschaftler haben bei Experimenten am CERN eine neue,
exotische Kombination von leichten Quarks beobachtet, die sich die theoretischen
Physiker bislang nicht vollständig erklären können. Die Entdeckung gelang zur
Überraschung der Forscher in einem Massenbereich, in dem schon ein halbes
Jahrhundert lang geforscht wird. Das neue Teilchen trägt die Bezeichnung
a1(1420).

Der Aufbau des COMPASS-Experiments am Super
Proton Synchrotron des CERN.
Foto: CERN [Großansicht] |
Quarks sind dem Standardmodell der Teilchenphysik zufolge die fundamentalen
Bausteine, aus denen Atomkerne aufgebaut sind: Ein Proton besteht aus einem up-
und zwei down-Quarks, ein Neutron aus einem down und zwei up-Quarks. Damit ist
der Teilchenzoo der Quarks jedoch noch lange nicht komplett: Neben den beiden
leichtesten Quarks gibt es noch vier weitere: das strange-, charm-, bottom- und
das top-Quark sowie ihre jeweiligen Antiteilchen, die Antiquarks.
Alle diese Quarks waren kurz nach dem Urknall vorhanden und spielten eine
wichtige Rolle bei der Entstehung unseres Universums. Die vier schweren Quarks
sind in den Naturvorgängen in unserer Umgebung nicht mehr zu beobachten. Um sie
nachzuweisen, werden große Teilchenbeschleuniger benötigt. Zusammengehalten
werden die Quarks durch "Klebeteilchen", Gluonen, die auch die starke
Wechselwirkung, die stärkste der vier Fundamentalkräfte der Physik, vermitteln.
Die starke Wechselwirkung wird durch eine Theorie beschrieben, die sich
Quantenchromodynamik (QCD) nennt und in den 1980-er Jahren entwickelt wurde. Mit
ihrer Hilfe wollen die Physiker beschreiben, nach welchen Prinzipien sich
Materie formt und welche Konfigurationen von Teilchen die Natur zulässt. Die QCD
sagt dabei eine ganze Reihe von Quark-Kombinationen voraus. Einige davon sind
gut bekannt: Eine Kombination von drei Quarks (Baryonen), wie sie etwa in den
Protonen und Neutronen vorkommen, sowie eine Kombination aus einem Quark- und
einem Antiquark (Mesonen), wie sie etwa die Pionen aufweisen.
Auch einige exotische Kombinationen, wie zum Beispiel molekülähnliche
Vierfach-Quarks oder sogar Fünffach-Quarks, sind der QCD zufolge möglich.
Kürzlich wurden am Large Hadron Collider (LHC) des CERN in Genf tatsächlich
Hinweise auf ein solches Fünffach-Quark gefunden.
Die Kombinationsregeln von Quarks zu verstehen, ist seit langem eine große
Herausforderung für die theoretische wie auch die experimentelle Teilchenphysik.
Dabei erschwert ein äußerst ungewöhnliches Phänomen das Verständnis der
Quark-Kombination: Die Kräfte zwischen den Quarks werden immer größer, je weiter
man diese voneinander entfernt. Die starke Wechselwirkung wächst also, anders
als die anderen drei Grundkräfte, mit zunehmendem Abstand der Teilchen.
Die zugehörigen QCD-Gleichungen stellen eine der großen Herausforderungen in der
theoretischen Physik dar. Eine Annäherung an die Lösung wird vor allem mit
Computersimulationen erreicht, die sehr viel Rechenzeit beanspruchen, aber
mögliche Teilchenkombinationen deutlich einschränken.
Die COMPASS-Kollaboration hat nun die Existenz eines ungewöhnlichen Mesons
entdeckt, das sich aus leichten Quarks zusammensetzt und eine Masse von 1,42 GeV/c2
hat. Da in dieser Massenregion seit einem halben Jahrhundert geforscht wird, ist
die Entdeckung des neuen Teilchens mit Hilfe des COMPASS-Spektrometers am
Super Proton Synchrotron (SPS) des CERN eine große Überraschung. Diese ist
dem weltweit größten Datensatz für solche Untersuchungen zu verdanken.
Das neue a1(1420) genannte Teilchen wurde bei Datenanalysen von Experimenten
gefunden, bei denen Pionen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf ein
Flüssig-Wasserstoff-Target geschossen wurden. Weil dieser neue Zustand rund
1.000 Mal seltener vorkommt als die bekannten Mesonen, war zur Identifizierung
eine neue, komplexe Analysemethode nötig, für die Wissenschaftler des
Exzellenzclusters Universe der Technischen Universität München (TUM) zuständig
waren.
Für das neue Teilchen wurden verschiedene theoretische Erklärungen
vorgeschlagen. Diese interpretieren das a1(1420) als ein Molekül, aufgebaut aus
bekannten Mesonen, oder als einen Vier-Quark-Zustand. Andere Erklärungen machen
verschiedenartige langreichweitige Effekte der starken Wechselwirkung für die
Beobachtung verantwortlich. Diese Erklärungen decken jedoch die experimentellen
Befunde nicht vollständig ab.
"Obwohl es experimentell gut belegt ist, ist das neue Teilchen a1(1420) offenbar
ein neues Mitglied im Club der bisher unerklärten Zustände", so Prof. Dr.
Stephan Paul vom Exzellenzcluster Universe der TUM. Die Experten der
Quantenchromodynamik haben also mit dem neuen Teilchenzustand eine weitere
schwere Aufgabe zu lösen.
Das COMPASS-Experiment wird seit 2002 am Super Proton Synchrotron (SPS)
betrieben, dem zweitgrößten Beschleunigerring am CERN. Zur Kollaboration gehören
rund 220 Physiker aus 13 Ländern.
Über ihre Entdeckung berichten die Wissenschaftler in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Physical Review Letters erschienen ist.
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