Relativitätstheorie auf dem Prüfstand
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des ZARM astronews.com
1. September 2015
Beim Aufbau eines europäischen Netzes aus
Navigationssatelliten kam es im vergangenen Jahr zu einer Panne: Die beiden
Galileo-Satelliten Milena und Doresa erreichten nicht die
vorgesehene Umlaufbahn und umkreisen die Erde seitdem auf einem elliptischen
Orbit. Für die Wissenschaft bietet sich dadurch jedoch eine gute Möglichkeit,
Einsteins Relativitätstheorie zu testen.

Die Umlaufbahn (rot) der beiden im August
2014 gestarteten Galileo-Satelliten. Die
eigentlich vorgesehene Bahn ist grün-gestrichelt
dargestellt.
Bild: ESA [Großansicht] |
Als im August 2014 bekannt wurde, dass die Galileo-Satelliten 5 und
6 nicht die vorgesehene Höhe erreichten, erkannte Prof. Claus Lämmerzahl,
geschäftsführender Direktor des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen, darin sofort einen möglichen
Glücksfall für seine Forschungen zu Einsteins Relativitätstheorie. Inzwischen
hat er vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Genehmigung und
Unterstützung für sein "Scientific recycling"-Projekt erhalten und beginnt im
Oktober 2015 mit der wissenschaftlichen Auswertung der Galileo-Daten.
Die Galileo-Satelliten Milena und Doresa waren ursprünglich
dafür konzipiert, die Erde in 23.000 Kilometern Höhe zu umkreisen und als Teil
des europäischen GPS-Systems hochpräzise Navigationsdaten zu liefern. Aufgrund
von eingefrorenen Treibstoffleitungen auf der russischen Trägerrakete Sojus
wurden die beiden Satelliten statt auf der geplanten Kreisbahn auf einer
elliptischen Umlaufbahn ausgesetzt und sind folglich für diesen Zweck nur noch
sehr eingeschränkt geeignet.
Da ihr Abstand zur Erde regelmäßig zwischen 17.500 und 25.000 Kilometern
variiert, lassen sich die von den Satelliten gespeicherten Zeitdaten allerdings
hervorragend zur Untersuchung der sogenannten gravitativen Rotverschiebung
verwenden. Die Rotverschiebung ist eine der zentralen Vorhersagen der von Albert
Einstein vor 100 Jahren aufgestellten Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie
besagt, dass Gravitation - in diesem Fall die Erdanziehungskraft - die Zeit
beeinflusst.
Das bedeutet, dass eine Uhr, die an der Spitze eines hohen Turms angebracht
ist, aufgrund der dort schwächeren Gravitation schneller läuft als eine Uhr am
Fuße desselben Turms. Das bisher genaueste Experiment zur Rotverschiebung fand
1978 statt. Damals wurde in einem Raketenversuch der Einfluss der Gravitation
auf zwei identische hochgenaue Uhren untersucht, von denen sich eine auf der
Erde und die andere in der Rakete befand, die einmalig auf 10.000 Kilometer Höhe
geschossen wurde.
Die von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Beeinflussung der
Zeit durch die Gravitation konnte mit diesem Experiment bis auf die vierte
Nachkommastelle genau nachgewiesen werden. Da die Galileo-Satelliten
nicht nur einmalig, sondern zweimal täglich ihre Höhe um fast 8.000 Kilometer
ändern, liefern sie eine immense Datenmenge, von der Lämmerzahl erwartet, den
Effekt der Rotverschiebung mit einer um den Faktor zehn verbesserten Genauigkeit
nachweisen zu können.
In den vergangen Jahrzehnten haben zahlreiche Forschungsteams Projektanträge
zur präziseren Messung der Rotverschiebung eingereicht, von denen viele – unter
anderem aufgrund sehr hoher technologischer Anforderungen und extrem hohen
Kosten solcher Missionen - nicht bewilligt wurden. Da die fehlgeleiteten
Galileo-Satelliten aber ebenfalls mit hochpräzisen Atomuhren - mit einer
Abweichung von nur rund einer Sekunde in einer Million Jahren - ausgestattet
sind, erfüllen sie in dieser Beziehung die Anforderungen solcher
Forschungsmissionen und stehen ab sofort zu vergleichsweise sehr geringen Kosten
zur Verfügung.
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