Rekonstruktion einer Asteroidenkollision
Redaktion /
Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
11. Oktober 2010
Zwei Asteroiden sind in der ersten Februarhälfte 2009 jenseits der Umlaufbahn
des Mars zusammengestoßen. Zu diesem Ergebnis kamen Astronomen jetzt nach
Auswertung von Beobachtungen der ESA-Raumsonde Rosetta und anderer
Teleskope sowie aufwendigen Computersimulationen. Es handelt sich um die bisher
präziseste Datierung einer solchen Asteroidenkollision.

Ein Blick auf den Asteroiden P/2010 A2 mit
dem Kamerasystem OSIRIS der ESA-Raumsonde
Rosetta. Das Bild wurde im März 2010 aufgenommen.
Bild: ESA 2010 MPS für OSIRIS-Team MPS /
UPD / LAM / IAA / RSSD / INTA / UPM / DASP / IDA |
Einige Millionen große und kleine Gesteinsbrocken bevölkern den so genannten
Asteroidengürtel, die Region zwischen den Umlaufbahnen des Mars und des Jupiter.
Auf ihrem Weg um die Sonne kommt es immer wieder vor, dass solche Asteroiden
zusammenstoßen. Wegen der riesigen Ausmaße des Asteroidengürtels bleiben die
meisten dieser Ereignisse unentdeckt. Größere Zusammenstöße, die sich vor
Tausenden und Millionen von Jahren ereigneten, lassen sich anhand diffuser
Staubbänder im All aufdecken. Ein anderer Hinweis sind Familien von Asteroiden
mit ähnlichen Umlaufbahnen. Der Großteil des heutigen Wissens über
Asteroiden-Kollisionen stammt aus der Untersuchung solcher "fossilen"
Überbleibsel - eine Art von Weltraum-Paläontologie.
"Im Vergleich dazu sind der Asteroid P/2010 A2 und ein nur wenige Meter
großer Mini-Asteroid sozusagen gestern ineinander gerast", erklärt Dr. Colin
Snodgrass vom Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS). Der Schweif
aus Trümmerstücken ist mithilfe großer Teleskope noch direkt sichtbar. "Das ist,
als würde man statt Fossilien einen vollständigen Dinosaurier finden", fügt
Snodgrass hinzu. Im Januar 2010 waren Wissenschaftler des amerikanischen
Forschungsprojektes LINEAR (LIncoln Near-Earth Asteroid Research), die
den Weltraum routinemäßig nach erdnahen Asteroiden absuchen, auf den bereits
getroffen Asteroiden P/2010 A2 gestoßen (astronews.com berichtete). Wegen seines
Aussehens hielten viele Forscher den Himmelskörper zunächst für einen Kometen -
und folgten bei der Benennung deshalb der gängigen Nomenklatur für diese
Himmelskörper. Erst genauere Beobachtungen in den folgenden Monaten deckten sein
wahres Wesen auf.
Entscheidend für diese Zuordnung sind vor allem die Form des Trümmerschweifs
und dessen zeitliche Entwicklung. "Um beides genau beurteilen zu können, kommt
es in erster Linie auf die Beobachtungsperspektive an", erklärt Snodgrass. Da
die Umlaufbahnen der Erde und des Asteroiden nahezu in einer Ebene liegen,
bilden alle Aufnahmen von der Erde aus lediglich eine Projektion des Schweifs
ab. Die wirkliche Länge und Form lässt sich so nur schlecht erkennen. Diese
Einschränkung betrifft auch das hochpräzise Weltraumteleskop Hubble,
das - an kosmischen Entfernungen gemessen - in unmittelbarer Nähe um die Erde
kreist.
Allein der Raumsonde Rosetta, die sich zum Beobachtungszeitpunkt im
März 2010 weit jenseits der Umlaufbahn des Mars befand, bot sich ein völlig
anderer Blick. Denn die Umlaufbahnen des Asteroiden und der Sonde sind
gegeneinander gekippt. Die Situation ist vergleichbar mit dem frontalen
Betrachten einer heranrasenden Lokomotive. Die lange Reihe der angehängten
Waggons ist aus dieser Perspektive nur schlecht einzuschätzen. Erst wenn man
seinen Standort etwa nach oben verlegt, wird die gesamte Länge des Zuges
sichtbar.
"Anhand der Aufnahmen der Raumsonde konnten wir die dreidimensionale Gestalt
des Schweifs erkennen", so Snodgrass. Die Form sei für einen Kometen, der
kontinuierlich Material emittiert, untypisch und deute auf den Trümmerschweif
nach einem Asteroidenaufprall hin. Zusammen mit weiteren erdgebundenen Aufnahmen
boten die Bilder von Rosetta den MPS-Wissenschaftlern die Möglichkeit
genau zu rekonstruieren, wie sich der Schweif entwickelt hatte.
Dafür fütterten sie ihr Computerprogramm zunächst mit einer Anfangsvermutung
über die Größe der Trümmerstücke, die derzeit sichtbar sind. In einem nächsten
Schritt berechneten sie, wie sich die Verteilung dieser Stücke zeitlich
entwickeln müsste. "Durch Vergleich mit der tatsächlichen Entwicklung lässt sich
die Annahme der Teilchengröße immer weiter verfeinern - bis der genaue
Zeitverlauf rekonstruiert ist", erklärt Dr. Jean-Baptiste Vincent vom MPS, der
die Simulationen durchführte. Mit ihrer Methode konnten die MPS-Wissenschaftler
den Zeitpunkt des Aufpralls auf zehn Tage um den 10. Februar 2009 eingrenzen.
Für die Trümmerstücke ermittelten sie zudem eine Größe von mindestens einem
Millimeter.
Die Berechnungen der MPS-Wissenschaftler liefern einzigartige Erkenntnisse
über die frühe Phase nach einer Asteroidenkollision. Zudem ist das Ergebnis der
Forscher eine bedeutende technische Leistung der Rosetta-Sonde. Der
Trümmerschweif ist so schwer zu erkennen, dass dafür auf der Erde die größten
Teleskope mit einer Apertur von bis zu zehn Metern und das Weltraumteleskop
Hubble eingesetzt wurden. Im Vergleich ist das Kamerasystem OSIRIS an Bord
von Rosetta etwa 7.000-mal weniger leistungsstark. "Die OSIRIS Kamera
entspricht eher dem Teleobjektiv eines Fotoapparats denn einem Teleskop",
erklärt Dr. Cecilia Tubiana vom MPS, die die Bilder verarbeitet und ausgewertet
hat. "OSIRIS wurde entworfen, um aus der Nähe Aufnahmen von Kometen zu machen",
fügt Dr. Holger Sierks, Leiter des OSIRIS-Teams hinzu.
Stattdessen trennten die Raumsonde Millionen von Kilometern vom Asteroiden
P/2010 A2, so dass die Trümmerstücke nur als sehr, sehr schwacher Schweif gegen
den Sternenhintergrund zu erkennen waren. Insgesamt mussten die Forscher vier
Stunden lang Bilder aufnehmen und diese sorgfältig kombinieren. Die Astronomen
berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des
Wissenschaftsmagazins Nature.
Die ESA-Raumsonde Rosetta ist seit 2004 unterwegs zum Kometen
Churyumov-Gerasimenko, den sie 2014 erreichen wird. Das wissenschaftliche
Kamerasystem OSIRIS wurde am MPS entwickelt und gebaut. Im Juli waren dem
Kamerasystem beim Vorbeiflug am Asteroiden Lutetia einzigartige Aufnahmen
gelungen.
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