Hochkomplexe Moleküle im Weltraum
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
21. April 2009
Einem internationalen Team von Wissenschaftlern gelang jetzt erstmals die
Entdeckung von gleich zwei der komplexesten unter den bisher gefundenen
Molekülen im interstellaren Raum. Computermodelle deuten zudem darauf hin,
dass noch komplexere organische Moleküle vorhanden sein müssen, darunter
auch die bisher noch nicht identifizierten Aminosäuren, also die
Grundbausteine des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen.
Das 30 Meter-IRAM-Radioteleskop auf dem Pico
Veleta in Südspanien. Beobachtungen im
Millimeterwellenbereich mit diesem Teleskop
führten zur Entdeckung der beiden neuen Moleküle
Äthylformiat und n-Propylzyanid im interstellaren
Raum. Foto:
IRAM |
Einem internationalen Team von Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für
Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, der amerikanischen Cornell University
und der Universität zu Köln gelang die Erstentdeckung von gleich zwei der
komplexesten unter den bisher gefundenen Molekülen im interstellaren Raum,
Äthylformiat und n-Propylzyanid. Die von den Autoren erstellten Computermodelle
zur interstellaren Chemie zeigen, dass noch komplexere organische Moleküle
vorhanden sein müssen - darunter auch die bisher noch nicht identifizierten
Aminosäuren, Grundbausteine des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen. Die
Ergebnisse werden heute auf der "Europäischen Woche der Astronomie und
Raumfahrt" an der University of Hertfordshire präsentiert.
Das 30-Meter-IRAM-Radioteleskop in Spanien wurde zum Nachweis der
Radiostrahlung von Molekülen im Sternentstehungsgebiet Sagittarius B2 in der
Nähe des Zentrums unserer Milchstraße eingesetzt. Die beiden neuen Moleküle
wurden in einer heißen dichten Gaswolke aufgefunden, die unter dem Namen "Large
Molecule Heimat" bekannt geworden ist und einen sehr leuchtkräftigen gerade erst
entstandenen Stern in ihrem Inneren enthält.
In dieser Gaswolke konnte bereits eine ganze Reihe von unterschiedlichen
großen organischen Molekülen nachgewiesen werden, darunter Alkohole, Aldehyde
und Säuren. Die beiden neugefundenen Moleküle, Äthylformiat (C2H5OCHO)
und n-Propylzyanid (C3H7CN), repräsentieren zwei
unterschiedliche Klassen von Molekülen - Ester und Alkylzyanide - und sie
stellen jeweils die komplexesten bisher im Weltraum entdeckten Vertreter ihrer
Klasse dar.
Atome und Moleküle senden Strahlung bei ganz speziellen Frequenzen aus, die
als charakteristische "Linien" im elektromagnetischen Spektrum einer
astronomischen Quelle erscheinen. Die Entschlüsselung der Signatur eines ganz
bestimmten Moleküls im Spektrum ist dabei vergleichbar mit der Identifikation
eines Menschen anhand seiner Fingerabdrücke. "Das Problem bei der Suche nach
komplexen Molekülen liegt darin, dass die am besten geeigneten astronomischen
Quellen so viele unterschiedliche Moleküle enthalten, dass ihre 'Fingerabdrücke'
überlappen und nur sehr schwer zu entwirren sind", sagt Arnaud Belloche,
Wissenschaftler am MPIfR und Erstautor einer Veröffentlichung in der
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.
"Die größeren und komplexeren Moleküle sind sogar noch schwieriger zu
identifizieren, da ihre 'Fingerabdrücke' kaum sichtbar werden: ihre Strahlung
wird über eine viel größere Anzahl von Linien verteilt, die alle viel schwächer
herauskommen", ergänzt Holger Müller von der Universität Köln. Von den insgesamt
3.700 Spektrallinien, die mit dem IRAM-Teleskop gefunden wurden, konnte das
Forschungsteam 36 Linien mit den beiden neuen Molekülen identifizieren.
Die Forscher haben anschließend Computer-Modellrechnungen dafür eingesetzt,
die chemischen Prozesse zu verstehen, die zur Bildung solcher Moleküle im
Weltraum führen. Chemische Reaktionen erfolgen als Resultat von Kollisionen
zwischen Gaspartikeln; aber ebenso befinden sich Staubkörner als Bestandteile im
interstellaren Gas, auf deren Oberfläche Reaktionen zwischen einzelnen Atomen
stattfinden können, die zur Bildung von Molekülen führen. Als Ergebnis davon
bauen sich um die Staubkörner dicke Eisschichten auf. Sie bestehen hauptsächlich
aus Wasser, enthalten aber auch Einschlüsse einer Reihe von einfachen
organischen Molekülen wie z.B. Methanol, dem einfachsten Alkohol.
"Aber", sagt Robin Garrod, ein Astrochemiker an der Cornell University,
"die wirklich großen Moleküle scheinen sich nicht auf diese Weise, nämlich Atom
für Atom, aufzubauen." Statt dessen lassen die Computermodelle vermuten, dass
die komplexeren Moleküle abschnittweise aufgebaut werden. Dabei kommen
vorgefertigte Teilabschnitte zum Einsatz, die durch Moleküle bereitgestellt
werden, die schon auf den Staubkörnern vorhanden sind, wie etwa Methanol. Die
Computermodelle zeigen, dass diese Abschnitte oder "funktionalen Gruppen" sich
sehr wirksam miteinander verbinden können, um so ganze "Molekülketten" in einer
Serie von kurzen Schritten zusammenzubauen.
Die beiden neuentdeckten Moleküle sind vermutlich auf diese Art entstanden.
Und Garrod fügt hinzu: "Es gibt anscheinend keine Begrenzung für die Größe der
Moleküle, die durch diesen Prozess erzeugt werden können - wir erwarten sogar
noch komplexere Moleküle, wenn wir sie überhaupt nur entdecken können." Karl
Menten, Direktor am MPIfR und ebenfalls Mitglied des Forschungsteams, erwartet
solche Entdeckungen bereits in naher Zukunft. "Was wir im Moment machen, ist ein
bisschen so wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Zukünftige
Forschungsinstrumente wie das Atacama Large Millimeter Array werden
noch effizientere Beobachtungsprogramme möglich machen, mit denen weitere
organische Moleküle im interstellaren Raum gefunden werden können."
Vielleicht sogar die Entdeckung von Aminosäuren, die für die Erzeugung von
Proteinen benötigt werden und damit unverzichtbar sind für die Entstehung des
Lebens auf der Erde. Nach der einfachsten Aminosäure, Glyzin (NH2CH2COOH),
wurde bereits wiederholt im Weltraum gesucht; bis jetzt konnte sie noch nicht
nachgewiesen werden. Allerdings sind beide hier beschriebenen neuentdeckten
Moleküle von Größe und Komplexität her durchaus mit Glyzin vergleichbar.
|