Millionen unentdeckte Sterne
Redaktion / MPG
astronews.com
24. Februar 2006
Das Röntgenleuchten der Milchstraße stammt von Millionen von
bislang unentdeckten Sternen. Das zumindest glauben Astronomen nach Auswertung
der genauesten Röntgenkarte unserer Galaxie,
die auf zehnjährigen Messungen mit dem Rossi XTE-Satelliten beruht.
Bestätigt sich der Fund, würde dies bedeuten, dass die Anzahl der Sterne in
der Milchstraße bislang dramatisch unterschätzt wurde.

Die perfekte Übereinstimmung des
von Rossi XTE gemessenen Röntgenbildes (Konturlinien) und des
vom COBE-Satelliten aufgenommenen Bildes der Milchstraße im
nahen Infrarot (Farbe) bedeutet, dass die Röntgenstrahlung die
Verteilung der Sterne abbildet und dass der galaktische
Röntgenhintergrund von einer sehr großen Zahl von einzelnen
schwachen Quellen stammt. Bild: NASA/Max-Planck-Institut für Astrophysik [Großansicht] |
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Astrophysik haben entdeckt, dass
das Röntgenleuchten der Milchstraße von rund einer Million Doppelsternen stammt,
in denen jeweils ein Weißer Zwergstern von seinem Begleitstern Gas absaugt,
sowie von Hunderten von Millionen gewöhnlicher Sterne mit aktiven Gashüllen. Die
Entdeckung wurde durch die genaueste Röntgenkarte unserer Galaxie ermöglicht,
die auf zehnjährigen Messungen mit dem Rossi XTE-Satelliten beruht. Die Forscher
sind überzeugt, dass das Röntgenleuchten der Milchstraße nicht - wie lange
vermutet - diffus ist, sondern von Hunderten von Millionen einzelner Quellen
stammt.
Nahezu 400 Jahre nachdem Galileo Galilei das schwache Leuchten der Milchstraße
auf die Beiträge unzähliger Sterne zurückführte, haben Wissenschaftler mit Hilfe
des Rossi X-ray Timing Explorer des NASA nun die verteilte Röntgenstrahlung in
der Milchstraße auf dieselbe Weise erklärt.
Der Ursprung dieses so genannten galaktischen Röntgenhintergrunds blieb lange
rätselhaft. Die Forscher sind nun überzeugt, dass das Röntgenleuchten nicht wie
lange vermutet diffus ist, sondern von Hunderten von Millionen einzelner Quellen
stammt, zumeist Weißen Zwergen, also toten Sternen von der Größe der Erde, aber
der Masse unserer Sonne.
Falls dieses Ergebnis durch weitere Messungen bestätigt wird, hat das wichtige
Konsequenzen für unser Verständnis der Entwicklung der Milchstraße, ihrer
Sternentstehungs- und Supernovarate sowie ihrer Sternentwicklung. Es löst damit
wichtige theoretische Probleme, weist aber gleichzeitig auf eine erstaunliche
Unterschätzung der Zahl von stellaren Objekten hin.
Astrophysiker des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) in Garching und des
Weltraumforschungsinstituts der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau
beschreiben diese Beobachtungen in zwei Artikeln, die von der internationalen
Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics zur Publikation angenommen wurden.
"Vom Flugzeug aus kann man das diffuse Leuchten einer nächtlichen Stadt
sehen", sagt Dr. Mikhail Revnivtsev vom MPA, Erstautor einer der beiden
Publikationen. "Aber zu sagen, eine Stadt erzeugt Licht, ist nicht genug. Nur
beim Näherkommen kann man die einzelnen Quellen erkennen, von denen die
Strahlung stammt, die Lichter der Häuser, Straßenlampen, Autos. In diesem Sinne
haben wir jetzt die einzelnen Objekte identifiziert, die zum Röntgenleuchten der
Milchstraße beitragen. Unser Ergebnis wird viele Wissenschaftler überraschen."
Röntgenstrahlen sind eine Art Licht hoher Energie, unsichtbar für das Auge und
weit hochenergetischer als sichtbares Licht oder ultraviolette Strahlung. Unsere
Augen sehen einzelne Sterne verteilt auf einem größtenteils dunklen Himmel. Im
Röntgenlicht ist der Himmel nirgends dunkel; er zeigt ein überall vorhandenes
und gleichbleibendes Glühen.
Frühere Beobachtungen konnten nicht genügend Röntgenquellen finden, um das
Röntgenleuchten der Milchstraße zu erklären. Dies zog theoretische Probleme nach
sich. Wenn es Röntgenstrahlung von heißem, diffusem Gas war, dann würde dieses
Gas irgendwann "aufsteigen" und aus dem Schwerkraftkäfig der Milchstraße
entweichen. Außerdem müsste all dieses heiße Gas von Millionen von vergangenen
Sternexplosionen, so genannte Supernovae, stammen, was bedeuten würde, dass
unsere Schätzungen für die Zahl entstehender und sterbender Sterne völlig falsch
wären.
"Die Strahlung von einzelnen Quellen, die mit Röntgenteleskopen ausgemacht
werden konnten, schien nicht mehr als 30 Prozent des Röntgenleuchtens zu
erklären", sagt Dr. Jean Swank, Projektwissenschaftler für den Rossi Explorer am
NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland. "Viele Forscher
glaubten, dass der Löwenanteil der Strahlung wirklich diffuser Natur ist, etwa
von heißem Gas zwischen den Sternen stammt. Nun scheint es, als könnte man die
gesamte Strahlung durch zwei
Arten von Sternen erklären."
Die neue Studie basiert auf fast zehnjährigen Messungen mit dem Rossi Explorer,
die die genaueste Karte unserer Milchstraße im Röntgenlicht hervorgebracht
haben. Das Team von Wissenschaftlern kam zu dem Schluss, dass es in unserer
Milchstraße tatsächlich von Sternen mit Röntgenemission nur so wimmelt, die
größtenteils aber nicht sehr hell sind und deren Zahl daher früher um das
Hundertfache unterschätzt worden war.
Überraschenderweise sind die üblichen Verdächtigen für die Herkunft von
Röntgenstrahlung, nämlich Schwarze Löcher und Neutronensterne, hier nicht
beteiligt. Bei höheren Energien der Röntgenstrahlung wird nahezu die gesamte
Strahlung von so genannten "kataklysmischen Variablen" erzeugt.
Kataklysmische Variable sind Doppelsternsysteme, die aus einem recht
gewöhnlichen Stern und einem Weißen Zwerg bestehen, der als Überrest eines
Sterns wie der Sonne zurückbleibt, wenn der nukleare Brennstoff im Innern
aufgebraucht ist. Für sich allein leuchtet ein Weißer Zwerg nur schwach. In
einem Doppelsternsystem jedoch kann er Gas von seinem Begleitstern abziehen und
sich dabei in einem Vorgang stark aufheizen, den man "Akkretion" nennt. Das
akkretierte Gas wird dann so heiß, dass es intensive Röntgenstrahlung abgibt.
Bei etwas geringeren Röntgenenergien stammt das galaktische Glühen zu einem
Drittel von kataklysmischen Variablen und zwei Dritteln von aktiven Vorgängen in
der heißen Gashülle, der Korona, von Sternen. In den meisten Fällen findet die
Koronaaktivität bei Sternen in Doppelsystemen statt, in denen ein naher
Begleitstern die äußeren Schalen des Sterns stark "aufrührt". Dies führt zu
Ausbrüchen ähnlich den solaren Flares, bei denen Röntgenstrahlung frei wird. Die
Wissenschaftlergruppe schätzt, dass es rund eine Million kataklysmischen
Variable und nahezu eine Milliarde aktive Sterne in unserer Milchstraße gibt.
Beide Zahlen bedeuten, dass frühere Schätzungen deutlich zu niedrig lagen.
"Wie eine medizinische Röntgenaufnahme enthüllt die Karte des galaktischen
Röntgenhintergrunds Feinheiten der Struktur unserer Heimatgalaxie", sagt
Revnivtsev. "Wir können durch unsere gesamte Milchstraße hindurch sehen und
einzelne Röntgenquellen zählen. Dies ist von großer Bedeutung für die
Astronomen, die die
Entwicklung von Sternen mit Computern berechnen."
Der Rossi Explorer Satellit wurde im Dezember 1995 gestartet. Das Projekt wird
vom NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt, Maryland, geleitet.
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