Der Neutrinofluss und die Entwicklungsgeschichte der Sonne
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung
GmbH astronews.com
12. Dezember 2024
Während unsere Sonne durch Kernfusionsprozesse im Inneren
Energie erzeugt, werden auch gewaltige Mengen an solaren Neutrinos frei. Diese
können mithilfe moderner Neutrinodetektoren gemessen werden, was das aktuelle
Verhalten der Sonne enthüllt. Doch wie sah der Neutrinofluss der Sonne in der
Vergangenheit aus? Ein besonderes Neutrinoexperiment soll das klären helfen.
Dr. Ragandeep Singh Sidhu am
Experimentierspeicherring ESR bei GSI/FAIR.
Foto:
G. Otto, GSI / FAIR [Großansicht] |
Die Sonne, der lebenserhaltende Motor der Erde, erzeugt ihre gewaltige
Energie durch Kernfusion. Gleichzeitig setzt sie dabei einen kontinuierlichen
Strom von Neutrinos frei – Teilchen, die als Boten für ihre innere Dynamik
fungieren. Obwohl moderne Neutrinodetektoren das gegenwärtige Verhalten der
Sonne enthüllen, bleiben bezüglich ihrer über Millionen von Jahren andauernden
Stabilität wesentliche Fragen bestehen – ein Zeitraum, der die menschliche
Evolution und bedeutende Klimaveränderungen umfasst. Antworten darauf zu finden,
ist das Ziel des LORandite EXperiments (LOREX), das eine genaue Kenntnis des
solaren Neutrino-Wirkungsquerschnitts auf Thallium erfordert.
Diese entscheidenden Informationen wurden nun von einer internationalen
Kollaboration von Forschenden bereitgestellt. Sie haben dafür die einzigartigen
Einrichtungen des Experimentierspeicherrings ESR bei GSI/FAIR in Darmstadt
genutzt, um eine wichtige Messung zu erhalten, die zum Verständnis der
langfristigen Stabilität der Sonne beitragen wird. LOREX ist das einzige
geochemische Langzeit-Sonnenneutrino-Experiment, das noch aktiv betrieben wird.
Es wurde in den 1980er Jahren vorgeschlagen und zielt darauf ab, den solaren
Neutrinofluss im Mittel über einen Zeitraum von bemerkenswerten vier Millionen
Jahren zu messen, was dem geologischen Alter des Lorandit-Erzes entspricht. Die
in unserer Sonne erzeugten Neutrinos wechselwirken mit Thallium-Atomen (Tl), die
im Lorandit-Mineral (TlAsS2) vorkommen, und wandeln sie in Blei-Atome
(Pb) um. Das Isotop 205Pb ist aufgrund seiner langen Halbwertszeit
von 17 Millionen Jahren besonders interessant, wodurch es über den Zeitraum von
vier Millionen Jahren im Lorandit-Erz im Wesentlichen stabil ist.
Da es bisher nicht möglich ist, den Neutrino-Wirkungsquerschnitt an 205Tl
direkt zu messen, haben sich Forschende bei GSI/FAIR in Darmstadt eine
geschickte Methode ausgedacht, um die relevante kernphysikalische Information
zur Bestimmung des Neutrino-Wirkungsquerschnitts zu messen. Dabei machten sie
sich zunutze, dass diese Größe, das nukleare Matrixelement, auch die Rate für
den gebundenen Betazerfall von vollständig ionisiertem 205Tl81+
zu 205Pb81+ bestimmt. Die experimentelle Messung der
Halbwertszeit des Betazerfalls im gebundenen Zustand von voll ionisierten
205Tl81+-Ionen war nur dank der einzigartigen Möglichkeiten des
Experimentierspeicherrings (ESR) bei GSI/FAIR realisierbar. Der ESR ist derzeit
die einzige Einrichtung, an der solche Messungen möglich sind.
Die 205Tl81+-Ionen wurden durch Kernreaktionen im
GSI/FAIR-Fragmentseparator (FRS) erzeugt und so lange gespeichert, bis ihr
Zerfall im Speicherring beobachtet und erfolgreich gemessen werden konnte. "Es
waren jahrzehntelange kontinuierliche Fortschritte in der
Beschleunigertechnologie erforderlich, um einen intensiven und reinen 205Tl81+-Ionenstrahl
zu erzeugen und seinen Zerfall mit hoher Präzision zu messen", sagte Professor
Yuri A. Litvinov, Sprecher des Experiments und leitender Wissenschaftler des
Consolidator Grants ASTRUm des Europäischen Forschungsrats. "Das Team hat die
Halbwertszeit des Betazerfalls von 205Tl81+ mit 291
(+33/-27) Tagen gemessen, eine wichtige Messung, die die Bestimmung des solaren
Neutrino-Einfangquerschnitts erlaubt", erklärt Dr. Rui-Jiu Chen, ein an dem
Projekt beteiligter Postdoktorand.
Sobald die Konzentration von 205Pb-Atomen in den Lorandit-Mineralien
im Rahmen des LOREX-Projekts bestimmt ist, wird es möglich sein, Einblicke in
die Entwicklungsgeschichte der Sonne und ihre Verbindung zum Klima der Erde über
Jahrtausende hinweg zu geben. "Dieses bahnbrechende Experiment unterstreicht die
Möglichkeiten der nuklearen Astrophysik bei der Beantwortung grundlegender
Fragen zum Universum", sagten Professor Gabriel Martínez-Pinedo und Dr. Thomas
Neff, die die theoretische Arbeit für die Übertragung der Messung auf den
Neutrino-Wirkungsquerschnitt geleitet haben. "Dieses Experiment zeigt, wie eine
einzige, wenn auch schwierige Messung eine zentrale Rolle bei der Beantwortung
wichtiger wissenschaftlicher Fragen zur Entwicklung unserer Sonne spielen kann",
unterstreicht auch Dr. Ragandeep Singh Sidhu, Erstautor der Studie.
Die Ergebnisse der Messungen veröffentlichte das Team jetzt in der
Fachzeitschrift Physical Review Letters.
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