Die Chemie in und auf interstellaren Eispartikeln
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre
Naturwissenschaften astronews.com
18. November 2024
Immer bessere Teleskope, die zunehmend detaillierte
Beobachtungen erlauben, erfordern präzisere Modelle und Theorien, mit deren
Hilfe die gewonnenen Daten mit Vorhersagen verglichen werden können, um zu
verstehen, was genau man eigentlich beobachtet. Für die Chemie auf
interstellaren Eispartikeln soll dies nun im Rahmen eines neuen Synergy Grants
des ERC geschehen.
Künstlerische Darstellung des James Webb
Space Telescope.
Bild: NASA-GSFC, Adriana M. Gutierrez (CI
Lab) [Großansicht] |
548 Projektanträge sind in diesem Jahr für die "Synergy Grants" des European
Research Councils (ERC) eingegangen, nur zehn Prozent waren erfolgreich. Einer
von ihnen ist IRASTRO, ein gemeinsames Forschungsprojekt von Alec Wodtke,
Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre
Naturwissenschaften, Liv Hornekær von der Universität Aarhus in Dänemark, Peter
Saalfrank von der Universität Potsdam und Varun Verma vom US-amerikanischen
National Institute for Standards and Technology (NIST). Sie erhalten für ihr
Projekt eine Förderung von insgesamt zwölf Millionen Euro über einen Zeitraum
von sechs Jahren.
Die vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich für das ERC-Synergy-Projekt
IRASTRO zusammengeschlossen, um zu erforschen, wie die von Weltraumteleskopen
beobachteten Moleküle durch chemische Reaktionen in und an interstellaren
Eispartikeln produziert werden. Konkret geht es darum, Infrarotspektren von
Molekülen zu interpretieren sowie die chemische Reaktivität unter interstellaren
Bedingungen zu untersuchen. "Das James-Webb-Weltraumteleskop hat in der
Astrochemie eine neue Ära eingeleitet. Auf seiner 1,5 Millionen Kilometer von
der Erde entfernten Umlaufbahn beobachtet es den Weltraum mit Infrarotlicht. Es
ermöglicht seit Kurzem sogar, Infrarotspektren von Eisschichten in
interstellaren Wolken zu erhalten", erklärt Wodtke, der als Direktor am MPI für
Multidisziplinäre Naturwissenschaften sowie als Professor für Chemie an der
Universität Göttingen zu Oberflächenchemie und Infrarotspektroskopie forscht.
Eisschichten in interstellaren Wolken sind auch eine Quelle organischer
Moleküle; ihr Infrarotspektrum entschlüsseln zu können, kann daher beitragen,
Forschungsdaten aus dem Weltraum zu interpretieren. Die Forschenden wollen
Methoden entwickeln, die Infrarotsignaturen einzelner Moleküle erfassen können.
Eine Infrarotsignatur ist eine Art Fingerabdruck, die sich von Molekül zu
Molekül unterscheidet – je nach den Eigenschaften des reflektierten, infraroten
Lichts. Solche Infrarotsignaturen sollen durch Reaktionen bei niedrigen
Temperaturen auf Modellsystemen aus Eis gebildet werden. Die Kollaboration
arbeitet dafür eng mit Verma vom US-amerikanischen NIST zusammen, der führend in
der Entwicklung sogenannter supraleitender-Nanodrahtphotonen-Detektoren (SNSPD)
ist. Im Rahmen IRASTROs wird Vermas Team SNSPD-Arrays für neue Methoden der
Infrarotspektroskopie entwickeln.
Saalfrank, Professor für Theoretische Chemie an der Universität Potsdam, wird
seine Expertise in theoretischer Quantenchemie und -dynamik einbringen, um die
Daten der SNSPD-basierten Spektrometer zu interpretieren. Darüber hinaus will
das Team chemische Reaktionen unter interstellaren Bedingungen erforschen. "Ein
realistisches Bild davon zu entwickeln, wie die Chemie in interstellaren
Eisschichten funktioniert, ist eine enorme Herausforderung. Unter den
Bedingungen, die beispielsweise typisch für kalte, dunkle interstellare Wolken
sind, brechen unsere klassischen Modelle der Chemie tendenziell zusammen, denn
sie wurden entwickelt, um die Hochtemperaturchemie zu beschreiben", erklärt die
Astrochemikerin Hornekær, Professorin an der Universität Aarhus. "Mit unserem
Projekt wollen wir unser Verständnis erweitern, wie chemische Reaktionen bei
niedrigen Temperaturen ablaufen."
Dafür will das Team zunächst die Reaktionen bei niedrigen Temperaturen in
einfacheren Systemen untersuchen, die im Labor geschaffen und experimentell
analysiert werden können. "Unser Ziel ist es, neue Modelle für die durch
Quanteneffekte dominierte Reaktivität bei tiefen Temperaturen zu entwickeln, die
eines Tages verwendet werden können, um Reaktionen im Weltraum zu
entschlüsseln", erklärt Saalfrank. "Durch IRASTROs Fokus auf die
Infrarotspektroskopie werden die Ergebnisse des Projekts direkt relevant sein,
um Beobachtungsdaten vom Weltraumteleskopen wie beispielsweise dem James-Webb zu
interpretieren", hofft Projektleiter Wodtke. Es gäbe immer noch eine Menge
grundlegender chemischer Physik, insbesondere der chemischen Physik bei
niedrigen Temperaturen in Festkörpern, die besser verstanden werden müsse, um
große Weltraummissionen wie diese zu unterstützen.
|