Neue Berechnung bestätigt Standardmodell der Teilchenphysik
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
7. Januar 2025
Berechnungen des anomalen magnetischen Moments des Myons
wichen in den vergangenen Jahren oft deutlich von den experimentell bestimmten
Werten ab, was vielfach als Hinweis auf eine "neue Physik" gewertet wurde. Nun
hat ein Forschungsteam aber eine andere Methode zur Berechnung angewandt. Die
Diskrepanz ist verschwunden, so manches Rätsel bleibt.
Der Hochleistungsrechner MOGON II der
Universität Mainz wurde für die Berechnung des
anomalen magnetischen Moments des Myons mithilfe
der Gitter-QCD-Methode genutzt.
Foto:
JGU / Stefan F. Sämmer [Großansicht] |
Das magnetische Moment des Myons ist eine wichtige Präzisionsgröße, um das
Standardmodell der Teilchenphysik auf den Prüfstand zu stellen. Nach jahrelanger
Arbeit hat die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hartmut Wittig vom Exzellenzcluster
PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) diese Größe mit der
sogenannten Gitter-Quantenchromodynamik-Methode (Gitter-QCD-Methode) berechnet.
Ihr Ergebnis, das vor kurzem veröffentlicht wurde, stimmt im Gegensatz zu
früheren theoretischen Berechnungen mit den neuesten experimentellen Messungen
überein.
Nachdem die experimentellen Messungen in den vergangenen Jahren zu immer
höherer Präzision vorangetrieben worden waren, hatte sich der Blick verstärkt
auf die theoretische Vorhersage und die zentrale Frage gerichtet, ob diese
signifikant von den experimentellen Ergebnissen abweicht und damit den Beweis
für die Existenz neuer Physik jenseits des Standardmodells erbringt. Das anomale
magnetische Moment ist eine innere Eigenschaft von Elementarteilchen wie dem
Elektron oder dessen schwererem Bruder, dem Myon. Die Berechnung dieser Größe
mit genügend großer Genauigkeit im Rahmen des Standardmodells ist eine enorme
Herausforderung. Mit Ausnahme der Schwerkraft tragen alle fundamentalen
Wechselwirkungen zum anomalen magnetischen Moment bei.
Dabei bereiten die Beiträge der starken Wechselwirkung, die die Kräfte
zwischen den Grundbausteinen von Protonen und Neutronen, den Quarks, beschreibt,
den Physikerinnen und Physiker besonders große Schwierigkeiten. Die Hauptquelle
der Unsicherheit in der theoretischen Berechnung des anomalen magnetischen
Moments des Myons ist der Beitrag der sogenannten hadronischen
Vakuumpolarisation (HVP). Traditionell wurde dieser Beitrag unter Einbeziehung
experimenteller Daten bestimmt – man spricht in diesem Fall von der
"datengetriebenen" Methode. Tatsächlich lieferte diese Technik über viele Jahre
eine signifikante Abweichung vom experimentellen Messwert und somit auch einen
der vielversprechendsten Hinweise auf die Existenz neuer Physik.
Wittigs Gruppe hat nun ein neues Ergebnis für den HVP-Beitrag veröffentlicht,
das mit der komplementären Methode der Gitter-QCD erzielt wurde. "Mit unserer
Arbeit bestätigen wir frühere Hinweise, die eine deutliche Abweichung zwischen
der datengetriebenen Methode und Gitter-QCD-Rechnungen nahelegen", sagt Wittig.
"Gleichzeitig müssen wir aus unserem Ergebnis den Schluss ziehen, dass sich das
Standardmodell wieder einmal bestätigt hat, denn unser Resultat stimmt mit der
experimentellen Messung überein."
Im Jahr 2020 veröffentlichte die "Muon g-2 Theory Initiative" – eine
internationale Gruppe von 130 Physikerinnen und Physikern mit starker Mainzer
Beteiligung – einen Referenzwert für die theoretische Vorhersage des anomalen
magnetischen Moments des Myons im Rahmen des Standardmodells, der auf der
datengetriebenen Methode basiert. Dieser zeigte tatsächlich eine deutliche
Abweichung von den neuen direkten Messungen dieser Größe, die seit 2021 am
Fermilab in der Nähe von Chicago durchgeführt werden. Seit der Veröffentlichung
neuer Resultate des CMD-3 Experiments in Novosibirsk im Februar 2023 ist dieser
Referenzwert jedoch in die Kritik geraten, da die Standardmodell-Vorhersage
stark variiert, je nachdem welcher Datensatz dafür verwendet wird. Um sich von
den Nachteilen der datengetriebenen Methode zu lösen, hat sich die Gruppe von
Wittig auf Berechnungen mithilfe der Gitter-QCD-Methode konzentriert, die eine
numerische Berechnung der Beiträge der starken Wechselwirkung mithilfe von
Großrechnern erlaubt. Der Vorteil eines solchen Ansatzes ist, dass er im
Gegensatz zu dem 2020 veröffentlichten Wert Ergebnisse liefert, die keine
experimentellen Daten benötigen.
Wittigs Gruppe hat sich auf die Berechnung des Beitrags der HVP konzentriert,
die den größten Beitrag der starken Wechselwirkung zum anomalen magnetischen
Moment des Myons liefert. In ihrer jüngsten Arbeit hat das Team einen neuen Wert
für das anomale magnetische Moment des Myons ermittelt, der mit dem aktuellen
experimentellen Mittelwert übereinstimmt und weit von der theoretischen
Schätzung von 2020 entfernt ist. "Nach jahrelanger Arbeit an der Verringerung
der Unsicherheiten unserer Berechnungen und der Überwindung der rechnerischen
Herausforderungen, die mit der Durchführung solcher Gitter-QCD-Berechnungen
verbunden sind, haben wir den HVP-Beitrag mit einer Gesamtgenauigkeit von knapp
unter einem Prozent und einer guten Balance zwischen statistischen und
systematischen Unsicherheiten ermittelt", sagt Wittig. "Das erlaubt es uns, die
Gültigkeit des Standardmodells neu zu bewerten."
Auch wenn das neue Ergebnis das Standardmodell wieder einmal bestätigt, geben
noch viele Dinge Rätsel auf. Woher der Unterschied zwischen der Gitter-QCD- und
der datengetriebenen Methode stammt und wie das Ergebnis des CMD-3-Experiments
bewertet werden muss, ist bislang nicht verstanden. "Wir haben noch einen weiten
Weg vor uns, um unser langfristiges Ziel zu erreichen, den Gesamtfehler auf etwa
0,2 Prozent zu reduzieren. Egal, wie man es betrachtet: Wir kommen nicht um die
Tatsache herum, dass es erklärungsbedürftige Diskrepanzen beim anomalen
magnetischen Moment des Myons gibt. Für uns gibt es da noch viel Neues zu
verstehen", so Wittig.
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